Romano Fenati - ein Name, der den Hardcore-Fans der MotoGP schon lange ein Begriff war. Einst Italiens Nachwuchshoffnung Nummer eins, dann zehnfacher GP-Sieger und zuletzt Moto3-Vizeweltmeister. Seit dem 9. September ist Fenati aber auch vielen Sportfans ein Begriff, die sich mit dem Thema MotoGP nur selten oder gar nicht befassen. Denn mit seinem Ausraster gegen Stefano Manzi in Misano brachte er der Motorrad-WM jene Schlagzeilen ein, die man im Weltverband FIM und bei Vermarkter Dorna gar nicht gerne liest. Nicht einmal, wenn man damit in Mainstream-Medien vorstößt, die sonst für das Produkt MotoGP unerreichbar sind.

Als "Motorrad-Rambo" bezeichnete Deutschlands größtes Boulevardblatt Fenati an jenem Tag, als "Töff-Irren" das Boulevard-Pendant aus der Schweiz. Das Vorurteil des rücksichtslosen Bikers, der nicht nur mit dem eigenen Leben, sondern auch mit jenem der anderen spielt, war wieder einmal bedient und wurde dankbar aufgegriffen. In den sozialen Medien erntete der 22-jährige Italiener für das Ziehen der Bremse bei seinem Gegenspieler den vollen Zorn der Community, bei dem viele Fans mit ihren Wortmeldungen über die Strenge schlugen.

Vielfach fiel der Begriff "Versuchter Mord", den neben unbeteiligten Zusehern auch Gegner Manzi am Sonntagabend indirekt in den Mund nahm und den letztlich auch die Staatsanwaltschaft Rimini auf die Agenda setzte. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war klar, dass die öffentliche Verurteilung Fenatis in eine Hexenjagd ausgeartet war. Fenati stand zu diesem Zeitpunkt ohnehin bereits vor einem Scherbenhaufen, der einmal seine WM-Karriere war. Denn binnen 48 Stunden nach seinem Griff an Manzis Bremse hatte er nicht nur eine (kurze) Sperre erhalten, sondern auch seinen aktuellen Job sowie seinen Arbeitsvertrag für die darauffolgende Saison verloren und seine vom italienischen Verband ausgestellte nationale Rennlizenz eingebüßt.

Ein junger Mann, der - unter anderem in Valentino Rossis MotoGP-Akademie - nie etwas anderes gelernt hatte als Rennen zu fahren, war plötzlich von einem Berufsverbot betroffen. Fast schien es so, als wollten sich alle beteiligten Parteien, mit Ausnahme der Stewards in Misano, welche die ursprüngliche Strafe ausgesprochen hatten, an Härte übertreffen. Am weisesten handelte in der hektischen "Causa Fenati" der Weltverband FIM, der sich mit seinem Statement fast zwei Tage Zeit ließ, Fenati die Chance einer Rechtfertigung gab und letztlich sicherstellte, dass der Italiener 2018 tatsächlich kein Rennen mehr bestreiten wird.

Zudem stellte die FIM in einem Ende September veröffentlichten Statement klar, dass die WM-Karriere des 22-Jährigen nicht zwangsläufig beendet sein müsste. Vielleicht erhält Romano Fenati ja eine zweite Chance, wenn sich die Emotionen etwas abgekühlt haben. Eine solche Abkühlung muss zunächst aber in seinem Kopf beginnen. Denn jener Romano Fenati des 9. September 2018 hat in der Motorrad-WM nichts mehr verloren.

Causa Fenati: Protokoll einer Eskalation

MotoGP-Skandale 2018: Fenati, Silverstone, Rossi vs. Marquez (23:14 Min.)

SONNTAG, 9. SEPTEMBER

12:52 Uhr: Romano Fenati steuert sechs Runden vor Schluss des Moto2-Rennens in Misano die Box an. Zunächst weiß noch niemand warum. Wenig später flimmert die Nachricht über die Bildschirme, der Italiener habe eine schwarze Flagge wegen "Irresponsible Riding" gezeigt bekommen. Die entsprechende Szene wird über die internationale TV-Regie erst nachgeliefert und war nicht im Live-Bild zu sehen: Romano Fenati griff bei voller Fahrt auf einer Geraden Stefano Manzi an den Bremshebel und betätigte diesen.

Fenati greift nach Manzis Bremse, Foto: Screenshot
Fenati greift nach Manzis Bremse, Foto: Screenshot

Ca. 16:15 Uhr: In der Pressekonferenz der drei Podestfahrer der MotoGP wird Fenatis Aktion zum Thema gemacht. Andrea Dovizioso und Marc Marquez geben verhaltene Antworten, Cal Crutchlow nimmt hingegen kein Blatt vor den Mund: "Er sollte nie wieder ein Motorrad fahren dürfen. Das Team hätte ihn sofort aus der Box werfen sollen."

