Sechs von 18 Rennen sind absolviert. Natürlich ist es noch zu früh, einen Deckel auf die Saison zu machen, aber es lassen sich Tendenzen festmachen. Absoluter Gewinner ist bisher das MotoGP-Publikum. Denn es war nicht damit zu rechnen, dass Valentino Rossi als WM-Führender zum Rennen nach Barcelona reist. Es war auch nicht damit zu rechnen, dass Jorge Lorenzo so stark zurückkommt wie mit seinen zuletzt eingefahrenen drei Siegen in Folge. Oder, dass das 2015er-Bike von Ducati so gut einschlägt, dass die Konkurrenz jetzt schon Schnappatmung bekommt. Überraschend auch, dass Marc Marquez seine erste Krise in der Königsklasse erlebt.

Bei all diesem Spektakel geht international völlig unter, dass sich ein Weltmeister der Moto2 anscheinend völlig verzockt hat. Genau! Es geht um Stefan Bradl. Ein kümmerlicher Punkt steht bei ihm zu Buche. Platz 15 in Jerez, geholt hinter seinem Rookie-Teamkollegen Loris Baz und weit hinter den Herren Barbera, Smith, Iannone, Pol Espargaro, Petrucci und den Königsklassen-Neulingen Vinales und Miller um die er normalerweise Kreise fahren würde.

Unfassbar? Nein. Nur eine logische Entwicklung aus Pleiten, Pech und Pannen. Und Fehlentscheidungen, einer gewissen im Speziellen: Nämlich unnötigerweise von LCR Honda zum Forward Yamaha Team zu wechseln. Darüber ist viel geschrieben und diskutiert worden, aber es ist nicht mehr rückgängig zu machen. Also muss sich der Weltmeister des Jahres 2011 diesem Dilemma stellen, und zwar schnellstmöglich. Klar sind die weicheren Reifen, die er im Gegensatz zu den Prototypen-Bikes verwenden darf, nicht mehr so weich wie noch 2014. Natürlich ist die 2015er-Elektronik, die er fahren muss, ein Haufen italienischer Industriemüll.

Erinnerung an bessere Zeiten: Bradl in seiner Weltmeister-Saison 2011, Foto: Ozan Kutay
Erinnerung an bessere Zeiten: Bradl in seiner Weltmeister-Saison 2011, Foto: Ozan Kutay

Aber was am Ende zählt, sind die Resultate. Und die passen, trotz aller Probleme, überhaupt nicht. Über Stefan Bradl wird in diesen Tagen im Fahrerlager sehr wenig gesprochen. Was soll man auch sagen? Außerhalb des Paddocks dagegen wird viel diskutiert. Und wer alle Kommentare liest, kommt zu dem Schluss, dass über einen immer schlecht gelaunten, amateurhaften Dilettanten diskutiert wird. Typisch deutsch: Im Meckern sind wir schon immer ganz weit vorne gewesen.

Und Stefan Bradl ist ja auf keinen Fall unschuldig, zu viele Fehler hat er ebenfalls gemacht. Aber egal, ob er sich den Fans gegenüber übellaunig und abweisend präsentiert hat oder am Verhandlungstisch einen Fehler gemacht hat. Man sollte nicht so schnell vergessen, dass er der letzte Fahrer ist, der in der Lage war, einen Marc Marquez in einer Meisterschaft zu schlagen. Stefan Bradl ist das größte deutsche Motorradtalent seit Jahrzehnten, manche sagen sogar aller Zeiten. Daran sollten auch die bisher gefahren sechs Rennen der Saison 2015 nichts ändern können. Tun sie aber, weil die Fans manchmal zu schnell vergessen. Nehmen wir das Beispiel Barcelona 2014.Die Startnummer 6 stand auf Platz vier in der Startaufstellung - vor einem gewissen Valentino Rossi. Das Rennen beendete der Bayer als Fünfter, also quasi als "best of the rest" mit gerade einmal elf Sekunden Rückstand.

Kann so jemand innerhalb eines Jahres das Fahren verlernt haben? Ich glaube kaum. Aber trotzdem ist der gerade mal 25-Jährige dabei, seine Karriere nachhaltig zu demolieren. Weil er eben nicht besonders kämpferisch daher kommt und weil bei Ihm eben sehr schnell schlechte Resultate in typisch bayrische Griesgrämigkeit umschlagen kann. Fast schon verständlich, aber nur er kann das ändern. Man sieht auch an anderen Beispielen, dass im MotoGP-Jahrgang 2015 die besten auf zwei Rädern zusammen gefunden haben. Das macht es schwer, wenn Probleme auftreten. Eine Trotzreaktion ist jetzt gefragt und die kann nur von Stefan Bradl selbst kommen.

Stefan Bradl braucht die Unterstützung seiner Fans mehr denn je, Foto: Ozan Kutay
Stefan Bradl braucht die Unterstützung seiner Fans mehr denn je, Foto: Ozan Kutay

Alles, wirklich alles muss auf den Prüfstand. Training, Vorbereitung, Management, mentale Einstellung. Es gibt sicherlich genügend Punkte, bei denen man ansetzten kann. Fakt ist, es muss etwas geschehen, sonst droht das MotoGP-Ende. Und das wäre unnötig, denn eigentlich gehört er genau dorthin. Ein Stefan Bradl, der geil aufs Fahren ist, wäre für jedes Team eine Bereicherung. Das Problem: Im Moment ist er das offensichtlich eben genau nicht. Ein Hamsterrad der übelsten Sorte. Um den Ausgang zu finden, gibt es kein Patentrezept, aber den Ausgang suchen kann nur Stefan Bradl selbst.

Trotzdem hilft es nichts, nur spöttisch über den einzigen Deutschen in der MotoGP herzuziehen. Gerade wenn es nicht läuft, braucht ein Sportler die Unterstützung seiner Fans. Nach Barcelona kommen mit Assen und dem Sachsenring zwei Rennen, die fest in deutscher Fan-Hand sind. Also bitte, liebe MotoGP-Anhänger: Feiert Ihn! Wie letztes Jahr am Sachsenring, als er im Quali den Sprung in Reihe eins geschafft hat. Gebt Ihm noch eine Chance. Stürzen ist auch in der MotoGP erlaubt, nur nicht, wenn man dann nicht wieder aufstehen will.