Elf Teams mit 22 Fahrern starten zur achten Saison der Formel E, die am 28./29. Januar 2022 in Saudi-Arabien beginnt. Vor dem Startschuss und nach all den Wechseln sowie Neuzugängen im Starterfeld macht Motorsport-Magazin.com den Check: Wer behält bei den teaminternen Duellen die Oberhand?

Mercedes-EQ Formel E Team: Nyck de Vries & Stoffel Vandoorne

Das wird eines der spannendsten Team-Duelle in der Formel E 2022: der amtierende Weltmeister Nyck de Vries gegen den ständigen Titelanwärter Stoffel Vandoorne. Die Saison 2021 kann wegen der Qualifying-Lotterie nur bedingt als Gradmesser herangezogen werden, doch am Ende verhalf die Konstanz zum richtigen Zeitpunkt dem Niederländer zum WM-Titel. "Unterm Strich war es verdient", war sich de Vries sicher.

Dabei wäre Vandoorne ein nicht weniger verdienter Weltmeister gewesen. Hätte er beim Saisonauftakt in Saudi-Arabien nicht wegen eines Technik-Patzers die Pole verloren und wäre er in Rom sowie London nicht in Führung liegend abgeschossen worden, dann hätte es ebenso klappen können. Drei seiner fünf Pole Positions erzielte der frühere Formel-1-Fahrer allein in der vergangenen Saison und unter Experten gilt Vandoorne mit dem neuen Quali-Format sowie dem offenbar enorm starken Mercedes wieder als Favorit.

Jaguar Racing: Mitch Evans & Sam Bird

Jaguar gilt neben Weltmeister Mercedes und DS Techeetah als stärkstes Team im Starterfeld der Formel E. Mitch Evans wird seit mindestens drei Jahren als heißer Titelanwärter gehandelt, dabei ging ihm aber zu häufig die Puste im Endspurt aus. Der Neuseeländer punktet mit einer überragenden Konstanz, lässt aber die Big Points vermissen: 2021 wurde er Gesamtvierter mit fünf Podestplätzen bei null Siegen.

Bird zählte in seiner ersten Saison bei Jaguar zu den großen Pechvögeln, in sieben von 15 Rennen sah der Brite nicht die Ziellinie. Dem entgegen stehen zwei Siege - Nummer zehn und elf seiner starken Bilanz in der Formel E. Jaguar hat Birds Vertrag vor dem Saisonstart vorzeitig verlängert - weil der Hersteller weiß, dass er ein absoluter Titelfavorit ist, wenn er es konstant ins Ziel schafft. Nie zuvor standen seine Titelchancen besser als 2022.

DS Techeetah: Antonio Felix da Costa & Jean-Eric Vergne

Antonio Felix da Costa ist es nach dem Titelgewinn 2020 erneut gelungen, den zweifachen Champion Jean-Eric Vergne im teaminternen Duell zu schlagen. Mehr Beweise braucht es nicht, um zu zeigen, wie gut der Portugiese wirklich ist. Felix da Costas Sieg in Monaco war ein Meisterwerk, aber es blieb auch sein einziger in der abgelaufenen Saison.

Er tat sich zeitweise auf der Bremse des Techeetah-Rennwagens ähnlich schwer wie Vergne, beide erlebten eine Saison mit abwechselnden Höhe- und Tiefpunkten - das gilt auch für das Team und anhaltende Gerüchte über einen Verkauf der Techeetah-Anteile. Vergne hat seinen Biss in der Formel E längst nicht verloren, stellt sich dieses Jahr aber noch einer weiteren Herausforderung: Als Peugeot-Werksfahrer muss er das neue Hypercar für die WEC entwickeln. Kann sich der ehemalige Formel-1-Pilot auf zwei Großprojekte fokussieren?

