Herr Marquardt, wie fällt ihr Fazit zur ersten Saison von BMW in der Formel E aus?
Jens Marquardt: Wenn du als neues Team in solch eine Serie einsteigst, weißt du im Vorfeld schon, dass es definitiv gegen erstklassige und deutlich erfahrenere Konkurrenten schwierig wird. Aufgrund des neuen Antriebs war nicht klar, wo jeder steht. Es ist immer positiv, wenn du zu einem Zeitpunkt in eine Serie einsteigst, an dem das Reglement für alle neu ist. So war es bei unserem DTM-Einstieg und jetzt in der Formel E mit dem Gen2-Auto. Unsere Erwartungshaltung war, vorne mitzufahren, Podestplätze anzupeilen und auch mal ein Rennen zu gewinnen, wenn es gut läuft. Das ist aber keine Selbstverständlichkeit.

Der Start war vielversprechend. Antonio Felix da Costa gewann den Saisonauftakt in Saudi-Arabien...
Jens Marquardt: Unser Sieg beim Saisonauftakt in Ad Diriyah war vielleicht auch ein wenig Zufall - alle hatten ein komplett neues Paket und die Rennstrecke hatte eher den Charakter eines traditionellen Kurses. Danach war es typisch Formel E: Wir hatten acht unterschiedliche Sieger in den folgenden Rennen, dabei hat das neue Qualifying-Format mit einer Art Reversed-Grid-System eine Rolle gespielt. Da haben wir Lehrgeld bezahlt. Wir hatten im Lauf der Saison ein paar Highlights, und ich kann eine positive Bilanz ziehen. Nur in Bern sind wir hinter unseren Erwartungen und Möglichkeiten geblieben. Das war das Low-Light der Saison.

Beim zweiten Rennen in Marrakesch kollidierten die BMW-Fahrer Felix da Costa und Alex Sims beim Kampf um den Sieg. Wie blicken Sie darauf zurück?
Jens Marquardt: Was in Marrakesch passiert ist, war wirklich schade. Da hätten wir auf unseren Auftaktsieg noch einen draufsetzen können. Letztlich haben wir das analysiert und unsere Lehren daraus gezogen. Auch wir als Team hätten einen besseren Job machen müssen, wir haben von außen ja den Überblick. Man hat gesehen, dass Alex in dieser Phase klar der schnellere Fahrer war. Und der Schnellere muss dann auch die Chance bekommen zu überholen, etwa über den Attack Mode. Wenn er dann vorne wegfährt, hat er den Sieg verdient.

Wenn Teamkollegen crashen: Der Super-GAU für den Motorsportchef?
Jens Marquardt: Ich muss ganz ehrlich sagen: Ich hätte überhaupt nicht damit gerechnet, dass wir in unserem zweiten Rennen in der Formel E in diese Luxus-Situation kommen. Zu dem Thema habe ich sogar eine witzige SMS von Toto Wolff erhalten.

Jens Marquardt mit BMW-Vorstandsmitglied Klaus Fröhlich und den Fahrern, Foto: BMW Motorsport
Jens Marquardt mit BMW-Vorstandsmitglied Klaus Fröhlich und den Fahrern, Foto: BMW Motorsport

Hat sich der Auftakt auf den weiteren Verlauf der Saison ausgewirkt?
Jens Marquardt: Bei Alex lief es in den ersten Rennen nicht optimal. Ich sehe da keine Schuld, es war viel Pech dabei. Antonio hatte von Anfang an Chancen auf die Meisterschaft. Da fährst du nicht immer mit 100 Prozent Risiko, weil du dir einen Ausfall und null Punkte nicht leisten kannst. Antonio hat sehr konstant gepunktet und sich in der einen oder anderen Situation auch mal zurückgehalten statt die Brechstange auszupacken. Da ist er inzwischen clever genug. Letztlich haben die Erfolge zu Saisonbeginn dazu geführt zu sagen, dass wir uns darauf fokussieren müssen, weiter konstant Punkte zu holen.

Wo würden Sie BMW in der Hierarchie der Formel E einordnen?
Jens Marquardt: Als Team waren wir in den Top-5 unterwegs, zusammen mit Techeetah, Audi, Virgin und Nissan. Bei uns war es eher fehlende Erfahrung, die verhindert hat, dass wir uns weiter oben in den Top-3 etablieren konnten. Dazu musst du mit beiden Autos kontinuierlich in die Punkte fahren. Das war unser Ziel, und das Paket war dazu in der Lage, wir haben es in dieser Saison aber nicht erreicht.

