Die Formel-E-Farce von Valencia hat Konsequenzen: Kurz vor dem anstehenden Rennwochenende auf dem Grand-Prix-Kurs in Monaco (Samstag, 08. Mai 2021) hat der Motorsportweltverband FIA eine kurzfristige Regelklarstellung vorgenommen, um weiteren chaotischen Verhältnissen rund um das Energie-Management vorzubeugen.

Ab dem siebten Rennen der Saison 2021 in Monte-Carlo wird es keine Reduzierung der verfügbaren Energiemenge mehr geben, wenn eine Safety-Car-Phase nach der 40. Minute eines Rennens (45 Minuten + 1 Runde) endet. Bedeutet: Im Falle einer späten Safety-Car-Phase wie zuletzt in Rom und Valencia verzichtet der Rennleiter auf einen Abzug, obwohl es ihm laut Sportlichem Reglement gestattet wäre.

"In Bezug auf das, was in Valencia passiert ist, möchten die FIA und der Veranstalter nicht, dass ein ähnliches Szenario erneut auftritt", sagte ein FIA-Sprecher angesichts des Debakels beim Samstagsrennen in Valencia vor zwei Wochen, als nur neun der 24 Autos klassifiziert wurden und die Formel E weltweit negative Schlagzeilen produzierte.

Die verbale Regelklarstellung, die nicht vom World Motor Sport Council abgesegnet werden muss, solle laut dem FIA-Sprecher "ein weiteres Risiko einer Fehlkalkulation im Hinblick auf den Energieverbrauch" vermeiden, und weiter: "Dies wird den Teams eine zusätzliche Fehlerquote gewähren, ohne den Geist der Formel E zu beeinträchtigen, in der das Energiemanagement ein Schlüsselelement ist."

Grauzone aus dem Reglement gestrichen

Mit diesem Schritt ist die FIA dem Anliegen der Formel E und zahlreichen Teams nachgekommen und hat praktisch eine heikle Grauzone aus dem Reglement entfernt. Seit der Einführung der Energie-Reduzierung zur Saison 2019/20 hatte bisher laut Artikel 37.9 des Sportlichen Reglements bei einer Unterbrechungsphase "der Renndirektor den Ermessensspielraum, die Reduzierung der Energie zu vermeiden, falls es notwendig sein sollte".

Die Regel, dass bei einem Safety Car oder einer Full-Course-Yellow-Phase 1 kWh pro voller Minute von der per Reglement zur Verfügung stehenden Gesamtleistung von 52 kWh abgezogen wird/werden kann, hatte in Valencia ein heilloses Chaos angerichtet und für Spott und Häme gesorgt wegen Autos, denen vermeintlich 'der Saft ausgegangen' war - ausgerechnet beim ersten Auftritt der Formel E auf einer rein permanenten Rennstrecke.

Formel E in Monaco: Vorschau zum siebten Saisonrennen 2021: (08:56 Min.)

Valencia: Zweites Chaos um 0,5 Sekunden verhindert

Auslöser war eine offenbar falsch kalkulierte Rundenanzahl in Verbindung mit einer extrem knapp kalkulierten Energie-Strategie seitens aller Teams mit Ausnahme von Mercedes, Audi und Virgin, als der Führende Antonio Felix da Costa nach dem Ende der letzten Safety-Car-Phase schneller fuhr als es einige erwartet hatten und damit für eine zusätzliche Runde sorgte. Offenbar passte auch nicht die Kommunikation mit seinem Meister-Team Techeetah, das hätte wissen müssen, dass Felix da Costa bei dieser Variante unmöglich mit ausreichend Energie ins Ziel gekommen wäre.

Wäre der amtierende Champion 15 Sekunden langsamer gefahren, hätte das Feld nur eine statt zwei Runden am Ende absolvieren müssen - und alles wäre 'gut' ausgegangen. Im Sonntagsrennen wäre es nach Informationen von Motorsport-Magazin.com beinahe zu einem weiteren unrühmlichen Energie-Chaos gekommen. Wenn Rennsieger Jake Dennis (BMW) nur 0,5 Sekunden später die Ziellinie überquert hätte, hätte erneut eine weitere und nicht eingeplante Rennrunde absolviert werden müssen.

Unklar: Was wurde den Teams mitgeteilt?

Sogar aus FIA-Kreisen war im Anschluss zu hören, dass man bei den Vorgängen mehr Fingerspitzengefühl hätte walten lassen sollen, wobei Rennleiter Scot Elkins sich durchweg an das Reglement hielt und auch die größte Energie-Reduzierung in einem Rennen in der Geschichte der Formel E (19 von 52 kWh insgesamt nach fünf Safety-Car-Phasen) absolut regelkonform war.

