Er hat es wieder einmal getan: Valentino Rossi hat bei der Dutch TT in Assen einen knallharten Konkurrenten mit einer grandiosen Leistung in die Schranken gewiesen. In der Manier seiner legendärsten Rennen à la Laguna Seca 2008 oder Barcelona 2009 bezwang er Marc Marquez Assen-typisch in der allerletzten Schikane. Dass sich dieses Duell - ein Leckerbissen für jeden MotoGP-Fan - unweigerlich am absoluten Höhepunkt ganz zum Schluss entscheiden musste, das wird in der Rennanalyse nochmal deutlich.

Rossi, zum ersten Mal seit dem Finale im Vorjahr in Valencia von der Pole gestartet und zum ersten Mal überhaupt in dieser Saison in der ersten Startreihe, deutete schon an beiden Trainingstagen an, dass er der Mann war, den es zu schlagen gilt. Dass er es aber mit ernsthafter Konkurrenz in Person von Marc Marquez zu tun hat, zeigte der amtierende Doppel-Champion am Freitag im vierten Training und nicht zuletzt auch im Warm Up mit beeindruckenden Rundenzeiten.

Rennbeginn: Die ersten Drei setzen sich ab

Als kritischste Phase galt für Rossi der Start. Normalerweise kommt der Doktor gut weg, in Mugello (seiner bis zu diesem Wochenende besten Qualifying-Leistung der Saison) jedoch legte Rossi beim Start den Rückwärtsgang ein. Nicht so in Assen. Hier konnte Rossi seine Spitzenposition vor Aleix Espargaro behaupten. Alle Hoffnungen auf einen Puffer zwischen sich und der Konkurrenz lösten sich allerdings schon im Laufe der ersten Runde in Luft auf: Marquez übernahm schon in Turn fünf den zweiten Rang, Jorge Lorenzo kämpfte sich von Startposition acht auf Platz drei vor. Ein Dreikampf schien angerichtet.

RundeAbstand Rossi-LorenzoAbstand Marquez-LorenzoAbstand Lorenzo-P4
10,8780,4650,228
20,8350,3890,788
30,9090,4281,510
40,9840,8502,447
51,0830,8853,341
61,4851,3784,010
71,5581,3794,460

Wie die Tabelle oben jedoch zeigt, hielt Lorenzo nur fünf Runden lang mit Rossi und Marquez mit. Ab Runde sechs hing Lorenzo erstmals über eine Sekunde hinterher und sollte in der Folge immer weiter zurückfallen. Durch die Verfolgung der ersten Beiden war Lorenzo im Gegenzug seinen Verfolgern schon um vier Sekunden nach sechs Umläufen enteilt - der Grundstein für eine einsame Fahrt auf Rang drei. "Ich war im dritten und vierten Sektor nicht so gut. Beim Umlegen in den schnellen Kurven waren sie viel stärker und deshalb konnte ich letztlich nicht mithalten", musste der Mallorquiner eingestehen.

Rossi macht das Zugpferd

Lorenzo einmal abgeschüttelt, konnte sich Rossi voll und ganz darauf konzentrieren, Marquez in Schach zu halten. Auch beim zweiten Spanier hatte Rossi einen Ausreißversuch unternommen, wie er nach dem Rennen verriet: "Ich hatte einen guten Speed, aber leider konnte ich mich nicht von Marc absetzen." Die Lücke zwischen Rossi und Marquez änderte sich von Umlauf sechs bis Umlauf 16 nur geringfügig, wie das nachfolgende Zeiten-Diagramm unterstreicht.

In diesem Zeitraum büßte Marquez insgesamt lächerliche 33 Tausendstelsekunden auf Rossi ein, der Abstand zwischen den Beiden betrug weiterhin weniger als zwei Zehntelsekunden. Marquez hatte durch die Verfolgung Rossis allerdings einen Vorteil: Er konnte den Doktor ausgiebig studieren und war daher bestens im Bilde über Stärken und Schwächen von ihm und seinem Widersacher. "Ich war ja lange hinter Rossi und habe genau geschaut, wo ich überholen kann", äußerte sich Marquez dazu.

