Der Regel-Kniff der Formel E ist aufgegangen: Durch das zu dieser Saison neu eingeführte Qualifying-Format, in dem die bestplatzierten Fahrer in der Meisterschaft als Gruppenerste starten müssen, herrscht enorme Spannung im Titelkampf. Vor dem achten Saisonrennen in Paris an diesem Samstag (ab 16:00 Uhr live bei Eurosport und im ZDF-Livestream) kann sich praktisch das halbe Fahrerfeld Chancen auf die Meisterschaft ausrechnen.

Doch das Qualifying-Format, das effektiv die erfolgreichsten Fahrer der Formel E bestraft, sorgt immer wieder für Kontroversen. "Als Fahrer finde ich es komplett unfair", sagt der amtierende Champion Jean-Eric Vergne. "Du arbeitest so hart und dann wirst du bestraft, weil du einen guten Job gemacht hast. Ich hasse es."

Jedoch: Vergne versichert, dass er die Idee dahinter verstehe. Sprich: Ein möglichst ausgeglichener Wettbewerb und Spannung bis zum Ende. Werte, die sich die Formel E seit langer Zeit auf die Fahne geschrieben hat.

"Ich finde das Format fair", sagt Rom-Sieger Mitch Evans, und liefert seine Erklärung gleich hinterher: "Was soll man auch sonst machen? Man kann ja nicht die Letzten in der Meisterschaft als Erste starten lassen, das wäre auch nicht fair."

'Fair' war das Qualifying-Format eigentlich nie in der Formel E. Bis zur letzten Saison wurden den Fahrern die Gruppen per Zufall zugelost. Wer in Gruppe 1 starten musste, ärgerte sich genauso über die zumeist schlechteren Streckenbedingungen, die sich im weiteren Verlauf des Qualifyings verbessern und damit den Fahrern in der letzten Gruppe 4 einen Vorteil verschaffen.

Allerdings hatten die Favoriten in den vergangenen Jahren die Möglichkeit, sich mit einem überlegenen Energie-Management im Rennen durchs Feld zu kämpfen. Dieser Faktor spielt in der ersten Saison mit dem neuen Gen2-Rennwagen aber keine große Rolle mehr. Vollgas statt Energie sparen ist angesagt.

Die relativ kurze Renndauer von 45 Minuten plus einer Runde sowie zahlreiche Unterbrechungen durch Safety-Car- oder Full-Course-Yellow-Phasen machen das Sparen von Energie oftmals obsolet. Und wenn dieser wichtige Vorteil keine Rolle spielt, müssen die Fahrer die Brechstange auspacken, um auf den engen Stadtkursen nach vorne zu kommen.

Die Folge waren unter anderem vier zwischenzeitliche Rennabbrüche in den letzten vier Rennen. Nicht nur Vergne regte deshalb an: "Die Wahrscheinlichkeit für ein Safety Car beträgt in der Formel E 100 Prozent. Bei einem Safety Car sollte die Rennzeit eingefroren werden." Durch die dadurch gewonnene Renndauer würde das Energie-Management wieder in den Vordergrund rücken - und die Brechstangen-Methode möglicherweise in den Hintergrund.

"Dann startest du vielleicht einmal hinten, hast aber noch die Chance, nach vorne zu kommen", erklärt Vergne am Rande seines Heimrennens in der französischen Hauptstadt. Das dürfte auf dem nur 1,9 Kilometer langen Stadtkurs ein schwieriges Unterfangen werden. Überholmöglichkeiten gibt es kaum. Und die Geraden sind zu kurz, um die 25 zusätzlichen kW des Attack Mode effektiv einsetzen zu können.

"Keine optimale Strecke", sagt Venturi-Pilot Edo Mortara zu Motorsport-Magazin.com. "Ich glaube nicht, dass wir ein spannendes Rennen sehen werden." Zumindest nicht in Sachen Positionsgewinnen - mit der üblichen Action rechnet der frühere DTM-Fahrer schon: "Bestimmt gibt es hier auch wieder rote Flaggen..."

Um den Fahrern in Paris etwas mehr Chancen auf Überholmanöver einzuräumen, hat die FIA kurzfristig die Aktivierungszone für den Attack Mode abgeändert. Der zu überfahrende Bereich rückt einige Meter weiter in Richtung Ausgang von Kurve 9 statt wie ursprünglich mitten auf der Geraden zwischen Turn 9 und 10 platziert zu sein. Im Falle dieser Lösung hätten die Fahrer beim Aktivieren praktisch keinerlei Zeit verloren.