Alejandro Agag ist ein cleverer Geschäftsmann. Der Spanier, der einst zusammen mit Bernie Ecclestone und Flavio Briatore den britischen Fußballklub Queens Park Rangers kaufte und kurz vor Fernando Alonsos WM-Titeln mit den Formel-1-Fernsehrechten in Spanien handelte, weiß: Mit großen Namen erreicht man große Aufmerksamkeit.

Wie 2014, als er nach der Gründung der Formel E tatkräftig daran beteiligt war, dass prominente Fahrer wie Nick Heidfeld oder ikonische Namen wie Bruno Senna, Nelson Piquet Junior und Sascha Prost die internationale Werbetrommel rührten.

Was damals auf wackligem Podest gebaut war, entwickelte sich auch dank Elektro-Boom und Diesel-Skandal zu einem echten Herstellermagneten. In keiner anderen Serie der Welt sind so viele Autokonzerne engagiert wie in der Formel E, die in ihrer Debütsaison 2014/15 zwischenzeitlich vor dem finanziellen Kollaps stand und nur durch eine - rückblickend clever gesetzte - Finanzspritze vom heutigen Formel-1-Besitzer Liberty gerettet wurde.

Statt sich auf den Erfolgen der Formel E auszuruhen und weiter kräftig Geld zu verdienen, schickte Agag das nächste Projekt in die Pipeline. Mit der Extreme E geht 2021 die zweite Rennserie aus der Feder des 50-Jährigen an den Start. Das Konzept aus Offroad-Sprintrennen mit reinelektrisch angetriebenen 550-PS-SUVs dürfte bei Motorsport-Traditionalisten ein ähnliches Kopfschütteln hervorrufen wie einst die Formel E - und ebenso Freudenschreie in den Marketingabteilungen großer Unternehmen.

Gründer von Formel E und jetzt Extreme E: Alejandro Agag, Foto: Extreme E
Gründer von Formel E und jetzt Extreme E: Alejandro Agag, Foto: Extreme E

Gleichberechtigung per Reglement

Mit der Extreme E setzt Agag nicht nur weiter auf die Elektromobilität und Werbung für eine bessere Umwelt, nein, der Businessmann hat bereits das nächste Zugpferd erkannt und umgesetzt: Gender Equality, oder auch: die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau. Eines der ganz heißen Themen unserer Zeit und eines, das in der Formel 1 und anderen Rennserien immer wieder diskutiert und dann ad acta gelegt wurde.

Agag hingegen ließ die Gleichberechtigung direkt ins Reglement aufnehmen: In der Extreme E teilen sich pro Auto immer eine Frau und ein Mann das Steuer. Bei den Sprintrennen auf einer Distanz von rund 16 Kilometern müssen beide Fahrer*innen jeweils eine Runde zurücklegen. Wer den Anfang macht, entscheidet allein das Team.

Agags Frauen-Team in der Formel 3

Wie viel Potenzial hinter einem solchen Ansatz steckt, hatte Agag schon vor zwölf Jahren erkannt. Als Teamchef von Barwa Addax wollte er mit einem reinen Damen-Team in der Spanischen Formel 3 an den Start gehen. Wofür die Zeit damals offenbar noch nicht reif war, wird heute von Motorsport-Organisationen voll unterstützt.

Das Engagement zeigte sich nicht zuletzt bei den diesjährigen 24 Stunden von Le Mans, als ein von Uhrenhersteller Richard Mille (gleichzeitig Chef der FIA-Langstreckenkommission) unterstütztes Damen-Team mit Sophia Flörsch, Beitske Visser und Tatiana Calderon ein ähnliches Interesse erweckte wie die Dauersieger von Toyota.

Der Extreme-E-Prototyp leistet 550 PS bzw. 400 kW, Foto: Extreme E
Der Extreme-E-Prototyp leistet 550 PS bzw. 400 kW, Foto: Extreme E

Extreme E: Hamilton gegen Rosberg

Mit der Extreme E hat Agag wieder einmal den Zeitgeist erfasst. Und wie damals in der Formel E besteht auch heute die Aufgabe darin, das eher ungewöhnliche Produkt weltweit bekanntzumachen - noch vor den ersten Rennen, die an entlegenen Orten auf dem Kontinent ausgetragen werden und damit auf Missstände in der Umwelt aufmerksam machen wollen.

Was Agag diesmal aus seinem Netzwerk herausgezaubert hat, ist nichts anderes als ein riesengroßer Coup. Wer hätte sich jemals ausmalen können, dass der siebenfache Formel-1-Weltmeister Lewis Hamilton nicht nur mit einem eigenen Team in der Extreme E antreten würde, sondern als Fahrer niemand Geringeren als den neunmaligen Rallye-Weltmeister Sebastien Loeb verpflichtet?

Oder, dass Hamilton mit seinem ersten selbstgegründeten Team in dieser Serie auf F1-Rivale Nico Rosberg treffen würde? Der Weltmeister von 2016 und Formel-E-Investor stieß als Letzter zum Starterfeld der Extreme E und zog mit dem dreifachen WRX-Weltmeister Johan Kristoffersson ebenfalls einen Motorsport-Star aus dem Hut.

Star-Auflauf statt Saudi-Kritik

Dass Teams von Hamilton und Rosberg dabei auf eine Mannschaft unter der Leitung von Rallye-Legende Carlos Sainz treffen würden, hätte sich wohl nicht einmal Agag selbst erträumen können. Dabei bezeichnete ein spanisches Magazin einst dessen Handy wegen all der eingespeicherten Telefonnummern aus der Welt der Politik und Prominenz als das wertvollste des ganzen Landes.

