Es ist das prestigeträchtigste und gleichzeitig langweiligste Rennen des Jahres: der Große Preis von Monaco. Die 78. Auflage des Fürstentum-Klassikers am Sonntag war ein Paradebeispiel, warum das Rennen gerade bei jüngeren Zuschauern immer mehr in die Kritik gerät.

Exakt null 'echte' Überholmanöver bekamen die Fans beim ungefährdeten Start/Ziel-Sieg von Max Verstappen zu sehen, wobei Mick Schumachers Positionsgewinn gegen Haas-Teamkollege Nikita Mazepin nicht in die offizielle Zählung einfließt, weil er sich in der ersten Runde ereignete. In die Aufzählung fließen traditionell nur Überholmanöver während einer fliegenden Runde ein.

"Es ist der schönste Ort, um Rennen zu fahren. Du weißt aber auch, dass es für die Fans nie spannend ist", hatte der amtierende Weltmeister Lewis Hamilton vor dem Rennen angekündigt - und sollte aus seiner Sicht Recht behalten: Dem Mercedes-Star gelang es im Verlauf der 78 Runden nicht, über seinen siebten Startplatz hinauszukommen.

Zwar sparte der Monaco GP auch in diesem Jahr nicht an Dramen - siehe den verunfallten Pole-Verlierer Charles Leclerc oder Mercedes-Pechvogel Valtteri Bottas - doch das Rennen glich erneut einer Prozession, die sich perfekt in die Monaco-Historie der Formel 1 einfügt: Seit dem Jahr 2000 liegt der Durchschnitt für Überholmanöver je Rennen bei 8,15. Seit der Hybrid-Ära ab 2014 sank der Schnitt sogar auf 7,7.

Formel E in Monaco: Sechs Führungswechsel

Dagegen klingen die Zahlen des Formel-E-Rennens an gleicher Stelle vor zwei Wochen auf dem Papier wie ein feuchter Überhol-Traum: Im Verlauf der 26 Runden bei einer Renndauer von 45 Minuten sorgten die 24 Fahrer für fast 150 Positionswechsel. Allein innerhalb der Top-6 gab es 28 Positionsänderungen sowie nicht weniger als sechs Führungswechsel zwischen drei Fahrern.

Den Sieg schnappte sich der amtierende Meister Antonio Felix da Costa mit einem risikoreichen Überholmanöver gegen Mitch Evans während der letzten Runde in der Hafenschikane. Zum Vergleich: In der Formel 1 ereignete sich das letzte 'echte' Überholmanöver für die Führung in Monaco im Jahr 1996, als Damon Hill sich auf abtrocknender Strecke mit Slicks gegen Jean Alesi auf Regenreifen durchsetzte.

Die Gründe, warum die Fahrer der Formel E in Monte-Carlo im Vergleich zu ihren Formel-1-Kollegen viel einfacher überholen können, sind äußerst vielfältig und vor allem in den konzeptionell bedingten Unterschieden beider Rennserien bedingt. Gleichzeitig sorgen die Regel-Eigenheiten der Formel E für Zahlen, die sich wesentlich spektakulärer lesen als sie es tatsächlich sind.

Formel E: Fucking Idiot! Beste Funksprüche aus Monaco: (06:21 Min.)

Formel E vs. Formel 1: 22 Sekunden langsamer

Zunächst wäre da der enorme Geschwindigkeitsunterschied zwischen beiden Autos. Lewis Hamilton stellte dieses Jahr mit seinem Mercedes in 1:12.909 Minuten einen neuen Rundenrekord auf dem 3,337 Kilometer langen Kurs auf, der zu den kürzesten im F1-Kalender und zu den längsten im Rennkalender der Formel E zählt. Zum Vergleich: Stoffel Vandoorne, ebenfalls Mercedes-Werksfahrer, benötigte für die schnellste Formel-E-Rennrunde 1:34.428 Minuten auf der 3,318 Kilometer langen Variante.

Die Differenz von knapp 22 Sekunden zwischen Formel 1 (rund 1.000 PS) und Formel E (272 PS im Renntrim) macht sich vor allem auf dem kurvigen Monaco-Kurs mit Stop-And-Go-Charakter bemerkbar, dessen längste Gerade lediglich 669 Meter misst und wo es kaum Stellen für ein halbwegs sicheres Überholmanöver gibt. In Monaco erreicht die Formel 1 mit die langsamsten Durchschnittsgeschwindigkeiten (Hamilton 2021: 164,769 km/h), während Vandoorne einen Schnitt von 126,496 km/h fuhr.

Formel E im Autoscooter-Modus

Auch eine Rolle spielt das Phänomen der Dirty Air, also der verwirbelten Luft am Heck des Autos. Fährt ein Formel-1-Bolide zu dicht auf den Vordermann auf, verliert er Anpressdruck und zerstört sich in der Folge die Reifen. Mangels längerer Geraden müssten die Abstände in Monaco noch kürzer sein, um zum Überholmanöver ansetzen zu können. Angesichts des Verhältnisses von Risiko zu Ertrag lassen die F1-Fahrer lieber ausreichend Platz zum Vordermann und hoffen eher auf einen Fahrfehler. Bei den üblichen Ein-Stopp-Rennen halten sich Strategiemöglichkeiten bei den Boxenstopps unter normalen Umständen eher in Grenzen.