16:40 Uhr: Die Stewards der FIM - in Misano in Person von Renndirektor Mike Webb, Bill Cumbow und Patrick Coutant - sprechen eine Sperre in Höhe von zwei Rennen gegen Romano Fenati aus. Somit wäre er zu diesem Zeitpunkt bereits beim Japan GP in Motegi am 21. Oktober wieder einsatzberechtigt.

17:34 Uhr: Auch Stefano Manzi wird für sein Verhalten im Duell mit Fenati, das dessen Attacke vorausging, mit einer Strafe belegt. Ebenfalls für "Irresponsible Riding" wird er mit einer Grid-Strafe von sechs Plätzen für das Folgerennen im Motorland Aragon belegt.

19:10 Uhr: Forward Racing, der Arbeitgeber von Manzi, versendet eine Presseaussendung, in der Fenatis Aktion mit keinem Wort erwähnt wird. Denn pikanterweise hatte dieser wenige Wochen zuvor für 2019 bei Forward Racing und deren künftigem Partner MV Agusta unterschrieben. Manzi wird in der Aussendung zitiert mit: "Im Rennen war ich schnell und lag an der 11. Position, dann endete mein Rennen aufgrund einiger Berührungen früher als erwartet, was mich enttäuscht." Dieses weichgespülte Zitat deckt sich nicht mit Manzis tatsächlichen Aussagen nach dem Rennen. Gegenüber italienischen Medien spricht er davon, dass Fenati "ihn töten wollte".

Ca. 19:20 Uhr: Das Marinelli Snipers Team, bei dem Fenati unter Vertrag steht, stellt sich demonstrativ hinter seinen Fahrer und veröffentlicht folgendes Statement auf Facebook: "Wir stimmen überein, dass das unverzeihbar war. Für alle, die fragen, was wir nun unternehmen werden: Wir akzeptieren die Sperre für unseren Fahrer und danken der Rennleitung für den professionellen Umgang mit dieser Situation. Wir danken auch dem Forward Team für seine Kooperation. Ironischerweise ist Forward Romanos nächstjähriger Rennstall und wir alle wollen diese Episode rasch hinter uns lassen. Der Fahrer muss nun seinen Fehler einsehen und noch einmal neu durchstarten, um ein neues Bild zu kreieren und mit Würde an die Strecke zurückkehren zu können." Ein Statement, das die Marinelli Snipers im Laufe des Montagvormittags wieder von ihrer Seite löschen.

Abendstunden: Fenatis Aktion hat es in die Sportnachrichten großer TV-Sender geschafft, die sonst nie über die Motorrad-WM berichten. In den sozialen Medien bricht ein wahrer Shitstorm über Romano Fenati herein. Auch MotoGP-Piloten beteiligen sich: So echauffiert sich etwa Scott Redding via Instagram über die seiner Meinung nach zu geringe Strafe - und bekommt rasch über 25.000 Likes für seine Aussage. Auf Motorsport-Magazin.com ist die Story über Fenatis Aktion die mit Abstand meistgelesene des Tages.

MONTAG, 10. SEPTEMBER

Frühmorgens: Das Thema prangt auf den Sportseiten vieler Tageszeitungen weltweit, die der MotoGP sonst kaum Raum widmen. Auf Instagram meldet sich Giovanni Castiglioni, der Boss von MV Agusta, zu Wort: "Das war das Schlimmste und Traurigste, was ich je in einem Motorradrennen gesehen habe. Ein wahrer Sportsmann würde nie so handeln. Wenn ich die Dorna wäre, würde ich ihn aus der Weltmeisterschaft verbannen. In Bezug auf seine künftige Position als Fahrer von MV Agusta Moto2, werde ich mich persönlich gegen ihn einsetzen. Er repräsentiert nicht die Werte unseres Unternehmens."

MV Augusta nahm auf Instagram Stellung, Foto: Screenshot/Instagram
MV Augusta nahm auf Instagram Stellung, Foto: Screenshot/Instagram

12:13 Uhr: Das Marinelli Snipers Team revidiert seine Aussagen vom Vortag und entlässt Romano Fenati mit sofortiger Wirkung aus seinem Vertrag. Ab Motegi hätte der Italiener wieder fahren können, doch der italienische Rennstall zieht die Konsequenzen aus der Aktion von Misano.

Mittagsstunden: Romano Fenati meldet sich auf seiner Webseite zu Wort und entschuldigt sich, versucht aber auch, seine Aktion zu rechtfertigen. In einem Auszug seiner Stellungnahme heißt es: "Es war eine beschämende Aktion. Ich war in diesem Moment kein Mann. Ein Mann hätte das Rennen beendet und dann bei der Rennleitung versucht, Gerechtigkeit für die vorangegangenen Manöver zu erreichen. Ich hätte auf diese Provokationen nicht reagieren sollen." Später wird er diesen Eintrag wieder von seiner Webseite entfernen.