Das Pokerspiel beginnt

Davon hatte Rossi offensichtlich genug. In Runde 17 war seine Zeit auf einen Schlag um 1,1 Sekunden langsamer als einen Umlauf zuvor - Marquez brauchte für Runde 17 sogar 1,4 Sekunden länger als zuvor! Das große Taktieren begann, da keiner seine Karten auf den Tisch legen wollte. Fünf Runden lang legten die beiden Superstars nur noch hohe 34er-Zeiten mit Ausrutscher in die 35er hin, anstatt mit hohen 33ern oder niedrigen 34ern um den TT Circuit zu rasen. Selbst als Marquez in Runde 20 die Führung übernahm, blieben die Zeiten der Beiden noch zwei Umläufe lang im Keller.

Vor dem finalen Showdown belauerten sich Rossi und Marquez, Foto: Yamaha
Vor dem finalen Showdown belauerten sich Rossi und Marquez, Foto: Yamaha

Ab Runde 22 setzten die Rivalen zu einem furiosen Schlussakkord an, der wohl sehr bald seinen Eintrag in die Geschichtsbücher finden wird. Rossi kämpfte sich drei Runden vor Schluss in der Doppelrechts von Kurve zehn und elf wieder an Marquez vorbei, um sich mit einer höllischen Pace genug Sicherheitsabstand für die letzte Runde zu sichern. Im vorletzten Umlauf brannte der Doktor seine persönlich schnellste Rennrunde in den holländischen Asphalt! Zum Vergleich: Marquez drehte die schnellste Runde im vierten Umlauf.

Tatort letzte Kurve...

Doch selbst das hat nicht für Rossi gereicht, um sich entscheidend von Marquez abzusetzen. Der Spanier schüttelte im letzten Umlauf eine Zauberrunde aus dem Ärmel, wie man sie eigentlich nur aus dem Qualifying kennt, fuhr im zweiten Sektor sogar noch einmal persönliche Bestzeit. Dadurch kam Marquez Rossi von Sektor zu Sektor, von Kurve zu Kurve immer näher, bis er in der Bremszone zur letzten Schikane den Anschluss komplett hergestellt hatte und eine letzte Attacke ritt.

Den besseren Ausgang hatte Rossi für sich, Foto: Bridgestone
Den besseren Ausgang hatte Rossi für sich, Foto: Bridgestone

Der Rest ist Geschichte. Marquez profitierte bei seinem Versuch dazu noch vom härteren Vorderreifen, den er als Einziger des kompletten Feldes aufgezogen hatte. Dadurch war seine Honda auf der Bremse etwas stabiler und er war in der Lage, das Manöver auf der Innenbahn anzusetzen. Rossi war jedoch noch vorne und zog ebenfalls in die Kurve, sodass es unweigerlich zur Kollision kam. Um einen Sturz zu vermeiden, musste Rossi geradeaus durchs Kiesbett pflügen. Diese Gemengelage führte auch zur letztendlichen Entscheidung der Rennleitung, die Berührung als normalen Rennzwischenfall einzustufen. Somit gibt es an Rossis Sieg nichts mehr zu deuteln.

Fazit

Beide Fahrer verfügten im Rennen über die absolut gleiche Pace. Rossi genoss keine Unterstützung durch Konkurrenten zu Rennbeginn, so war es für ihn unmöglich, Marquez davonzuziehen. Marquez seinerseits wollte lange Zeit nicht zu viel riskieren, um nach zuletzt zwei Ausfällen wieder einmal ein Ergebnis nach Hause zu bringen. Vielmehr hatte er sich im Rennverlauf bei der Beobachtung Rossis die Taktik, seinen Kontrahenten in der letzten Schikane zu passieren, zurechtgelegt. Rossi auf der anderen Seite packte seine ganze geballte Erfahrung aus fast 19 WM-Saisons aus, um Marquez aus dem Konzept zu bringen. Dieses Taktik-Spektakel musste in einer Last-Corner-Entscheidung gipfeln.