Die chaotischen Abläufe beim Samstagsrennen der Formel E in Valencia sorgten weltweit für Schlagzeilen und hitzige Diskussionen. Wie ernst die Lage beim ersten Gastspiel der Elektro-Rennserie auf einer rein permanenten Rennstrecke war, zeigte sich auch in Person von Frederic Bertrand. Der Rundstrecken-Direktor der FIA stellte sich in Valencia den Medienvertretern vor Ort - das hatte es in der siebenjährigen Geschichte der Formel E seitens des Motorsportweltverbandes nur höchst selten gegeben.

Der Ausgang des Rennens, in dem nur 9 der 24 Fahrer letztendlich gewertet wurden, sei sicherlich schwierig zu verstehen gewesen, sagte Bertrand. "Aber eigentlich auch nicht", fügte der Franzose an. "Die Realität ist, dass wir wissen, dass Energie-Management ein Schlüssel für unsere Meisterschaft ist und eindeutig eine Herausforderung, der wir uns stellen müssen. Meistens handhaben wir das akkurat, manchmal nicht so akkurat."

Dabei sah Bertrand allerdings keine Schuld seitens der Rennleitung, sondern zog die Teams in die Verantwortung. Zuvor hatten Teamvertreter angezweifelt, ob bei der automatischen Energie-Reduktion in der letzten von insgesamt fünf Safety-Car-Phasen alles richtig abgelaufen sei. Unter anderem äußerte Sat.1-Experte Daniel Abt seine Zweifel: "Man muss auch mal in der Lage sein, Fehler einzugestehen. Es scheint, als mache die FIA nie einen Fehler..."

FIA: Teams wussten nach Briefing Bescheid

Im Mittelpunkt der Diskussionen stand die Energie-Reduktion um 5 kWh bei der letzten Safety-Car-Phase, die offenbar einige Teams und Fahrer überraschte. Laut Reglement wird seit der Saison 2019/20 bei einem Safety Car oder einer Full-Course-Yellow-Phase 1 kWh pro voller Minute von der per Reglement zur Verfügung stehenden Gesamtleistung von 52 kWh abgezogen. Damit sollen Vollgasfahrten vermieden werden, nachdem die Fahrer während einer Neutralisationsphase Energie sparen konnten.

Für FIA-Mann Bertrand war der Fall eindeutig: "Im Briefing wurde den Teams und Fahrern eindeutig zu verstehen gegeben, dass wir die Energie so reduzieren würden wie zuletzt in Rom." Im Sonntagsrennen vor zwei Wochen gab die Rennleitung das Rennen bei noch einer zu fahrenden Runde in Folge einer durch einen Unfall von Rene Rast ausgelösten Safety-Car-Phase wieder frei und reduzierte die verfügbare Energie um 7 kWh (insgesamt: 12 kWh). Nur Venturi-Pilot Norman Nato ging die Energie aus und so verlor er seinen Podestplatz an Pascal Wehrlein (Porsche).

Formel-E-Farce in Valencia: Highlights des Chaos-Rennens (05:00 Min.)

Felix da Costa zu FIA: Kann ich nicht akzeptieren

Am Samstag in Valencia spielte ein weiterer Umstand eine Rolle für das folgende Chaos: Der zu diesem Zeitpunkt Führende Antonio Felix da Costa fuhr nach dem Ende der letzten SC-Phase schneller als es die Rennleitung möglicherweise erwartet hatte. 15 Sekunden vor dem Fallen der Zielflagge überquerte der Techeetah-Fahrer die Ziellinie, wodurch eine letzte Rennrunde der 45 Minuten Renndauer sowie die übliche Zusatzrunde - also insgesamt zwei Runden - zu fahren waren.

"Sicherlich hat die Wahl des führenden Fahrers in diesem Fall für viele Fahrer etwas geändert, die eine weniger konservative Herangehensweise hatten als andere", sagte Bertrand. "Das hat eindeutig die Umstände und das Energie-Management für die meisten Fahrer verändert."