Abt Sportsline - Formel-E-Pionier und mit Seat-Tochter Cupra den nächsten Hersteller im Rücken -, die Erfolgsmannschaft HWA aus Affalterbach oder die beiden US-Traditionsrennställe Andretti und Chip Ganassi Racing mischen ebenfalls in der Extreme E mit, die am 20./21. März 2021 in Saudi-Arabien in ihre Debütsaison startet. Bei dem ganzen Star-Auflauf rückte zunächst sogar die aus anderen Rennserien - darunter die Formel E - bekannte Kritik an Rennen im Wüstenstaat in den Hintergrund.

Die Extreme E startet im März 2021 in ihre Debütsaison mit 5 Rennen, Foto: Extreme E
Die Extreme E startet im März 2021 in ihre Debütsaison mit 5 Rennen, Foto: Extreme E

Agag: Extreme E kann erfolgreich und groß werden

Während die Formel E, erdacht bei einem Abendessen mit FIA-Präsident Jean Todt und dem früheren EU-Parlaments-Präsidenten Antonio Tajani am 03. März 2011 in Paris, Agag die eine oder andere schlaflose Nacht bereitete, war er vom Erfolg der Extreme E von Beginn an überzeugt. Und hat bis heute keinen Zweifel daran, dass die Serie mit der Zeit ebenso finanzstarke Hersteller anlocken wird wie die erste reinelektrische Formelrennserie.

"Ich denke, dass die Extreme E äußerst erfolgreich und groß werden kann", sagte Agag zu Motorsport-Magazin.com. "Sie nimmt die Schlüssel-Probleme in Angriff, denen wir uns in Zukunft ausgesetzt sehen: den Klimawandel, den wir aufzeigen, indem wir an speziell gewählten Orten unsere Rennen austragen. Außerdem fahren wir elektrisch, das ist die Zukunft der Mobilität. Und jetzt widmen wir uns auch der Gleichheit der Geschlechter, was auch ein Thema ist, das beworben wird. Mit diesen Schlüsselelementen haben wir die Extreme E in die richtige Richtung gebracht."

Formel-1-Weltmeister statt Powerpoint-Präsentation

In einer sich rapide veränderten Motorsportlandschaft hat Agag mit der Extreme E noch vor dem ersten Rennen ein dickes Pfund in die Waagschale gelegt. Wo andere Elektro-Rennserienkonzepte bislang nicht über eine Powerpoint-Präsentation hinausgekommen sind, kommt er mit gewichtigen Namen wie Hamilton und Rosberg um die Ecke. Wie in der Formel E dürfte es nur eine Frage der Zeit sein, bis die ersten Hersteller auf den Zug - bei der Extreme E tatsächlich ein Schiff als schwimmendes Fahrerlager, kein Witz - aufspringen.

"Autohersteller müssen sich sicher sein, sie müssen es sehen und Erfahrungen sammeln, bevor sie eine Entscheidung treffen", glaubt Agag. "Wenn die dann getroffen worden ist, bleiben sie auch lange. Wir erwarten den gleichen Zyklus wie in der Formel E. In Zukunft wird es hart für die Hersteller im Motorsport. Sie werden verstärkt auswählen, wo sie sich engagieren. Die Budgets werden ein großes Thema sein."

Extreme E wirbelt noch vor dem ersten Rennen mächtig Staub auf, Foto: Extreme E
Extreme E wirbelt noch vor dem ersten Rennen mächtig Staub auf, Foto: Extreme E

Extreme E: Bis zu sieben Millionen pro Saison

Im Vergleich zu einigen anderen Rennserien sind die Kosten - noch - moderat. Agag selbst spricht von vier bis fünf Millionen Euro pro Saison, nach Informationen von Motorsport-Magazin.com aus unterschiedlichen Quellen sind es eher sechs bis sieben Millionen. Sicherlich kein Schnäppchen angesichts einer Saison mit nur fünf Rennen und einem von Spark Racing aufgebauten Einheitsauto samt Einheitsbatterie von McLaren. Für die Zukunft sind Entwicklungsfreiheiten angedacht.

Im Vergleich zur Formel E - wo die Hersteller zwar schon jetzt einige Teile selbst entwickeln dürfen, die Kosten über die Jahre aber auf 20 bis 30 Millionen angestiegen sind - immer noch ein Klacks. Gleichzeitig ist Agag gefordert, beide Serienkonzepte unter einen Hut zu bekommen und für die Zukunft aufzustellen. Die Formel-E-Ausstiege von Audi und BMW waren laute Warnschüsse. Immerhin ist die Basis vorhanden: Die Verwaltungen von Formel E und Extreme E sind in einem Bürogebäude in London nur durch eine Tür voneinander getrennt...

Extreme E: Das Starterfeld für 2021

NummerTeamFahrerinFahrer
1ABT SportslineClaudia HürtgenMattias Ekström
2Andretti United Extreme ECatie MunningsTimmy Hansen
3Chip Ganassi RacingSara PriceKyle Leduc
4HWA??
5Acciona / Sainz XE Laia SanzCarlos Sainz
6Rosberg Xtreme RacingMolly TaylorJohan Kristoffersson
7Team Techeetah??
8Veloce RacingJamie Chadwick?
9X44Cristina GutierrezSebastien Loeb