Regeln sind Regeln, aber jetzt wird es schon sehr kurios: Pascal Wehrlein hat innerhalb von 24 Stunden zwei Podestplätze nachträglich und damit die mögliche Führung in der Formel-E-Weltmeisterschaft verloren. Mehr als drei Stunden nach dem Rennende kassierte der Porsche-Pilot eine 5-Sekunden-Zeitstrafe und fiel vom zweiten auf den vierten Platz zurück.

Grund für die Bestrafung beim Sonntagsrennen im mexikanischen Puebla: Falsche Benutzung des Fanboost! Der späte Zeitpunkt der Aktivierung im Rennen, als Wehrlein gegen den späteren Sieger Edoardo Mortara (Venturi) kämpfte, kostete in der Konsequenz ein weiteres Podium, nachdem der frühere Formel-1-Fahrer und DTM-Champion bereits am Samstag wegen falsch registrierter Reifen im Nachgang disqualifiziert und damit seinen ersten Formel-E-Sieg verloren hatte. Porsche hat offiziell Einspruch gegen den Wertungsausschluss eingereicht.

Was ging jetzt bei Wehrlein schief? Laut Erklärung der Rennleitung hätte die technische Analyse ergeben, dass Wehrlein seinen Fanboost zwar aktivierte, die per Reglement mindestens zu nutzende Energie von 240 kW aufgrund der geringen verbliebenen Energie im Auto jedoch nicht erreicht worden sei. Die maximale Energiemenge von 100 Kilojoule sei demnach nicht erreicht worden.

Hierbei handelt es sich gegen einen Verstoß des Sportlichen Reglement, Artikel 34.7 b), in dem es heißt: 'Die Nutzung des Fanboost ist limitiert auf eine zusätzliche Energie von maximal 100 kJ (Power mindestens 240 kW, maximal 250 kW, eingeteilt durch den Wettbewerber). Die Gewinner (des Fanboost) erhalten einen Boost, der erst nach der 22. Minute im Rennen genutzt werden darf.'

Fanboost-Aktivierung wird Wehrlein zum Verhängnis

Was den Fahrern eigentlich im Rennen helfen sollte, wurde Wehrlein tatsächlich zum Verhängnis! Aufgrund der fortgeschrittenen Renndauer hatte er nicht mehr ausreichend Power in seiner Einheitsbatterie, um den vorgeschriebenen, minimalen Abruf der Energie beim Fanboost zu nutzen.

Die Fahrer können den Einsatz des Fanboost nach eignem Belieben einsetzen, in einem Zeitfenster von maximal fünf Sekunden. Entweder nutzen sie die zusätzlich freigegebene Energie aus der Batterie für einen kurzen 'Schuss' in Höhe von 250 kW (50 mehr als im Renn-Trim), oder sie teilen die zusätzliche Energie mit etwas weniger Zusatz-Power über mehrere Sekunden auf. Die Leistung von 240 kW darf dabei allerdings zu keinem Zeitpunkt unterschritten werden.

Die Anwendung des Fanboost nach der Zuteilung ist für einen Fahrer nicht verplichtend. Fahrer können also frei entscheiden, ob sie den Zusatz-Boost überhaupt benutzen wollen. Mehrere Fahrer verzichteten in der Vergangenheit sogar bewusst darauf, um ihr Energie-Management nicht zu belasten. Der Fanboost - seit jeher in der Kritik - kann beim Überholvorgang helfen - oder wie in Wehrleins Fall völlig danebengehen.

Je länger das Rennen läuft, desto weniger Energie können die Fahrer mittels Rekuperation zurückgewinnen. Hätte Wehrlein seinen Fanboost während der zweiten Rennhälfte - also nach der 22. Minute - früher eingesetzt, wäre er vermutlich um diese Strafe herumgekommen.

Wehrlein startet seit dieser Saison für Porsche in der Formel E, Foto: LAT Images
Wehrlein startet seit dieser Saison für Porsche in der Formel E, Foto: LAT Images

Wehrlein: Untersuchung sorgt für noch mehr Verwirrung

Und als ob das alles noch nicht verwirrend genug ist, herrschte rund um die Untersuchung auch noch Konfusion! Zunächst stand Wehrlein während des Rennens unter Beobachtung der Rennleitung, weil er vermeintlich mehr (!) Energie genutzt haben soll als erlaubt. Viele Beobachter rechneten deshalb mit einer Strafe in Folge einer sogenannten Leistungsspitze, die auch auftreten kann, wenn Fahrer etwa zu hart über Bodenwellen fahren und dadurch das System zu sehr belastet wird.

Nach einer ausgiebigen Untersuchung der Daten nach dem Rennende stellte die Rennleitung allerdings fest: "Die Stewards haben einen technischen Bericht wegen Over-Power erhalten. Nach Anhörung der betroffenen Personen befanden die Stewards, dass es sich nicht um zu viel genutzte Energie, sondern stattdessen um die falsch genutzt Anwendung des Fanboost handelte."

Wehrlein konnte sich auf dem Podium nur kurz über Platz zwei frei hinter Edo Mortara freuen, Foto: LAT Images
Wehrlein konnte sich auf dem Podium nur kurz über Platz zwei frei hinter Edo Mortara freuen, Foto: LAT Images

Immer wieder Kritik am Fanboost

Der Fanboost - seit 2014 an Bord und häufig in der Kritik - soll Fans dazu animieren, selbst einen Einfluss auf das Renngeschehen nehmen zu können. Per Online-Voting auf der Webseite der Formel E können sie eine virtuelle Stimme für ihren Lieblingsfahrer abgeben.

Die fünf Fahrer mit den meisten Stimmen erhalten schließlich den Fanboost, wobei Fans sogar bis 15 Minuten nach dem Rennstart noch ihre Stimmen abgeben können. In der Vergangenheit hat der Fanboost neben Kritik auch für das eine oder andere Überholmanöver gesorgt - und jetzt eben für Wehrleins zweiten Podestverlust innerhalb eines Tages.

"Erster und Zweiter im Qualifying, Erster und Zweiter im Rennen - ohne die Disqualifikation und die Zeitstrafe wären wir jetzt ganz vorne in der Meisterschaft", wurde Wehrlein in einer Porsche-Pressemitteilung zitiert. Wehrleins Podestplatz erbte Pole-Setter Oliver Rowland (Nissan e.dams) im Nachgang.

In einer früheren Version dieses Artikels haben wir geschrieben, dass der Einsatz des Fanboost verpflichtend sei. Das ist nicht korrekt, wie uns angesichts des unserer Ansicht nach nicht eindeutig formulierten Absatzes im Reglement auf Nachfrage bei der FIA bestätigt worden ist.