Virgin war mit einem Kundenauto zeitweise besser als das Werksteam von Audi. Ein Alptraum für den Motorsportchef eines Autobauers?
Jens Marquardt: Da kann ich nicht für andere Teams und Hersteller sprechen. Für uns wäre es kein Alptraum. Vielmehr eine wunderbare Benchmark wegen des Einheitsautos, weil das Team dann sieht, dass es einen besseren Job machen muss. Das war ja auch immer unser Ansatz in der DTM. Im Gegensatz zu anderen, die eine klare Hackordnung hatten, haben wir immer geschaut, dass alle Teams und Fahrer genau die gleiche Unterstützung erhalten. Nur dann hast du den natürlichen Wettbewerb untereinander.

In der Formel E können Teams ein Kundenauto für die festgeschriebene Summe von 817.300 Euro erwerben. Was halten Sie von dieser Regel?
Jens Marquardt: Mit diesem Ansatz wollte man ja auch verhindern, dass ein Wettbewerber völlig verrückte technische Lösungen in solch ein Auto reinpackt. Denn das Reglement lässt gewisse Dinge zu, du könntest da etwas salopp gesagt Weltraumtechnologie einbauen. Bei solch einem festgesetzten Verkaufspreis überlegst du aber zwei Mal, ob es das dann auch wert ist. Ich finde die Regel nicht schlecht. Mit so vielen Herstellern wie im Moment brauchst du sie aber nicht. Die Frage ist, wie es in drei, vier Jahren aussieht. Die Verantwortlichen der Formel E achten darauf, dass auch Privatteams immer die Chance haben, konkurrenzfähig zu sein.

BMW schloss die Saison mit einem Doppel-Podium in New York ab, Foto: BMW Motorsport
BMW schloss die Saison mit einem Doppel-Podium in New York ab, Foto: BMW Motorsport

Wie wichtig sind private Teams für die Formel E?
Jens Marquardt: Ich bin der Meinung, dass man ein System braucht, unter dem auch die Privaten eine Chance haben. Bei einer Zwei-Klassen-Gesellschaft wird es schwierig, und das ist in meinen Augen eines der größten Probleme der Formel 1. Es gibt eine riesige Schere zwischen den Top-Teams und dem Rest, der nur um die goldene Ananas fährt.

Was wird sich bei BMW in der kommenden, sechsten Saison der Formel E ändern?
Jens Marquardt: Für die nächste Saison kennen wir schon ein paar Dinge. Unser Antriebskonzept und Antriebsstrang sind mit Blick auf die Effizienz sehr gut. Auch unsere Strategie, wenngleich wir ein paar Dinge rückwirkend anders machen würden. Das ist aber immer so. Wenn man nach der ersten Saison sagen würde, dass man alles richtig gemacht hat, wäre man in diesem Job verkehrt.

Welche Möglichkeiten gibt es, das Paket von der einen auf die nächste Saison zu verbessern?
Jens Marquardt: Du hast eine gute Basis geschaffen und schaust dann anhand der Analysen einzelner Rennen, wo man weitere Fortschritte erzielen kann. Da stellt sich die Frage, wie viele Ressourcen und Geld reingesteckt werden können und was man dabei rausbekommt. Beim Antrieb schauen wir uns ein paar Dinge an, wobei die Hardware nicht mehr so im Fokus steht. Es geht eher ums Fein-Tuning. Auf mechanischer Seite überlegt man, ob es zum Beispiel beim Aufbau der Heckstruktur noch etwas zu optimieren gibt. Und an der Software kann man sowieso kontinuierlich weiterarbeiten. Ein wichtiger Punkt ist auch die Simulator-Arbeit, denn beim Ein-Tages-Format der Formel E liegt ein Schlüssel darin, wie gut du vorbereitet bist und wie gut die Vorarbeiten waren.

