Eine ordentliche Pressemitteilung gab es seitens Audi nie, fest steht trotzdem: Daniel Abt wird in der Formel E keine Rennen mehr für den Autobauer aus Ingolstadt bestreiten. Nach dessen Rauswurf in Folge eines Eklats bei einem virtuellen Rennen am vergangenen Samstag wird ein anderer Fahrer die restlichen Saisonläufe für das deutsche Werksteam an der Seite von Lucas di Grassi bestreiten.

Wer langfristig die Nachfolge von Abt, der als einer von nur vier Fahrern zu den Pionieren der Formel E zählt und alle 63 Rennen für Audi betritt, antritt, steht offiziell noch nicht fest. Die Auswahl ist groß, die tatsächlichen Anwärter überschaubar und offensichtlich: Der zweifache und amtierende DTM-Champion Rene und Rast und DTM-Vize-Meister Nico Müller können sich nach aktuellem Stand die besten Chancen ausrechnen.

Müller absolvierte in der Vergangenheit zahlreiche Testfahrten für Audis Formel-E-Team und sammelt in der laufenden Saison beim Hinterbänkler-Team Dragon Racing Erfahrungen unter realen Bedingungen. Rast, der seine Karriere am liebsten in der DTM beendet hätte, wird aller Wahrscheinlichkeit nach im Konzern bleiben und soll wegen seiner Erfolge ein möglichst attraktives Cockpit erhalten.

Da Audi nach dem angekündigten DTM-Ausstieg Ende 2020 zunächst nur noch in der Formel E werksseitig vertreten sein wird, ist ein Platz in der Elektro-Rennserie die interessanteste Option für Rast. Der 33-Jährige schnupperte 2016 bereits Formel-E-Luft, als er beim Berlin ePrix im Team Aguri für Antonio Felix da Costa einsprang, der wegen seines parallelen DTM-Engagements mit BMW verhindert war.

Rast: Will Formel E nicht ausschließen

Als Motorsport-Magazin.com Rast nach der DTM-Ankündigung und vor dem Abt-Rauswurf fragte, ob die Formel E eine Alternative sein könnte, antwortete das Audi-Aushängeschild: "Ich will es nicht ausschließen. Ich bin ja 2016 schon ein Rennen gefahren in Berlin und das hat extrem viel Spaß gemacht. Ich habe von Beginn an gesagt, dass das eines der am härtesten zu fahrenden Autos ist. Vielleicht auch, weil ich nur einen einzigen Tag im Auto saß."

Audi Sport ist nach dem Abt-Rausschmiss in Folge einer Konzernentscheidung mit unterschiedlichen Szenarien konfrontiert, schließlich befindet sich die Formel E in der laufenden Saison. Nach den bisherigen fünf Rennen seit November 2019 steht noch nicht fest, wie es nach der Corona-Zwangspause weitergehen wird.

Weitere Rennen unbestimmter Anzahl sind für August und September geplant. Sie könnten sich zeitlich mit Läufen der DTM, die für Rast und Müller aktuell Priorität genießt, überschneiden. Ein überarbeiteter Rennkalender der Tourenwagenserie wird in der kommenden Woche erwartet.

Audi wirft Daniel Abt raus: gerecht oder zu hart?: (43:08 Min.)

Nächstes Rennen an Abts Schicksalsort

"Wir befinden uns vor allem mit den Behörden in Deutschland und Großbritannien im Austausch, um zu sehen, was möglich ist", sagte Formel-E-Boss Alejandro Agag zu Motorsport-Magazin.com und erwartete Ende Mai ein klareres Bild. Höchstwahrscheinlich wird das nächste Rennen in Berlin auf dem stillgelegten Flughafen Tempelhof stattfinden - jenem Ort, an dem Abt 2018 den realen Heimsieg errang und wo er virtuell am vergangenen Samstag einen Skandal auslöste...

Sollte es zu keinen Kalenderüberschneidungen beider Serien kommen, muss Audi entscheiden, ob der Abt-Nachfolger zunächst die verbleibenden Rennen der Formel-E-Saison 2019/20 bestreiten wird oder direkt die langfristige Lösung über die sechste Saison hinaus darstellen soll. Kurzfristig einspringen könnten der amtierende ADAC GT Masters-Champion Kelvin van der Linde oder Nachwuchsfahrer Mattia Drudi, die Ende Februar nach dem Rennen in Marrakesch gemeinsam den Rookie-Test für Audi absolvierten.