Envision Racing: Robin Frijns & Nick Cassidy

Robin Frijns hat 2021 mit dem Gewinn der European Le Mans Series und dem Klassensieg in Le Mans auf der Langstrecke abgeräumt wie kaum ein anderer Fahrer. In der Formel E jagt der ehemalige DTM-Fahrer dem Titel aber weiter hinterher. Letzte Saison wäre es beinahe soweit gewesen, doch wieder einmal verließ Frijns das nötige Glück.

Fragezeichen stehen hinter der Stärke des Teams, das ein letztes Mal die Motoren von Formel-E-Aussteiger Audi nutzt. Hält das Paket, muss Frijns wieder zu den Titelanwärtern gezählt werden. Teamkollege Nick Cassidy hat sich 2021 als der Allrounder erwiesen, als der er unter Experten ohnehin gilt. Der Formel-E-Rookie aus Neuseeland holte nur 13 Punkte weniger als der erfahrene Frijns und setzte mit Podestplätzen in Puebla und New York echte Ausrufezeichen.

Bosch Motorsport: Technische Insights zur Formel E 2022: (04:01 Min.)

Andretti Avalanche: Jake Dennis & Oliver Askew

Es war absolut beeindruckend, wie sich Jake Dennis 2021 bei seinem Formel-E-Debüt schlug: Im teaminternen Duell bei Aussteiger BMW setzte er sich nicht nur gegen Maximilian Günther durch, sondern schrammte als Gesamtdritter sogar nur knapp an der WM-Sensation vorbei. Siege bei der Energie-Schlacht in Valencia und auf dem neuen Kurs in London waren absolute Glanzleistungen.

Dennis bleibt Andretti nach dem BMW-Ausstieg erhalten und muss hoffen, dass die Performance durch den Herstellerausstieg nicht rapide absackt. Die BMW-Ingenieure sind weg, geblieben ist nur der Antriebsstrang aus München. Mit Oliver Askew erhält Dennis ein hierzulande unbeschriebenes Blatt als Teamkollegen. Der US-Amerikaner weist einen Titelgewinn in der Indy Lights-Serie 2019 auf, konnte in der US-Topklasse aber kaum glänzen. Sollte teamintern eine glasklare Angelegenheit für Dennis werden.

Venturi Racing: Edoardo Mortara & Lucas di Grassi

Mit der Verpflichtung von Ex-Audi-Fahrer Lucas di Grassi ist Venturi ein echter Coup gelungen. Der 37-Jährige bildet zusammen mit dem amtierenden Vize-Weltmeister Edoardo Mortara (35 Jahre) eines der erfahrensten Duos in der Formel E. Ein Favorit lässt sich im Team von CEO Susie Wolff nur schwer ausmachen.

Mortara könnte einen leichten Vorteil genießen, weil er die Mannschaft und den Mercedes-Kundenmotor besser kennt als di Grassi. Der ehemalige Champion aus Brasilien dürfte dank seiner Routine aber nicht lange für die Anpassung benötigen und hat 2021 mit dem Sieg in Berlin und seinem Beinahe-Boxengassen-Sieg in London gezeigt, dass er noch längst nicht zum alten Eisen gehört. Größte Aufgabe von Teamchef Jerome D'Ambrosio: Die beiden durchaus aufbrausenden Charaktere in den Griff zu bekommen.

Porsche: Pascal Wehrlein & Andre Lotterer

Es könnte die Formel-E-Saison von Pascal Wehrlein werden: Der frühere DTM-Champion und Formel-1-Fahrer zählt zu den besten Qualifying-Piloten der Serie und kann von den Regeländerungen eigentlich nur profitieren. Wehrleins Renn-Bilanz fiel 2021 auch wegen des verlorenen Sieges und Podiums in Mexiko eher mau aus, dennoch hatte er Teamkollege Andre Lotterer meist im Griff.

Der dreifache Le-Mans-Sieger bleibt auch mit seinen inzwischen 40 Jahren eine Wundertüte. Porsches erster Podestfahrer in der Formel E erlebte 2021 einen katastrophalen Saisonstart, rappelte sich im weiteren Verlauf des Jahres aber auf. In der anstehenden Saison muss Lotterer eine ordentliche Schippe drauflegen, um Wehrlein gefährlich werden zu können.

