Franco Morbidelli hat sich in Sepang zum Weltmeister der Moto2 gekürt. Völlig verdient, denn seit ihm in Assen 2016 der Knoten geplatzt ist, mischte er in beinahe jedem Rennen um die Podestplätze mit. Italien hat somit zum ersten Mal seit 2009 wieder einen Motorrad-Weltmeister.

Damals triumphierte zum insgesamt neunten und bislang letzten Mal Valentino Rossi. Jener Mann, ohne den Morbidelli heute weder Weltmeister wäre, noch im kommenden Jahr MotoGP fahren würde. Denn der 22-Jährige ist seit der Gründung im Frühjahr 2014 ein Mitglied von Rossis VR46 Riders Academy und nun die vorläufige Krönung dieses Nachwuchsprogramms.

Teenager-Karriere vor dem Aus

Vor wenigen Jahren stand Morbidellis Karriere noch vor dem Aus. Fehlender finanzieller Rückhalt in der Heimat machten im Winter 2011/12 den so wichtigen Sprung in die spanischen Nachwuchsklassen unmöglich. "Ich hatte nur zwei Optionen: Entweder auf 600ccm Superstock-Maschinen auszuweichen oder das Rennfahren komplett aufzugeben", gestand mir Morbidelli in einem Interview für die Printausgabe von Motorsport-Magazin.com vor wenigen Monaten und fügte hinzu: "Ich habe mich damals nicht mehr ernsthaft mit dem Thema MotoGP auseinandergesetzt."

In den europäischen Superstock-Klassen drehte der Teenager seine Runden fernab der Augen aller wichtigen Teamchefs aus der Motorrad-WM. Doch er sollte seinen Weg machen. Der Herbst 2013 markierte den Wendepunkt in seiner Karriere: Morbidelli krönte sich zum Superstock-Europameister, bekam eine erste Chance per Wildcard in der Moto2 und wurde offiziell Mitglied von Rossis Motorrad-Akademie. Am Weihnachtstag 2013 kam schließlich der erlösende Anruf, dass es mit dem ersten Vertrag in der Weltmeisterschaft geklappt hat.

Solide Steigerung in der Moto2

Der Rest ist Geschichte: Morbidelli holte 75 Punkte im Debütjahr, steigerte sich trotz einer Verletzungspause von vier Rennen im zweiten auf 90 und mischte 2016 mit 213 Punkten zum ersten Mal in der Gesamtwertung vorne mit. Für viele Experten ging er als Favorit in die Saison 2017 und erfüllte diese Rolle voll und ganz. Unglaublich, aber wahr: Erst vor rund sieben Monaten gewann Morbidelli in Katar sein erstes Moto2-Rennen. Nun steht er als Weltmeister da und wird in wenigen Wochen beim Test in Valencia zum ersten Mal auf einem MotoGP-Bike Platz nehmen.

Akademie-Großmeister Rossi wird dann zum allerersten Mal gegen einer seiner Schützlinge antreten. Sein Förderprogramm, das einst mit dem Ziel gegründet wurde, die italienische Motorrad-Nation wieder aus dem Schatten der spanischen treten zu lassen, hat somit binnen vier Jahren aus einem Nobody auf einem Superstock-Bike einen hoffnungsvollen MotoGP-Fahrer geschmiedet.

Und Morbidelli ist erst der Anfang. Denn mit Stefano Manzi, Luca Marini, Francesco Bagnaia, Lorenzo Baldassarri und Romano Fenati fahren 2018 zumindest fünf aktuelle oder ehemalige VR46 Academy Rider in der Moto2-Klasse. Damit beginnt für Rossi auch allmählich die "Zeit der Ernte". Denn so löblich und glaubhaft Rossis Anspruch mit seiner Akademie auch ist: Am Ende des Tages geht es auch darum, über Management-Verträge am Erfolg seiner Schützlinge finanziell mitzuschneiden. So gesehen ist Morbidelli 2018 Rossis wichtigste Aktie. Und der frischgebackene Weltmeister wird seinen Meister wohl nicht enttäuschen.