Alex Zanardi bei den 24 Stunden von Daytona - es war ein großes Spektakel in allen Belangen. Während Fernando Alonso mit Wayne Taylor Racing den Langstreckenklassiker gewann, war Zanardi der Sieger der Herzen. Experten waren sich einig: Die Leistung des beinamputierten 52-Jährigen bei der nervenaufreibenden 57. Ausgabe des 24 Rolex At Daytona war unvergleichlich. Motorsport-Magazin.com liefert die wichtigsten Antworten rund um Zanardis Daytona-Einsatz, dem zweiten Langstreckenrennen seiner Karriere nach den 24h Spa 2015.

1. - War Zanardi wirklich konkurrenzfähig?

Ja, war er absolut. "Alex sagte mir im Vorfeld des Rennens, dass er nicht das schwächste Glied in der Kette sein will", erklärte BMW Motorsport Direktor Jens Marquardt bei Motorsport-Magazin.com. "Dass er ein begnadeter Rennfahrer ist, hat er oft genug gezeigt. Wir wollten ihm ein System geben, mit dem er seine Fähigkeiten noch mal zum Tragen bringen kann."

Zanardi startete mit seinen BMW Team RLL Teamkollegen John Edwards, Jesse Krohn und Chaz Mostert in einem BMW M8 GTE, in dem er ohne Prothesen fahren und Gas sowie Bremse über ein spezielles Lenkrad kontrollieren konnte. Marquardt: "Das Auto ist auf normalen Gebrauch ausgelegt. Wenn Alex das Lenkrad aufsteckt, erkennt das die ECU und die Kontrollelemente wechseln auf die Zanardi-Spezifikationen."

Im 24-Stunden-Rennen (eher: 23:50-Stunden-Rennen wegen vorzeitigem Regenabbruch) lieferte Zanardi im Werksauto ab: Für seine schnellste Runde benötigte er 1:43.267 Minuten, die Zeit fuhr er in Runde 20. 11 Runden später erzielte Teamkollege John Edwards seine persönliche Bestzeit in 1:43.257 Minuten - also nur eine Hundertstelsekunde schneller als Zanardi.

Jesse Krohn und Chaz Mostert waren auf ihren schnellsten Runden etwa 1,5 Zehntel schnell unterwegs. Die schnellste Runde in der GTLM-Klasse ging auf das Konto des erst 18-jährigen Colton Herta bei seinem ersten GT-Rennen im Schwester-BMW: 1:42.908 Minuten, aufgestellt in der 64. Runde.

Arbeitsprotokoll: BMW Team RLL #24 in Daytona

Pers. BestzeitRunden insgesamt
Alex Zanardi1:43.267 (R20)152
Jesse Krohn1:43.105 (R5)158
John Edwards1:43.257 (R31) 150
Chaz Mostert1:43.104 (R34)93

2. - Wie viel ist Zanardi im Rennen gefahren?

152 Runden im Verlauf des extrem regnerischen Rennens mit 17 Gelbphasen und zwei längeren Unterbrechungen. Somit saß Zanardi 7:15 Stunden im Rennauto. Ein weiterer Beleg dafür, dass Zanardi viel mehr war als nur ein prominenter Fahrer, der für großes Medieninteresse sorgte. Tatsächlich kam er auf mindestens so viel Fahrzeit wie seine drei wesentlich jüngeren (und mit Beinen...) Teamkollegen. Mehr Runden als Zanardi legte im Team nur der 28-jährige Jesse Krohn (158 Runden) zurück.

Zanardi absolvierte insgesamt drei Stints bei sämtlichen Witterungsbedingungen. Hinter Startfahrer Edwards stieg er zur 45. Runde erstmals in den M8 und legte 43 Umläufe zurück. Seinen zweiten Einsatz absolvierte Zanardi von der 281. bis zur 344. Runde. Den Schlussstint über 45 Runden Distanz fuhr Zanardi in den Runden 466-510. BMW-Boss Marquardt: "Bei Langstreckenrennen geht es ja darum, dass du 24 Stunden lang fit und belastbar bist. Das Feedback unserer Ingenieure lautete, dass ihm in Sachen Fitness kaum einer das Wasser reichen kann."

Zanardis Einsatzzeiten in Daytona

StintVon... BisAnzahl Runden
1. Stint45-8743
2. Stint281-34464
3. Stint466-51045

3. - Wo landeten Zanardi und Co. im Vergleich?

Der #24 BMW M8 GTE mit Zanardi/Krohn/Edwards/Herta beendete das Rennen auf dem neunten und letzten Platz in der GTLM-Klasse. Durch technische Probleme in der Anfangsphase und eine damit verbundene Reparaturphase verlor das Team bereits acht Runden - und hatte quasi keine Chancen mehr auf den Klassensieg.

Bis zur Rennhälfte gelang es Zanardi und Co. zwar, sich bis auf drei Runden Rückstand an den Rest des Feldes heranzukämpfen, doch eine Kollision zur 13. Stunde mit Krohn am Steuer zog einen weiteren ungeplanten Aufenthalt in der Boxengasse nach sich. Beim vorzeitigen Rennabbruch hatte der #24 BMW 18 Runden Rückstand auf das Siegerauto in der GTL-Klasse.