Shakehands: Jens Marquardt mit FIA-Präsident Jean Todt, Foto: BMW Motorsport
Shakehands: Jens Marquardt mit FIA-Präsident Jean Todt, Foto: BMW Motorsport

Wie kann man sich die Simulationsarbeit vorstellen? Ein großer Beraterstab, der in Echtzeit die Strategien berechnet?
Jens Marquardt: Der Großteil des Testprogramms findet im Simulator statt. Darin lernen die Fahrer die Streckenlayouts und erarbeiten gemeinsam mit den Ingenieuren unterschiedliche Strategie-Varianten. Wir sind aber natürlich nicht in der Formel 1. Wir haben ein paar Hochvoltspezialisten, die während der Rennen zuhause in München sitzen und uns bei Problemen helfen können. Mit den meiner Meinung nach sinnvollen Einschränkungen in der Formel E brauchen wir die aber nicht direkt an der Rennstrecke. Das ist wie bei einer Lebensversicherung: Du willst sie nicht in Anspruch nehmen. Wenn du aber ein Problem hast, ist es gut, sie zu haben. Es ist aber definitiv so, dass wir keinen Fahrer zuhause im Simulator sitzen haben, der nach einem Training noch mal zehn unterschiedliche Varianten ausprobiert.

Was halten Sie von dieser Vorgehensweise?
Jens Marquardt: Ich muss ehrlich sagen, dass ich ein absoluter Gegner davon bin. Das habe ich schon immer gesagt, egal, in welcher Rennserie: Das interessiert den Fan auf der Tribüne überhaupt nicht, ob über Nacht zuhause zehn Ingenieure und fünf Testfahrer irgendwas Minimales ausgelotet haben.

Aktuell ist das in der Formel E aber erlaubt...
Jens Marquardt: Ja, und deshalb kämpfe ich auch dafür, dass es den Einen, der es macht, auch nicht gibt. Wir reden viel darüber, wie breit Datenleitungen sind, die du zur Verfügung hast. Sobald du da irgendwelche 'Autobahnen' nach Hause legst, kann man natürlich alles outsourcen... Das ist eigentlich nicht zulässig. Wenn aber einer 30 Leitungen für seine Kommunikationsleute kauft, kann ich natürlich nicht sagen, ob der Social Media oder irgendwelche Fahrzeugdaten schickt.

Besteht dafür ein konkreter Verdacht?
Jens Marquardt: Nein, aber die Gefahr besteht theoretisch natürlich immer.

Finale in New York: Unsportliches Verhalten vom neuen Champion?: (14:14 Min.)

Es gibt bereits erste Überlegungen, die Entwicklung der Batterie in Teilen freizugeben. Wie groß ist die Sorge, dass die Kosten ausufern?
Jens Marquardt: Das wird man immer haben, in jeder Serie. Es gibt Hersteller, die kommen mit einer großen Anzahl an Ingenieuren. Da braucht es eine Regelbehörde, die eine klare Linie vorgibt. Vergleichen wir es doch mit konventionellen Rennserien, wo Hersteller Unsummen an Geld ausgeben, nur, um eine Nuance mehr Performance zu finden. Aber ob einer jetzt den Sprit von X, Y oder Z fährt, ist dem Zuschauer doch völlig egal. Und so ist es auch bei der Batterie. Die Chemie dahinter, das ist im Prinzip für alle mehr oder wenige das Gleiche. Auf der Bühne der Formel E sollte kein Wettbewerb der Zellchemie entstehen, das Racing wird dadurch nicht besser.

Sind Sie zufrieden mit der aktuellen Vermarktung der Formel E?
Jens Marquardt: Grundsätzlich machen die Verantwortlichen einen tollen Job. Auch als Hersteller haben wir dort viele gute Vermarktungsmöglichkeiten. Den Rennkalender sollten wir uns noch genauer anschauen und dort fahren, wo es wirklich Sinn macht. Von unserer Seite aus ist Asien, was Elektromobilität angeht, ein tolles Thema. Da gibt es Bedarf. Mexiko ist ein tolles Event, aber zwei bis drei Rennen in Südamerika sind aktuell vielleicht etwas viel. In Europa gibt es aus meiner Sicht noch einige Schauplätze, die interessant wären: Ein Rennen in München würde ich mir neben Berlin wünschen. Auch Skandinavien ist sicherlich interessant.

Wie bewerten Sie die TV-Quoten in Deutschland? Muss sich da etwas ändern?
Jens Marquardt: Die Frage ist, ob es ideal ist, die neue Formel E am Fernsehen zu messen. Ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich die meisten Sachen im Internet verfolgt habe. Im Fernsehen habe ich Formel E kaum geschaut. Es wäre ein Ansatz für die Formel E, sämtliche Inhalte online zugänglich zu machen. Das junge Publikum, das wir mit der Formel E ansprechen wollen, ist einfach anders unterwegs. Da hockt keiner zuhause und schaut sich das im Fernsehen an.