Rotiert Audi komplett durch?

Zudem kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Ingolstädter zur kommenden Saison komplett durchrotieren, da auch di Grassis Vertrag ausläuft. Der 35-Jährige gehört seit Beginn zu den drei erfolgreichsten Fahrern der Formel E, gewann mit zehn Rennen die zweitmeisten nach Sebastien Buemi (13) und holte 2016/17 die Meisterschaft.

Unter einem solchen Szenario könnten in Zukunft Rast und Müller das Fahrer-Duo der Marke mit den vier Ringen bilden. Der Schweizer machte sich schon in der vergangenen Saison berechtige Hoffnungen auf ein doppeltes Werksprogramm, letztendlich setzte sich Abt dank einiger mächtiger Befürworter im Audi-Konzern durch. Der Kemptener, der 2017 zum Werksfahrer aufstieg, erhielt in den vergangenen beiden Saisons stets Verträge mit der Dauer von einem Jahr.

Daniel Abt: YouTube-Statement zu Audi-Rauswurf nach Skandal: (14:52 Min.)

Gass: Deutsche Fahrer nicht vernachlässigbar

"Man kann sagen, dass es Leute gibt, die Nico gern im Formel-E-Auto sehen würden", sagte Audi-Motorsportchef Dieter Gass im September 2019 zu Motorsport-Magazin.com. "Er ist eine bekannte Größe bei uns im Haus, nicht zuletzt wegen des DTM-Projekts, in dem er starke Leistungen zeigt. Auch das Formel-E-Projekt hat er durch seine Tätigkeit im Simulator sehr unterstützt. Intern haben sich Leute für den einen oder den anderen Fahrer ausgesprochen, das kann ich bestätigen."

Auch erklärte Gass, dass es nicht komplett vernachlässigbar sei, einen deutschen Fahrer im Team zu haben. Das gilt ebenso für Porsche mit Andre Lotterer und BMW mit Max Günther, nur Mercedes-Benz setzt mit Stoffel Vandoorne und Nyck de Vries auf zwei nicht-deutsche Fahrer in der Formel E. Rast könnte künftig auch diesen Punkt bei Audi erfüllen.

Abt: Es gibt immer einen Weg

Wie es unterdessen mit Abt, der 2018 in Mexiko als erster deutscher Fahrer ein Rennen in der Formel E gewann, weitergeht, ist unklar. "Man macht Fehler im Leben und ich fühle mich gerade so, als wenn ich nicht tiefer fallen könnte", sagte der 27-Jährige in einem Video-Statement nach dem Rauswurf. "Ich bin am Boden, werde aber wieder aufstehen und mich erholen. Ich brauche jetzt Zeit, um über meine Karriere nachzudenken, aber es gibt immer einen Weg."

Ein weiteres Engagement in der Formel E ist nur schwer vorstellbar, zu sehr ist der Sohn von Abt-Sportsline-Chef Hans-Jürgen Abt mit der Marke Audi verbandelt. Die anderen deutschen Hersteller werden Abt deshalb kaum in Betracht ziehen und auch ein Wechsel ins Audi-Kundenteam Virgin Racing ist nach den jüngsten Vorfällen nicht vorstellbar.

Ob Abt, der sich in der Welt der Formel E stets wohlfühlte, Ambitionen hat, bei einem anderen und kleineren Team unterzukommen, darf bezweifelt werden. Dabei bringt er gute Argumente für eine Zukunft in der Formel E mit: Abt zählt zu den mit Abstand erfahrensten Piloten in der jungen Rennserie und käme mit der Vita aus zwei Siegen, zehn Podestplätzen sowie zwei Pole Positions.

Daniel Abts Karriere in der Formel E

StatistikZahlen
Rennen63
Siege2
Podestplätze10
Pole Positions2
Schnellste Runden8
Punkte390
Beste Platzierung5 (2017/18)

Nächstes Abenteuer: Extreme E

In der nahen Zukunft ist ein Engagement in der neuen Rennserie von Alejandro Agag, der Extreme E, realistisch. Die reinelektrische SUV-Serie startet im Januar 2021 in ihre erste Saison und trägt bis Oktober fünf internationale Läufe aus. Abt Sportsline zählt - wie damals in der Formel E - zu den Gründungsmitgliedern der Serie und Daniel Abt gehört dem Fahrer-Pool an, aus dem sich die Teams bei Bedarf bedienen können.