FIA-Mann Frederic Bertrand hatte in Valencia die Teams in die Verantwortung genommen und versichert, man habe ihnen im vorangegangenen Briefing "eindeutig zu verstehen gegeben, dass wir die Energie so reduzieren würden wie zuletzt in Rom". Ein Teilnehmer der virtuellen Besprechung sagte später allerdings zu Motorsport-Magazin.com: "So wurde das nicht gesagt. Ich kann nicht bestätigen, dass das ein Thema war mit der Energie-Reduzierung in der letzten Runde."

Foto: LAT Images
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Formel E verpasst Aufklärung des Chaos

Die im TV gezeigten Bilder vermittelten Zuschauern unweigerlich den Eindruck, dass einem Großteil der Autos schlichtweg die Energie ausgegangen sei und nur wenige die Ziellinie aus eigener Kraft überqueren konnten. Auch die Formel E selbst unternahm im Anschluss nichts, um die undurchschaubaren Verhältnisse transparent aufzuklären. Ein bei der Formel E seltener Medienauftritt eines FIA-Verantwortlichen samt diskutablen Aussagen ("Felix da Costa hat allen das Leben etwas schwerer gemacht") trug ebenfalls nur wenig zur Aufklärung bei.

Dabei hatten die meisten Autos in Valencia nach den 24 Rennrunden faktisch noch gut 30 Prozent Kapazität in ihren McLaren-Einheitsbatterien. Zwar wurden wegen Ausfällen und nachträglichen Strafen nur neun Autos klassifiziert, tatsächlich überquerten aber 14 Fahrzeuge die Ziellinie. Wenn die beiden NIO-Autos nicht vorzeitig in die Boxengasse abgebogen wären und Venturi-Fahrer Norman Nato nicht eine Runde Rückstand gehabt hätte, wären es nach den 24 Runden sogar 17 Autos im Ziel gewesen.

Erklärt: Das steckt wirklich hinter der Valencia-Farce

Was die Szene zudem kurios wirken ließ: Ein halbes Dutzend Fahrer brauchte drei bis sechs Minuten Zeit für die letzte Runde, während Rennsieger Nyck de Vries im letzten Umlauf eine 1:48er-Rundenzeit fuhr. Die Schleichfahrten unter anderem von Doppel-Champion Jean-Eric Vergne (5:48.117 Minuten) sind auf das Reglement und Technik zurückzuführen: Nur 52 der 54 kWh an eigentlich verfügbarer Energiemenge - vergleichbar mit der Benzinmenge in einem Tank - dürfen genutzt werden.

Dabei findet die Reduzierung der verfügbaren Energiemenge nur virtuell statt, während die Ladung innerhalb der Batterie (zum Rennstart bei 97 Prozent geladen) weiterhin ausreichend vorhanden ist. In der Regel ist in den Formel-E-Boliden ein Auto-Cut-System verbaut, das die Power unterbindet, wenn die verfügbare Energiemenge null Prozent erreicht hat. Der Fahrer kann das System anschließend resetten und die Fahrt fortsetzen, kassiert wegen zu viel genutzter Energie jedoch eine Strafe - in Valencia erwischte es fünf Fahrer.

Da bei manchen Autos wie den NIOs das System so ausgelegt ist, dass das Fahrzeug erst den kompletten Stillstand erreichen muss, bevor der Pilot es wieder 'hochfahren' kann, erklärt die kurios anmutenden, zwischenzeitlich auf der Strecke gestoppten Autos. Ohne Regelbeschränkungen hätten die meisten Autos beim Rennen mit der höchsten Durchschnittsgeschwindigkeit in der Geschichte der Formel E (130,58 km/h) wohl noch locker fünf Runden im Rennspeed fahren können - kein Auto war also liegengeblieben, weil es 'keine Energie mehr' hatte.

Foto: LAT Images
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Formel E in Monaco unter Beobachtung

Trotzdem kommt die Regelklarstellung gerade rechtzeitig: Am kommenden Samstag gastiert die Formel E zum ersten Mal auf dem traditionellen GP-Kurs von Monaco. Nach leichten Änderungen in Sainte Devote und in der Hafenschikane ist die Streckenvariante mit offiziell 3,318 Kilometern nur wenige Meter kürzer als die Strecke, die die Formel 1 seit 1950 nutzt. 2015, 2017 und 2019 fuhr die Formel E hier auf einem 1,76 Kilometer kurzen Layout ohne Casino, Haarnadel oder den Tunnel.

Das Energie-Management wird auf einem der längsten Kurse der Formel-E-Historie erneut eine ganz entscheidende Rolle spielen - diesmal mit der Hoffnung aller Beteiligten auf ein Rennen ohne das Chaos wie in Valencia, von dem sich die Elektro-Rennserie erst einmal in der öffentlichen Wahrnehmung erholen muss.