In Bern war es wieder einmal soweit: In Folge der frühen Massen-Karambolage nach dem Start wurde das Formel-E-Rennen mit roten Flaggen unterbrochen. Und das zum fünften Mal im elften Rennen der Saison 2018/19! Damit wurde fast die Hälfte aller ePrix mit den neuen Gen2-Rennwagen zwischenzeitlich abgebrochen.

In der Schweiz dauerte es geschlagene 39 Minuten, bis die temporäre Rennstrecke wieder repariert und die ursprüngliche Startreihenfolge hergestellt war. Immerhin: Die im deutschsprachigen Raum übertragenden TV-Sender blieben standhaft: Eurosport, ORF eins und SRF zeigten das Rennen bis zum Schluss live im Fernsehen.

Doch die Masse der Abbruch-Rennen wirft einen Schatten über die erste Saison in der Formel E, in der dank verbesserter Boliden kein Autowechsel zur Rennmitte mehr nötig ist. Vor der Rennpremiere in Bern wurden in Mexiko, Hongkong, Sanya und Rom rote Flaggen geschwenkt - und diese vier Rennen folgten auch noch direkt aufeinander.

Lange Zeit äußerten sich die Verantwortlichen der Rennleitung in der Öffentlichkeit kaum zu den Vorfällen, die das Geschehen in dieser Saison zum großen Teil bestimmten. Doch am Freitag vor dem Bern ePrix erhielten ausgewählte Medien die Möglichkeit, ausführlich mit Formel-E-Rennleiter Scot Elkins über die Flaggen-Vorfälle zu sprechen.

Rennleiter Scot Elkins beim Medien-Termin mit Formel-E-Partner voestalpine, Foto: voestalpine
Rennleiter Scot Elkins beim Medien-Termin mit Formel-E-Partner voestalpine, Foto: voestalpine

Elkins: Wie ein Stich ins Herz

"Für mich ist es jedes Mal wie ein Stich ins Herz, wenn wir ein Rennen unterbrechen müssen", machte der erfahrene FIA-Mann auf Nachfrage von Motorsport-Magazin.com kein Geheimnis aus seiner Abneigung gegen rote Flaggen. "Das ist nichts, was man jemals gerne tut. Wir wollen Rennen und grüne Flaggen sehen."

Die meist engen temporären Stadtkurse in der Formel E sind theoretisch prädestiniert für heftigere Zwischenfälle, die einen Rennabbruch leichter provozieren. Doch tatsächlich dauerte es ganze 34 Rennen, bis zum ersten Mal überhaupt in einem Formel-E-Rennen rote Flaggen geschwenkt werden mussten.

Beim Auftakt zur vierten Saison in Hongkong führte eine kleine Karambolage, ausgelöst durch Andre Lotterers Einschlag in die Mauer in seinem ersten Formel-E-Rennen, zur ersten Unterbrechung in der Geschichte der Elektro-Rennserie.

Gründe für die Flaggen-Flut

Dass in der aktuell fünften Saison eine wahre Flaggen-Flut herrscht, ist kein Zufall. Durch die neuen Gen2-Rennwagen kommt es verstärkt zu Kontakten der Fahrer untereinander, um sich einen Vorteil zu verschaffen. Die aktuellen Boliden sind robuster als ihre Vorgänger, bei denen gern mal ein Frontflügel im Falle eines Kontaktes fliegen ging.

Und da Downforce bei einem Formel-E-Rennauto ohnehin eine untergeordnete Rolle spielt, werden Schubser gern in Kauf genommen, ohne dass die Performance großartig leiden würde. Nicht zuletzt erlebte die Formel E in der bisherigen Saison eine Vielzahl an Vollgas-Rennen, weil das Energie-Management nach einer Safety-Car-Phase - davon gab es einige - keine entscheidende Rolle mehr einnahm.

Formel E in Bern: Zusammenfassung des Rennens (03:19 Min.)

