Erkennen Sie hier ein Muster? In den bisherigen sieben Saisonrennen der Formel E gab es sieben unterschiedliche Sieger aus sieben verschiedenen Nationen sowie sieben unterschiedlichen Teams. Gleichzeitig gelang es sieben unterschiedlichen Fahrern, sich die Pole Position für einen ePrix zu sichern. Da ist es fast schon selbstverständlich, dass der Extrapunkt für die schnellste Rennrunde bislang an sieben verschiedene Fahrer ging.

Kurzum: Die Meisterschaft in der Formel E ist unvorhersehbar wie in keiner anderen Profi-Rennserie auf der Welt. Das spiegelt sich auch in der Gesamtwertung wieder, die Fahrer von sechs unterschiedlichen Teams anführen. Verrückt: Die Top-10 sind im Gesamtklassement nur durch 21 Punkte voneinander getrennt!

Zum Vergleich: In den bisherigen vier Saisons der Formel E lagen die Top-10 mit 65 (Saison 1), 94 (Saison 2), 99 (Saison 3) und 87 Punkten (Saison 4) zum gleichen Zeitpunkt deutlich weiter auseinander. "Die Formel E ist die wettbewerbsfähigste Rennserie der Welt", jubelte Formel-E-Gründer Alejandro Agag bei einem Event an diesem Donnerstagabend in Paris. "Die Serie ist auf dem Höhepunkt!"

Jerome D'Ambrosio ist mit 65 Zählern Spitzenreiter vor dem achten Saisonrennen an diesem Samstag in der französischen Hauptstadt (ab 16:00 Uhr live bei Eurosport 1 und im ZDF-Livestream). Eng, enger, Formel E(ng): Antonio Felix da Costa (65 Punkte / BMW), Andre Lotterer (62 / DS Techeetah) und Rom-Sieger Mitch Evans (61 / Jaguar) liegen auf den Plätzen zwei bis vier nur ein paar Pünktchen hinter dem Mahindra-Piloten.

Woran liegt es, dass die Leistungsdichte in der Elektro-Rennserie so enorm hoch ist? Dabei spielen mehrere Faktoren eine Rolle: Zunächst dürfen die Einheits-Chassis während der Saison nicht weiterentwickelt werden, als Performance-Faktor kommt nach dem ersten Rennen nur die Optimierung der Software in Frage. Ganz anders läuft es in der Formel 1, wo die Teams während der Saison laufend technische Updates für ihre Autos entwickeln und einsetzen.

Formel E 2018/19: Die bisherigen Sieger

RennenSiegerPole-Setter
Saudi-ArabienFelix da Costa (BMW)Felix da Costa (BMW)
MarrakeschD'Ambrosio (Mahindra)Bird (Virgin)
SantiagoBird (Virgin)Buemi (Nissan)
MexikoDi Grassi (Audi)Wehrlein (Mahindra)
HongkongMortara (Venturi)Vandoorne (HWA)
SanyaVergne (Techeetah)Rowland (Nissan)
RomEvans (Jaguar)Lotterer (Techeetah)

Eine ganz wichtige Rolle spielt auch das Qualifying-Format in der Formel E. Hier müssen die bestplatzierten Fahrer in der Meisterschaft stets in der ersten von insgesamt vier Qualifying-Gruppen antreten. Wegen der oftmals besser werdenden Streckenbedingungen im Verlauf des Qualifyings sind die Favoriten dadurch benachteiligt. Ein Paradebeispiel war der vorangegangene ePrix in Rom, wo die Fahrer aus Gruppe 1 allesamt aus dem hinteren Teil des Mittelfelds starten mussten.

Der Start von einer hinteren Position auf den engen Stadtkursen birgt zudem das große Risiko, früh in eine Kollision verwickelt zu werden. Das bekamen so ziemlich alle Meisterschaftsanwärter in mindestens einem Rennen zu spüren. Eine Ausnahme bildet Rom-Sieger Mitch Evans, der als einziger Fahrer im gesamten Feld in bislang allen sieben Rennen punkten konnte.

Experten erwarten, dass es auch in Paris wieder scheppern wird. So wie im vergangenen Jahr, als Lotterer kurz vor dem Zieleinlauf die Energie ausging und ihm Sam Bird ins Heck knallte - um auf drei Rädern als Dritter die Ziellinie zu überqueren.

Auch in dieser Saison kamen sich die beiden Fahrer bereits ins Gehege. In Hongkong rammte Bird Vordermann Lotterer auf dessen Weg zum Sieg. Die Folge: Ausfall für Lotterer, Strafe für Bird, unerwarteter Sieg für Edo Mortara im nicht unbedingt siegfähigen Venturi-Rennwagen...

Jetzt also Paris. Überholmanöver sind auf dem 1,9 Kilometer kurzen Kurs rund um den Invalidendom kaum möglich. Da auch das Energie-Management zu vernachlässigen und stattdessen 45 Runden Vollgas angesagt ist, müssen die Fahrer beim Überholen wohl wieder zur Brechstange greifen.

Die Frage vor dem achten von insgesamt 13 Saisonrennen: Kann sich in der nun beginnenden heißen Phase ein Fahrer absetzen? "Irgendwann spitzt es sich zu - oder auch nicht", rätselt Audi-Werksfahrer Daniel Abt bei Motorsport-Magazin.com. "Aber besser so, als wenn man schon wüsste, dass nur zwei Fahrer eine Chance auf den Titel haben. Auch ich habe noch eine Chance - was sind schon 21 Punkte?"

Theoretisch könnte Abt sogar als Meisterschaftsführender aus Paris abreisen. Oder auch Teamkollege Lucas di Grassi, der schon im Vorfeld wenig begeistert davon war, erneut in der ersten Quali-Gruppe starten zu müssen. Wohlwissend, dass die Startposition in Paris enorm wichtig sein wird.

Ob die Flut an unterschiedlichen Siegern wegen der Unvorhersehbarkeit ein Gewinn für die Formel E ist oder die Serie ein wenig an eine Lotterie erinnert, darüber scheiden sich die Geister. "Ich finde das gut", meint BMW-Werksfahrer Antonio Felix da Costa zu Motorsport-Magazin.com. "Für die Zuschauer muss das doch total spannend sein. Ich glaube, dass beim Finale in New York noch fünf oder sechs Fahrer um den Titel kämpfen."