Einen leisen Abgang legten Audi und BMW nach ihren mehrjährigen Werksengagements in der Formel E beim Heimspiel in Berlin nicht hin. Audi-Urgestein Lucas di Grassi brachte sich mit seinem Sieg am Samstag wieder zurück in den Kampf um den ersten WM-Titel der Elektrorennserie. Nach dem Durcheinander beim Start zum Sonntagsrennen war Jake Dennis im BMW zeitweise der aussichtsreichste Kandidat um den Gesamtsieg in der Saison 7.

Bis zum 15. und letzten ePrix des Jahres waren noch alle vier Werksfahrer der beiden bayerischen Automobilbauer im WM-Rennen. Audi hatte mit Robin Frijns und Nick Cassidy vom Kundenteam Virgin zwei zusätzliche Eisen im Feuer.

Mit 20 Punkten Rückstand auf WM-Leader Nyck de Vries hatte Rene Rast am Sonntag aber allenfalls noch rechnerische Chancen auf den Titelgewinn. Er qualifizierte sich als 19. für den abschließenden ePrix. Trotz der wenig aussichtsreichen Ausgangslage ließ die Abt-Audi-Crew nichts unversucht, um Rast durch die Strategie nach vorne zu bringen.

Der 34-Jährige startete aus der Boxengasse. So sollte er nach dem Start einen Teil der ersten Runde und damit Energie sparen. Am Ende reichte es für ihn zu Rang neun. Rast gelang eine Aufholjagd, wie er sie im Laufe des Jahres bereits mehrfach gezeigt hatte. "Du fährst ein perfektes Rennen, landest nur auf Platz neun und nimmst zwei Punkte mit. Das ist dieses Jahr oft so. Man kann fast nur noch darüber lachen", nahm der gebürtige Mindener die Situation im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com mit Humor. "Heute können wir damit zufrieden sein. Es war das Maximum."

Schon beim vorherigen ePrix in London zeigten die Audi-Strategen bis zum Schluss vollen Einsatz. In einer Safety-Car-Phase loteten sie die Grenzen des Reglements aus, als sie di Grassi in die Box beorderten, nur damit er so einige Sekunden sparen und sich an die Spitze des Feldes setzen konnte. Sportlich scheiterte der Strategietrick daran, dass der Brasilianer vor der Audi-Box nicht vollständig zum Stillstand kam. Das Team stolperte aber über seine interne Kommunikation und die mit der Öffentlichkeit.

Rasts Galgenhumor beweist: Der dreifache DTM-Champion hat durchaus noch eine Rechnung mit der Formel E offen. Das Aus nach nur einer Saison fällt ihm nicht leicht. "Ich würde schon gerne weiter machen. Du hast ein Feld mit 24 Fahrern auf höchstem Niveau und die zwölf Hersteller sind ebenfalls absolute Weltklasse. Es ist eine riesengroße Herausforderung, das Gesamtpaket zusammenzubekommen. Ich liebe Herausforderungen. Es würde mich schon reizen, mit Audi im Winter an ein paar Stellen zu arbeiten, um es im nächsten Jahr besser hinzubekommen. Aber die Chance haben wir ja nicht."

Audi-Werksvertrag erschwert Formel-E-Planungen

Rasts Verpflichtungen als Audi-Werksfahrer erschweren die Planungen mit anderen Teams erheblich. "Ich müsste jetzt einem Team zusagen, ohne zu wissen, was ich nächstes Jahr mache. Wahrscheinlich hat Audi immer Priorität. Wenn ich jetzt einem Formel-E-Team zusage und Audi entscheidet sich, mich in einer Rennserie einzusetzen und das kollidiert, kann ich mein Formel-E-Abkommen nicht erfüllen. Ich hatte zwar Angebote, aber die konnte ich nicht zeitnah beantworten", sagte er zu Motorsport-Magazin.com. Er sieht seine Zukunft bei Audis künftigen neuem LMDh-Projekt.

Sein Teamkollege di Grassi ist offenbar in einer komfortableren Situation, was seine weitere Karriereplanung angeht. Der 37-Jährige hat laut eigenen Aussagen Optionen auf ein Cockpit bei zwei Teams. Nach Informationen von Motorsport-Magazin.com soll Venturi einer der infrage kommenden Rennställe sein. Das von Susie Wolff geführte Team erhält Kunden-Antriebe von Mercedes.

Privateinsatz für Abt schwer zu realisieren

In den ersten drei Saisons setzte die Abt-Crew die Fahrzeuge mit Audi-Unterstützung in Eigenregie ein und danach als offizielles Werksteam des Ingolstädter Konzerns. Wie es mit den Äbten in der Formel E weitergeht, steht aktuell noch nicht fest. Ein Einsatz als Privatteam ist mit Kosten zwischen 13 und 15 Millionen Euro pro Saison ist zwar deutlich teurer als in den ersten Formel-E-Jahren, aber nicht ausgeschlossen. Eine Entscheidung soll in den kommenden zwei Wochen fallen.