Jeder kämpft um seinen Platz

"Es hing an vielen Faktoren", erklärte Elkins die vermehrten Rennabbrüche. "Aber der größte war, dass diese Meisterschaft so hart umkämpft ist. Das Racing ist so eng, jeder kämpft um seinen Platz. Und die Fahrer müssen ihre Energie managen, das ist schwierig. Das verändert die Art und Weise, wie Fahrer ein Rennen angehen. Ich denke, das hat zu einigen dieser roten Flaggen geführt."

Der erste Rennabbruch in dieser Saison geschah beim vierten Rennen in Mexiko-City, als der ehemalige Jaguar-Pilot Nelson Piquet spektakulär über den Techeetah des amtierenden Champions Jean-Eric Vergne abhob und auch noch BMW-Pilot Alex Sims torpedierte. "Ein schlimmer Unfall, wir mussten das Rennen stoppen", sagte Elkins. "Da gab es keine andere Möglichkeit." Die Rotphase dauerte 26 Minuten, bevor das Rennen erneut aufgenommen werden konnte.

Beim darauffolgenden ePrix in Hongkong musste für 15 Minuten unterbrochen werden, nachdem Dragon-Kurzzeitfahrer Felipe Nasr mit dem Mahindra-Duo Pascal Wehrlein/Jerome D'Ambrosio kollidiert war.

Beim sechsten Saisonrennen in Sanya ging es munter weiter: Wieder 15 Minuten Rotphase, weil Andre Lotterer den BMW von Alex Sims in die Mauer gedrückt hatte. "In Sanya war rot, weil die Streckenposten sehr langsam waren", erklärte Elkins. "Da haben wir die roten Flaggen genutzt, um das Rennen anzuhalten, damit wir am Ende mehr Racing erleben."

Negativ-Höhepunkt: Rom ePrix

Den Negativ-Höhepunkt, der das Fass zum Überlaufen brachte, erlebte die Formel E beim anschließenden Europa-Auftakt in Rom. Geschlagene 47 (!) Minuten vergingen in Folge eines Unfalls, bis wieder gestartet werden konnte. Die Streckenarbeiten in der Ewigen Stadt waren die eine Sache.

Für Stirnrunzeln sorgte aber vor allem die Neugruppierung des Feldes vor dem Re-Start. Da die Fahrer vor der Massen-Karambolage etwa eine Runde mehr absolviert hatte als die Piloten, die hinter den havarierten Boliden von Jose Maria Lopez, Gary Paffett und Jean-Eric Vergne im Stau steckten, hätten Erstere einen Energie-Nachteil gehabt.

Deshalb rief die Rennleitung das hintere Feld dazu auf, eine Runde mit Renn-Pace zu absolvieren und sich dann wieder hinten in der Boxengasse einzureihen. Das kostete viel Zeit. Ärgerlich vor allem, dass TV-Sender durch die lange Unterbrechung ihre Übertragung vorzeitig beendeten.

Besserung in Sicht

Nach diesen Vorfällen half unter anderem eine neu eingeführte, mündliche Verwarnung für eine gesittetere Fahrweise auf der Strecke. Weniger Safety Cars und Strecken, auf denen das Energie-Management noch wichtiger war, ließen bei den folgenden Rennen in Paris (erstes Regenrennen der Formel-E-Geschichte), Monaco und Berlin wieder geordnetere Verhältnisse einkehren.

Warum es dann in Bern erneut krachte, haben wir am Montag in dieser Hintergrund-Geschichte aufgearbeitet:

Nach dem Bern ePrix endet die fünfte Saison der Formel E mit dem Doubleheader-Finale in New York. Zur kommenden Saison wurden bereits Maßnahmen im Reglement getroffen, um das Energie-Management wieder mehr in den Vordergrund zu stellen. Ein weiteres gutes Argument für die Fahrer, im Zweifel lieber einen Kontakt zu vermeiden und sich stattdessen auf die eigene Strategie zu konzentrieren.