Ganz anders läuft es in der Formel E. Die Autos verfügen über weniger Aerodynamik als ein Formel-3-Bolide und verlieren nicht einmal viel Pace, wenn Teile der Außenhaut wegfliegen. Dichtes Heranfahren an den Vordermann ist ohne größeren Performance-Verlust möglich, und: Die Fahrer wissen, dass sie sogar 'anklopfen' können. Die Frontpartien sind wesentlich robuster konstruiert als der ausladende Diffusor, wodurch ein kleiner 'Rammstoß' seit der Einführung der einheitlichen Gen2-Chassis 2018/19 als äußerst beliebtes Mittel gilt.

Foto: Audi Communications Motorsport
Foto: Audi Communications Motorsport

Formel E in Monaco: Überholmanöver im Tunnel

Die technischen Unterschiede erlaubten es den Formel-E-Fahrern, an eigentlich unmöglichen Stellen zu überholen. Ein Paradebeispiel: Der zweifache Meister Jean-Eric Vergne (DS Techeetah) überholte BMW-Youngster Maximilian Günther mitten im Tunnel-Abschnitt! Auch der Tunnel-Ausgang auf dem Weg zur Schikane erwies sich mehrfach als beliebte Überhol-Stelle.

Als Überholmanöver des Rennens galt allerdings der Pass von Jaguar-Pilot Mitch Evans gegen den späteren Sieger Felix da Costa im Bereich Beau Rivage auf dem Weg nach Massenet. Unmittelbar zuvor hatte der Neuseeländer bereits den aktuellen Meisterschaftsführenden Robin Frijns (Virgin) in Sainte Devote überholt.

Evans' Attacke gegen Felix da Costa bergauf auf der Innenseite und mit den Rädern an der Mauer sah spektakulär aus, wäre ohne die zusätzliche Power des Attack Mode aber kaum umsetzbar gewesen. Zu diesem Zeitpunkt fuhr er mit einer Leistung von 235 kW (320 PS), während der Führende im normalen 200-kW-Modus unterwegs war.

Attack Mode schönt Statistik auf

Ohnehin war der Attack Mode für einen Großteil der dreistelligen Positionswechsel verantwortlich. Während die DRS-Zone der Formel 1 auf Start/Ziel keine zählbaren Ergebnisse hervorbrachte, ging es in der Attack Zone auf der linken Außenseite der Casino-Kurve wild zu.

Die Fahrer mussten den Attack Mode nach FIA-Vorgabe zweimal für je vier Minuten aktivieren. Zunächst verloren sie beim Überfahren der Aktivierungsschleifen mindestens eine Position, bevor die Mehrleistung trotz des engen Monaco-Kurses ausreichte, um den Platz zurückzugewinnen und potenziell weitere Positionen innerhalb der verfügbaren 235-kW-Zeit gutzumachen. In Monaco waren die Attack-Mode-Strategien der Teams etwas weiter gestreut als üblich, wodurch mehr Leistungs-Differenzen im Feld entstanden. Man kann darüber streiten, ob diese Aktionen als 'echte' Überholmanöver gelten...

Foto: LAT Images
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Energie-Management führt zu Positionswechseln

Nicht zuletzt steuerte das Energie-Management einen gehörigen Teil zu den beeindruckend zu lesenden Zahlen der Positionswechsel-Statistik bei. Prominentestes Beispiel war Mitch Evans, der sich in der letzten Runde mit etwas weniger verbliebener Energie als seine Verfolger so breit wie nur möglich machte, dann aber gegen Felix da Costa in der Hafenschikane den Kürzeren zog und in der letzten Kurve auch noch Frijns passieren lassen musste, um sich mit letzter Energiemenge als Dritter über die Ziellinie zu retten.

Zwar sind Chassis und Batterien in der Formel E einheitlich, doch bei den eigenentwickelten Antriebssträngen gibt es weiterhin Unterschiede in Sachen Effizienz. Die kommt vor allem gegen Rennende zum Tragen, so auch in Monaco: Im Verlauf der letzten beiden Runden ereigneten sich immerhin acht Positionswechsel quer durchs Feld.

Dass stets Fahrer von Top-Teams wegen des Qualifying-Formats bunt durchs Feld gemischt werden, trägt seinen Teil dazu bei. Ähnliches gab es in Monaco auch schon in der Formel 1 zu sehen, etwa Max Verstappens Aufholjagd 2018 vom letzten bis auf den neunten Platz. Oder auch Michael Schumacher 2006, als der siebenfache Weltmeister sich nach dem Rascasse-Vorfall im Qualifying aus der letzten Reihe bis auf Rang fünf nach vorne kämpfte.

Die Rennen von Formel E und Formel 1 in Monaco innerhalb von zwei Wochen hätten kaum unterschiedlicher verlaufen können. Aus Sicht der Elektro-Rennserie war der erste direkte Vergleich zwischen beiden Rennserien ein kleiner Segen: Diskussionen über die nicht ansatzweise überraschenden Performance-Unterschiede rückten angesichts des unerwarteten Rennspektakels fast komplett in den Hintergrund.