Audi wirft Daniel Abt raus: gerecht oder zu hart?: (43:08 Min.)

Virtuell geschummelt, real rausgeflogen: Daniel Abts Suspendierung durch den Audi-Konzern sorgt für riesengroße Diskussionen in der Welt des Motorsports. Die Szene ist entzweit wie schon lange nicht mehr, die einen nehmen den 27-Jährigen in Schutz, andere sprechen von Dummheit, Respektlosigkeit und Rufschädigung.

Einigkeit herrscht darüber, dass Abt mit seiner als Scherz geplanten Aktion während eines virtuellen Rennens der Formel E einen riesengroßen Fehler begangen hat. Diesen hat der Kemptener am Dienstagabend in einem Video-Statement (über 430.000 Aufrufe und Platz 1 in den YouTube-Trends am Mittwochmittag) ebenfalls eingeräumt und zugegeben, die Ausmaße unterschätzt zu haben.

Über Abt brach nach dem Vorfall, bei dem er einen jungen Sim-Profi an seiner Stelle das Rennen bestreiten ließ, ein weltweiter Shitstorm herein. Zahlreiche Rennfahrer-Kollegen stellten sich hinter Abt und verwiesen darauf, dass es sich lediglich um ein Computerspiel handele. In ersten Reaktionen kündigten Piloten wie der amtierende Meisterschaftsführende der Formel E, Antonio Felix da Costa, an, die Live-Übertragungen von Rennen auf ihren jeweiligen Twitch-Kanälen (Livestreaming-Plattform) einzustellen.

Timo Scheider: Das Limit ist erreicht

Das Thema wird aktuell auch in einer WhatsApp-Gruppe, in der sich mehr als 100 Rennfahrer und Sim-Profis zusammengeschlossen haben, wild diskutiert. "Dass Daniel Abt betrogen und gegen das Reglement des Sim-Racing und die Ehre verstoßen hat, ist keine Frage", sagt Timo Scheider, der mit Audi 2008 und 2009 die DTM-Meisterschaft gewann. "Aber jetzt verliert der Junge seinen realen Racing-Job. Alles, was aus Spaß angefangen hat, ist jetzt nicht mehr lustig. Jetzt ist das Limit erreicht und für mich ein Schritt zu viel. Man hätte andere Wege gefunden ihn zu bestrafen und jetzt vielleicht die Möglichkeit, die dazu eingeladen hat, einen anderen Fahrer ins Auto zu setzen."

Der Audi-Konzern erklärte im Zuge von Abts Suspendierung, dass "Integrität, Transparenz und die konsequente Einhaltung geltender Regeln" oberste Priorität hätten, und zwar bei allen Aktivitäten, an denen die Marke beteiligt ist. Dazu gehört demnach auch das virtuelle Rennen, bei dem Abt als offizieller Audi-Werksfahrer - diesen privilegierten Status genoss er seit 2017 - auftrat.

Abt entschuldigt sich: Nicht genug nachgedacht

"Im Nachhinein betrachtet haben wir nicht genug über die Ernsthaftigkeit und Konsequenzen, die das Ganze mit sich bringt, nachgedacht", entschuldigte sich Abt bei allen Beteiligten. Weder Audi Sport noch sein Management wussten im Vorfeld von der geplanten Aktion. "Wir haben einen riesengroßen Fehler begangen. Zu diesem Fehler stehe ich und akzeptiere es und trage alle Konsequenzen für das, was ich gemacht habe."

Ob die von der Formel E verhängte Straf-Spende in Höhe von 10.000 Euro (spendete Abt umgehend an eine Behinderteneinrichtung im Allgäu) zu hoch war und vielleicht erst intern im Audi-Konzern weitere und härtere Maßnahmen auslöste, darüber scheiden sich weiterhin die Geister.

"Das alles begann als eine Show zur Unterhaltung", meint Porsche-Werksfahrer Laurens Vanthoor. "Jetzt hat es mehrere Karrieren gekostet. Ja, es gibt Dos und Don'ts. Ja, manche sind inakzeptabel. Konsequenzen müssen sein - aber so etwas?! Das ist eine virtuelle Nummer um zu unterhalten, nicht unser täglicher Job. Aber genau den kostet es uns."

Fahrer überdenken Online-Verhalten - zu Recht?

BMW-Werksfahrer Nick Catsburg, der sich aktiv im professionellen Sim-Racing engagiert, stellte die Auswüchse des Abt-Eklats bereits vor dessen Entlassung in Frage. Der Niederländer im Interview mit dem VCO eSports Studio: "Ich habe letzte Nacht darüber nachgedacht, zu überdenken, was ich künftig online mache. Ich profitiere zwar davon, aber niemand zwingt mich dazu. Ich hoffe, dass es nicht in die Richtung geht, dass es zu ernst genommen wird. Es ist ja auch ein bisschen Spaß dabei."

Ebenso wird die Frage diskutiert, wo genau die Wurzel allen Übels liegen könnte. Beim Livestream-Portal Twitch, wo die Fahrer nicht selten Dinge von sich geben, die sie womöglich besser für sich behalten hätten, die aber unmittelbar und ungefiltert an die Zuschauer weitergeleitet werden. Oder bei den Fahrern selbst, die eventuale Konsequenzen im echten Leben womöglich unterschätzen...

"Warum jetzt keine Streams mehr? Wenn man sich ganz normal verhält, ist doch alles gut", findet Jan Seyffarth, langjähriger Rennfahrer und Vorsitzender der AG SimRacing im DMSB. "Ich finde diese Einstellung einiger Rennfahrer sehr grenzwertig. Denn wann man Simracing generell als 'Spaß' betitelt, dann haben sie die Ernsthaftigkeit nicht begriffen und nutzen es als Lückenfüller. Es gibt nämlich genug Fahrer, die das Thema sehr ernsthaft betreiben."

Virtueller Interessenkonflikt

Es kristallisierte sich schon beim viel diskutierten Sim-Unfall zwischen Lando Norris und Indy-500-Champion Simon Pagenaud während des Finales der virtuellen IndyCar-Serie heraus, dass in der Online-Welt unterschiedliche Herangehensweisen - wortwörtlich - aufeinanderprallen. Die einen fassen das Sim-Racing als professionelle Arbeit auf und investieren viel Zeit und Aufwand in die Vorbereitung. Andere sehen es eher als Lückenfüller, um die Corona-Zwangspause zu überbrücken.

"Nach allem ist es ein Spiel, das man ernst nehmen sollte. Aber es ist ein Spiel", meint der amtierende Formel-E-Meister Jean-Eric Vergne. "Was ist dann mit all den Fahrern, die absichtlich Unfälle bauen und wahrscheinlich ihre Lizenz verlieren würden, wenn das in der Realität passieren würde? Ich bin bei fast allen Rennen rausgeflogen, weil sich Fahrer unsportlich verhalten oder mich als Bremse benutzt haben."

Konzern-Entscheidung mit Tragweite

Jetzt hat der Audi-Vorstand voll aufs Bremspedal getreten und Abt kurzerhand rausgeworfen. Eine Entscheidung mit Tragweite, schließlich ist das von Daniel Abts Vater Hans-Jürgen geführte Traditionsunternehmen aus dem Allgäu der größte Veredler von Fahrzeugen des VW- und Audi-Konzerns. Zudem sind die Äbte in der DTM sowie in der Formel E in die Werksprogramme der Ingolstädter involviert.