Pro: Ausgeglichenheit spiegelt geringe Abstände wider

Florian Niedermair

Spannung pur! In einer Saison, in der die Formel E mit gewohnt actionreichen Rennen für viel Abwechslung sorgte, ist auch die Titelentscheidung eine Angelegenheit wie aus einem Thriller. 18 der 23 Fahrer, die die gesamte Saison bestreiten, können sich in Berlin noch zum ersten Formel-E-Weltmeister krönen.

Zugegeben, das Qualifying-Prozedere der Elektro-Rennserie ist dafür designt, den Außenseitern eine bessere Startposition zuzuspielen und die Top-6 der Meisterschaft zu bestrafen. Ein klarer Nachteil! Aber die Vergangenheit hat bewiesen, dass es dennoch möglich ist, gute Resultate einzufahren. Bestes Beispiel: Nyck De Vries. Der Mercedes-Pilot konnte sich in London aus der ersten Startgruppe für die Super-Pole qualifizieren und verpasste die Pole nur knapp. Antonio Felix da Costa missglückte dasselbe Kunststück in New York nur um Haaresbreite.

Es ist also möglich, sich aus der ersten Gruppe eine gute Startposition zu sichern. Außerdem bedeutet dank Attack Modes und Energie-Management ein schlechter Startplatz nicht automatisch, dass man auch unter ferner Liefen eintrudeln wird. Sofern die Pace und die Strategie passen, bietet sich immer die Chance auf etwas Zählbares, unter Umständen auch die Chance auf Siege und Podien.

Antonio Felix da Costa bewies in der vergangenen Saison, wie es gehen kann, als er sich zu Beginn des großen Berlin-Finales durch einen Doppelpack an Siegen vom Feld absetzen konnte. Dass es dem DS-Techeetah-Piloten in diesem Jahr keiner nachmachen konnte, beweist lediglich wie eng die Abstände zwischen den Teams in der siebten Formel-E-Saison inzwischen sind.

Contra: Viele Titelkandidaten sind gewollt und sorgen für Spannung, schaden aber der Formel E

Daniel Geradtz

18 Fahrer können vor den letzten beiden Saisonrennen der Formel E noch Weltmeister werden: Das hört sich nach einem ausgeglichenen Teilnehmerfeld an. Aber fachkundige Beobachter wissen, dass das vor allem am Qualifyingformat liegt. Nach dem Saisonauftakt in Saudi-Arabien gab es nach jedem zweiten Rennen einen Wechsel an der Spitze der WM-Wertung. Der jeweils Führende startete im darauffolgenden ePrix durchschnittlich von Platz 18,8. Punkte holte in diesen Rennen kein WM-Leader.

In einem Jahr, in dem die Events nahezu ausschließlich aus Doubleheadern bestehen und in dem es vor allem sonntags regelmäßig scheppert, kann ein hinterer Startplatz zu einem Problem werden. Denn Unfälle, bei denen Fahrer ausschieden oder Autos stark beschädigt wurden, haben wir stets im hinteren Teil des Feldes gesehen.

Das erste Rennen in Berlin könnte möglicherweise zu einem Taktikspiel werden. Die Fahrer könnten versuchen, Samstag so ins Ziel zu fahren, dass sie nicht in den Top-6 der Meisterschaft und damit nicht in der ersten Qualifyinggruppe sind. Etwas Ähnliches gab es 2004 beim Formel-1-Rennen in Silverstone. Im ersten Qualifying fuhren die Fahrer langsam oder drehten sich, um sich möglichst weit hinten zu platzieren. Dadurch wollten sie eine frühe Startposition im zweiten Qualifying erhalten, da die Teams für einen späteren Zeitpunkt Regen erwarteten. Der blieb aber aus. Wer am Berlin-Samstag absichtlich auf Punkte verzichtet, könnte am Ende blöd aussehen, wenn am Ende wenige Punkte über den WM-Titel entscheiden.

Nach den aktuellen Regeln werden in der Formel E gute Leistungen nicht belohnt, sondern bestraft. Selbst FIA-Präsident Jean Todt sprach bei einer Medienrunde in New York davon, dass die Formel E momentan vielleicht zu unvorhersehbar sei. Das ist Wasser auf die Mühlen der Kritiker.