Technologiepartner Schaeffler war seit dem Beginn des Formel-E-Projekts ein wichtiger Bestandteil des Abt-Einsatzes. Das Unternehmen aus Herzogenaurach stellte bei 84 ePrix sein Know-how bei der Elektrifizierung von Antriebssträngen unter Beweis. "Motorsport war und ist ein wichtiges Element der Schaeffler-DNA", sagt Matthias Zink, Vorstand Automotive Technologies der Schaeffler AG. "Unsere Engagements in der Formel E und nun in der DTM belegen Pioniergeist und Innovationskraft und unterstreichen unseren Anspruch, als Technologiepartner Fortschritt zu gestalten, der die Welt bewegt." Es wird an einer 'DTM Electric' gearbeitet. Wesentliche Antriebselemente sollen von Schaeffler entwickelt werden.

Zink weiter: "Wir danken Audi Sport, Abt Sportsline und allen Partnern für diese so erfolgreiche Zusammenarbeit in der Formel E. Ein besonderer Dank gilt unseren Fahrern und ehemaligen Fahrern Lucas di Grassi, René Rast und Daniel Abt für ihren hohen persönlichen Einsatz."

Schaeffler-Vorstand Matthias Zink im großen Exklusiv-Interview: (30:49 Min.)

Hattrick beim Heimspiel und zwei Formel-E-Titel

Rast hat Mitgefühl hat mit der Abt-Crew, für die eine lange Zeit in der Formel E zu Ende geht. "Man merkt schon, dass die Jungs bedrückt und traurig sind. Manche sind von Anfang an dabei. Es tut mir leid, sie so zu sehen. Sie wissen nicht, ob sie nächstes Jahr noch einen Job haben", sagte er. "Für mich war es das erste Jahr. Ich hatte wenige emotionale Momente. Das ist anders als die vier Jahre in der DTM, in denen es viele Situationen gab, an die man denkt."

Lucas di Grassi ist einer derjenigen, der von Anfang an zum Team gehört. Er feierte für Abt zwölf Siege. Zwei weitere Erfolge fuhr Daniel Abt ein. Der heutige Sat.1-Experte ist einer von drei Fahrern, denen bislang der Hattrick aus Pole Position, Sieg und schnellster Runde in einem Rennen gelungen ist - ausgerechnet 2018 bei seinem Heimspiel in Berlin. Audis größte Erfolge waren der Gewinn der Fahrerwertung durch di Grassi in der Saison 3 sowie der Teamwertung in der darauffolgenden Saison.

Für Andretti geht es auch ohne BMW weiter

BMW debütierte in der Saison 2018/19 als Werksteam in der Formel E und nahm seitdem an 39 ePrix teil. Auch das Engagement der Münchner baute auf einem vorherigen Privateinsatz auf. Der Autobauer spannte mit dem US-amerikanischen Andretti-Team zusammen. Dessen Zukunft ist nach dem werksseitigen Ausstieg bereits gesichert. In der kommenden Saison, der letzten der Gen2-Boliden, werden die beiden Fahrzeuge weiterhin mit den bisherigen BMW-Antrieben ausgestattet. Mit dem diesjährigen Rookie Jake Dennis hat der Rennstall von Gründer Michael Andretti bereits den ersten Fahrer unter Vertrag genommen.

Maximilian Günther hat bislang noch kein Cockpit für die am 28. Januar 2022 in Diriyah beginnende Saison sicher. "Ich fahre nächstes Jahr in der Formel E, kann aber noch nicht sagen, wo", zeigte sich der dreifache ePrix-Sieger im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com optimistisch. "Ich bin überhaupt nicht besorgt. Im Gegenteil, ich bin entspannt. Ich werde meine Entscheidung in den nächsten Tagen und Wochen treffen und bekanntgeben. Die Chance ist sehr, sehr hoch, dass ich Formel E fahre. Man kann es praktisch schon als fix bezeichnen."

BMW erzielte in seinen drei Formel-E-Saisons sieben Siege. In der abgelaufenen Saison hatte das Team erstmals die Möglichkeit, bis zum letzten Rennen um den Gewinn der Gesamtwertung zu kämpfen. Dennis' dritter Platz im WM-Klassement ist das beste Saisonergebnis für einen Fahrer der bayerisch-US-amerikanischen Allianz.

Das Mercedes-Team, seit der Saison 2019/20 mit einem Werksteam in der Formel E vertreten, steht nach Informationen von Motorsport-Magazin.com nach Audi und BMW ebenfalls vor dem Aus. Der Rückzug aus der Formel E am Ende der folgenden Saison soll demnach in den kommenden Tagen verkündet werden. Auch bei den Silberpfeilen ist nicht ausgeschlossen, dass der Rennstall als von Toto Wolff geführtes Privatteam, in Zusammenarbeit mit Venturi oder in Verbindung mit Aston Martin eine Zukunft in der Rennserie hat. Einzig Porsche hat sich von den deutschen Autobauern langfristig zur Formel E bekannt. Das Werksteam aus Zuffenhausen wird auch in der Gen3-Ära an den Start gehen. Der Zyklus erstreckt sich über vier Saisons und beginnt in der Saison 2022/23.