Was theoretisch (vor allem bei den chaotischen Verhältnissen zum Schluss) möglich gewesen wäre, zeigte der Schwester-BMW mit der Startnummer 25. Der Österreicher Philipp Eng, Connor De Phillippi, Colton Herta und Augusto Farfus - der Tom Blomqvist wegen dessen Visa-Problemen kurzfristig ersetzte - sicherten sich den Klassensieg.

"Ein bittersüßes Rennen", sagte Zanardi. "Bitter wegen des Ergebnisses, da wäre mehr drin gewesen. Das Team war stark und der Speed gut, aber wir hatten Pech. Wer weiß, was möglich gewesen wäre, wenn wir am Ende in der Führungsrunde gefahren wären... Aber: Selbst mit zehn Beinen hätte ich nicht das geschafft, was Augusto (Farfus) in den letzten zwei Stunden gelungen ist. Das war erstaunlich!" Der Brasilianer hatte sich die Führung mit einem mutigen Überholmanöver gesichert, kurz bevor das Rennen abgebrochen und nicht wieder aufgenommen wurde.

So stark waren Alonso & Zanardi bei den 24H Daytona 2019 (VLOG) (13:09 Min.)

4. - Was steckte hinter dem Lenkrad-Problem?

Um 15:56 Uhr Ortszeit, also rund eineinhalb Stunden nach dem Rennstart, stieg Zanardi zum ersten Mal in den BMW M8, nachdem Edwards den ersten Stint beendet hatte. Der Fahrerwechsel klappte reibungslos, doch dann kam es zum großen Drama: Zanardi konnte sein spezielles Lenkrad nicht korrekt auf der Lenkstange befestigen!

Immer wieder zog Zanardi das Lenkrad ab und steckte es neu auf. Auch ein Ersatzlenkrad brachte keine Besserung. Erst nach einer Minute klappte es plötzlich und der Italiener konnte zu seinem Stint starten. Das Problem: Zanardi steckte das Lenkrad in dem Moment auf, als die Mechaniker den BMW von den Fahrzeughebern herunterließen. Durch die Erschütterung wurde die Lenksäule beschädigt.

Das machte sich bemerkbar, als Jesse Krohn nach dem Fahrertausch sein 'normales' Lenkrad aufsteckte. Nach fünf Minuten musste der Finne die Box erneut ansteuern. Die Reparatur der Lenksäule dauerte gut zwölf Minuten und brachte dem Team früh einen enormen Rundenrückstand ein. Besonders ärgerlich: Bei keinem der unzähligen Testläufe vor dem Rennen war ein derartiges Problem aufgetreten.

Alex Zanardi beim Fahrerwechsel im BMW M8 GTE, Foto: BMW AG
Alex Zanardi beim Fahrerwechsel im BMW M8 GTE, Foto: BMW AG

5. - Wie schätzt Zanardi seine Leistung ein?

Der 52-Jährige, der bei einem schweren Unfall 2001 auf dem Lausitzring beide Beine verlor: "Als bekanntgegeben wurde, dass ich ein Teil des BMW RLL Werksteams sein würde, wurde mein Stolz überschattet von der Verantwortung, gute Leistungen abzuliefern. Das ist mir hier gelungen und darauf kann ich stolz sein. Leider ist der Motorsport ein hartes Business. Es tut mir leid für die Ingenieure, die so viel Arbeit in dieses Projekt gesteckt haben. Es wäre keine Überraschung für mich gewesen, wenn wir das Rennen gewonnen hätten. Denn wenn das so wäre, würde ich es gar nicht mehr versuchen. Selbst als ich noch meine Beine hatte, dachte ich nie, dass ich der Beste sei. Ich wusste aber, dass ich überall gewinnen kann, wenn ich das richtige Material habe. Ich bin heute noch der gleiche Mensch wie früher. Es spielt nur eher das Alter als meine Behinderung eine Rolle."

6. - Wie geht es bei Zanardi weiter?

Es ist nicht auszuschließen, dass Zanardis zweites Langstreckenrennen gleichzeitig sein letztes gewesen sein könnte. Zu Motorsport-Magazin.com sagt der Fanliebling: "Wer weiß, ob das mein letztes Rennen ist. Ich denke da gar nicht dran. Ist ja auch kein Problem: Wenn noch etwas kommt - super! Und wenn nicht, dann eben nicht. Das Leben steckt voller Möglichkeiten und es gibt so vieles zu tun. Wichtig ist nur, dass ich die Neugierde behalte, die mich immer wieder antreibt."

Auch BMW hält sich bezüglich künftiger Motorsport-Projekte wie den 24 Stunden von Le Mans zusammen mit Zanardi bedeckt. Langweilig wird dem Champcar-Meister von 1997 und 1998 ohnehin nicht: Von September bis August 2020 startet Zanardi bei den Sommer-Paralympics in Tokio. Bei den Spielen 2012 in London und 2016 in Rio gewann er in der Handbike-Disziplin vier Gold- und zwei Silber-Medaillen.