Felix da Costa, der wie vier weitere Fahrer wegen zu viel genutzter Energie disqualifiziert wurde, sah keine Schuld bei sich. Auf Twitter schrieb der amtierende Champion bezüglich der Annahme, dass er allen Fahrern das Leben schwerer gemacht hätte: "Sorry, aber das kann ich nicht akzeptieren. Wenn ich unter dem Safety Car NOCH langsamer gefahren wäre, wie viele Teams hätten dann einen Protest eingelegt? Und wenn ich langsamer gefahren wäre, hätten sie auch mehr Energie reduziert. Es lag einzig in den Händen der FIA, uns alle davor zu bewahren."

FIA: Wussten, dass so etwas passieren kann

Worauf Felix da Costa vermutlich anspielte: Laut Artikel 37.9 des Sportlichen Reglements hat bei einer Unterbrechungsphase "der Renndirektor den Ermessensspielraum, die Reduzierung der Energie zu vermeiden, falls es notwendig sein sollte". Dazu kam es jedoch nicht.

Fahrern wie Sieger Nyck de Vries, dem Zweitplatzierten Nico Müller und Stoffel Vandoorne auf Platz drei gelang es, das Rennen mit der verfügbaren Energie zu beenden. Bertrand argumentierte: "Einige Fahrer haben es antizipiert und entsprechend umgesetzt. Wir hatten das im Vorfeld besprochen, weil wir wussten, dass so etwas passieren kann. Andere Fahrer riskierten zu viel und konnten das Rennen nicht beenden. Natürlich war das nicht der typische Zieleinlauf, wie wir ihn uns wünschen."

Beim Samstagsrennen in Valencia rückte das Safety Car fünfmal aus, Foto: LAT Images
Beim Samstagsrennen in Valencia rückte das Safety Car fünfmal aus, Foto: LAT Images

Techeetah spricht von Missverständnis

Thomas Chevaucher, Performance-Direktor von Techeetah-Partner DS Automobiles, hatte eine andere Meinung, wie aus einer Pressemitteilung des Teams am Samstagabend nach dem Rennen hervorging. Der Franzose sprach von einem Missverständnis zwischen dem Rennleiter und den Strategen des Teams.

Chevaucher: "Die Rennleitung kann entscheiden, die Energie nach einem Safety-Car zu reduzieren, ist jedoch nicht dazu verpflichtet. Sie erwarteten, dass wir freiwillig 'Zeit verlieren' würden, bevor wir die Ziellinie überquerten, während wir keine so ungeeignete Reduzierung erwarteten. Dieses Missverständnis hat zu einer sehr unglücklichen Situation geführt. Es gab nichts Technisches, es war leider nur eine Regelungsfrage. Diese Situation ist auch eine Folge der Verwendung einer ungewöhnlichen Strecke und bestätigt, dass städtische Strecken Teil der DNA der Formel E sind."

Danner: FIA hat nichts falsch gemacht

Für Sat.1-Experte Christian Danner war die Situation vor Ort eindeutig, die FIA habe in diesem Fall nichts falsch gemacht. "Wenn die Regeln so sind, sind sie halt so", sagte der frühere Rennfahrer. "Du kannst nicht einfach nach Gutdünken das Reglement ändern. Man kann der FIA keinen Vorwurf machen. Sie haben das umgesetzt, was im Reglement steht. Jetzt wird es Gespräche geben, ob man das Thema 'Energie reduzieren bei späten Safety-Car-Phasen' in darauffolgenden Rennen oder nächste Saison ändert."

In der laufenden Saison 2021 bei noch neun ausstehenden Rennen nach dem Valencia-Doppelrennen soll sich offenbar nichts ändern, wie FIA-Leiter Bertrand mitteilte: "Der Umgang mit der Energie ist ein Schlüssel der Formel E. Wir sehen, dass er herausfordernd, aber machbar ist. Manchen ist es sehr gut gelungen, anderen weniger. Das ist eine Lektion für die Zukunft. Wir werden im Umgang mit solchen Herausforderungen für den Rest des Jahres konstant bleiben."