Mahindra: Alexander Sims & Oliver Rowland

Alexander Sims erhält bei Mahindra mit Oliver Rowland einen neuen Teamkollegen, der 2021 bei Nissan nicht an seine zunächst aufstrebende Form in der Formel E anknüpfen konnte. Seine Saison verlief nicht ganz so miserabel wie die von Sims, aber beide Briten haben gehörigen Nachholbedarf. Vorteil Sims: Der frühere BMW-Werksfahrer kennt das Mahindra-Team bereits. Vorteil Rowland: Er gilt als deutlich stärkerer Fahrer im wichtigen Qualifying.

Nissan e.dams: Sebastien Buemi & Maximilian Günther

Maximilian Günther hat nach dem Formel-E-Ausstieg seines ehemaligen Arbeitgebers BMW bei Nissan einen neuen Vertrag als Werksfahrer ergattert. Bei den Japanern trifft der 24-Jährige mit Sebastien Buemi auf den nach Siegen (13) erfolgreichsten Piloten in der Geschichte der Formel E. Und auf einen Schweizer, der eine absolute Horror-Saison hinter sich hat: Platz 21 in der Meisterschaft für den dreifachen Le-Mans-Sieger.

Auch Günthers Saison mit BMW verlief nicht wie erwünscht, in New York erzielte er den einzigen Sieg und damit den dritten seiner Karriere. Der Allgäuer muss sich im Gegensatz zu Buemi an die doch etwas speziellen Abläufe der japanisch-französischen Nissan-e.dams-Kollabo gewöhnen und könnte zumindest zum Saisonbeginn das Nachsehen haben, wenn Buemi an seine erfolgreichen Zeiten anknüpfen kann.

Maximilian Günther wechselt von BMW zu Nissan, Foto: LAT Images
Maximilian Günther wechselt von BMW zu Nissan, Foto: LAT Images

Dragon/Penske Autosport: Sergio Sette Camara & Antonio Giovinazzi

Aus der Formel 1 direkt in die Formel E: Das muss ein kleiner Kulturschock für Antonio Giovinazzi gewesen sein, der nach seinem Rauswurf bei Alfa Romeo eine neue sportliche Heimat gefunden hat. Bei Dragon/Penske erwartet den Italiener ein Team mit chaotischen Zügen, das durch Besitzer Jay Penske seit jeher ein Fable für Fahrer mit Formel-1-Strahlkraft hat.

Für Giovinazzi dürfte es ähnlich schwierig werden wie für Teamkollege Sergio Sette Camara, echte Glanzlichter zu setzen. Der Brasilianer überraschte in seiner ersten vollen Formel-E-Saison mit dem vierten Platz in Saudi-Arabien, fuhr im weiteren Verlauf aber nur noch einmal in die Punkte. 2022 müssen beide Fahrer noch einmal mit dem zweifelhaften Eigenbau-Antriebsstrang ran, bevor Dragon/Penske ab 2023 vermutlich seinen Hersteller-Status zugunsten eines Kundenmotors abgeben wird.

NIO 333 FE Team: Oliver Turvey & Daniel Ticktum

Formel-E-Veteran Oliver Turvey erhält mit Dan Ticktum in seiner siebten vollen Saison mit NIO wieder einmal einen neuen Teamkollegen. Der 22-Jährige steigt als 'Enfant terrible' des Nachwuchssports in die Formel E ein: hochtalentiert, aber nicht selten schwierig im Umgang. Aber: Wer zweimal den Macau GP der Formel 3 gewonnen hat (2017, 2018), sollte auch auf den Stadtkursen der Elektro-Rennserie zurechtkommen.

Ebenso wie der durchaus talentierte Turvey, dürfte sich auch Ticktum mit dem unterlegenen NIO-Auto schwertun. Experten erwarten, dass Turvey zumindest in der ersten Saisonhälfte die Oberhand behält, Ticktum ihm im späteren Verlauf aber nahekommen könnte.