15:33 Uhr: Akkordiert veröffentlichen Forward Racing und MV Agusta getrennte, aber exakt wortgleiche Presseaussendungen, in denen die Aufkündigung des Vertrages mit Romano Fenati für die Saison 2019 kommuniziert wird. Somit hat der Italiener binnen weniger Stunden seinen aktuellen und seinen nächstjährigen Arbeitsvertrag verloren.

Abendstunden: Die Staatsanwaltschaft in Rimini kündigt an, eine Anklage gegen Fenati wegen des Straftatbestandes des versuchten Mordes in Betracht zu ziehen. Zuvor wolle man allerdings gemeinsam mit der Rennleitung umfassend Videomaterial von der Aktion sichten.

DIENSTAG, 11. SEPTEMBER

Frühmorgens: Die italienische Zeitung "La Repubblica" veröffentlicht ein Interview mit Fenati. In diesem tätigt er unter anderem folgende Aussage: "Die Weltmeisterschaft ist für mich abgeschlossen. Ich werde dort nie wieder fahren. Ich werde jetzt für eine Weile im Eisenwarenladen meines Opas arbeiten, mit ihm und meiner Mutter."

Ca. 13.45 Uhr: Der italienische Motorradsport-Verband FMI entzieht Fenati mit sofortiger Wirkung die nationale Rennlizenz und ordert den Piloten zum Rapport drei Tage später im Hauptsitz in Rom. Das entsprechende Dokument macht auf Twitter rasch die Runde. Somit kann der Pilot ab diesem Zeitpunkt an keinerlei Rennen teilnehmen, die vom FMI veranstaltet werden (etwa die italienische Meisterschaft) oder die eine nationale Rennlizenz erfordern. Für die Teilnahme an der Motorrad-WM ist eine solche Lizenz nicht zwingend notwendig.

19:51 Uhr: Der Motorrad-Weltverband FIM äußert sich zum ersten Mal zu dem Vorfall. "Angesichts der ungeheuerlichen und schockierenden Natur der Aktion von Herrn Fenati, nahm sich die FIM einige Zeit, um in Ruhe über diesen Vorfall, der starke Emotionen in der Welt des Motorradsports und darüber hinaus hervorgerufen hat, nachdenken zu können", heißt es in der Presseaussendung. Fenati wird für die darauffolgende Woche in das FIM-Hauptquartier der FIM zitiert, wo er sich für seine Aktion verantworten muss. Der Weltverband will erst danach über weitere Sanktionen entscheiden.

DONNERSTAG, 13. SEPTEMBER

Stefano Manzi rudert nach seiner harschen Kritik in einem TV-Interview zurück und kehrt vom Vorwurf des versuchten Mordes ab. "Es war eine miese Aktion von ihm, aber er wollte sich nicht absichtlich so schlecht verhalten. Ich bin bereit, ihm zu verzeihen, wenn die Sache eines Tages abgekühlt ist. Ich habe keine Anzeige eingebracht und will diese Sache abschließen", sagt der Italiener.

FREITAG, 14. SEPTEMBER

In Rom stellt sich Romano Fenati der Anhörung vor dem italienischen Verband FMI. Dort kann er keine Strafmilderung erwirken, seine nationale Rennlizenz bleibt auf unbestimmte Zeit ausgesetzt. Für einen Start in der Weltmeisterschaft ist eine solche allerdings nicht zwingend notwendig.

DIENSTAG, 18. SEPTEMBER

In der Schweiz muss sich Fenati vor FIM-Präsident Vito Ippolito und FIM Deputy CEO Richard Perret erklären. Nach dem Gespräch berät der Motorrad-Weltverband tagelang über eine mögliche Ausweitung der Strafe. In den italienischen Medien geht indes das Gerücht um, Fenati könnte im Zuge einer Kampagne für mehr Sicherheit auf der Straße eine Art Bußdienst tun.

FREITAG, 21. SEPTEMBER

11:51 Uhr: Der Motorrad-Weltverband FIM hat sich zu einer Strafverschärfung durchgerungen: Fenatis Sperre wird von zwei auf sechs Rennen ausgeweitet und der Verband entzieht ihm die für die WM nötige FIM-Lizenz. Damit hat er bis Saisonende ein Startverbot in der Motorrad-WM. Explizit weist die FIM in ihrem Schreiben aber auf folgenden Sachverhalt hin: "Eine neue FIM-Lizenz für die Saison 2019 könnte entsprechend den Regularien der FIM erteilt werden."

MITTWOCH, 26. SEPTEMBER

Die Staatsanwaltschaft in Rimini leitet Ermittlungen gegen Romano Fenati ein. Allerdings geht es dabei nicht mehr um den Vorwurf des versuchten Mordes, dieser erwies sich als haltlos. Fenati wird allerdings der Straftatbestand der Gewaltanwendung zur Last gelegt. Somit sind neben den sportlichen auch zivilrechtliche Konsequenzen zu befürchten.

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