Was am 3. März 2011 in einem Pariser Restaurant mit Notizen auf einem Bierdeckel begann, hat sich inzwischen zur am meisten boomenden Rennserie im Motorsport entwickelt: die Formel E, Schauplatz für große Hersteller und namhafte Sponsoren. Damals saßen Seriengründer Alejandro Agag und FIA-Präsident Jean Todt beim Abendessen, als sie die Innovation namens Formel E auf dem kleinen Pappdeckel ausheckten.

Nach einigen Anlaufschwierigkeiten in den ersten beiden Saisons steht die Formel E inzwischen auf sicheren Beinen. Ein Erfolg, der vor allem auf Agag zurückzuführen ist. Den Visionär, den Businessman, den früheren Politiker. Motorsportchefs wie Toto Wolff bestätigen: Ohne Agag hätten sie den Einstieg in die Elektro-Rennserie wohl noch einmal überdacht.

Es brauchte einen Antreiber wie Agag, um die Formel E in der Welt des Motorsports trotz aller Widerstände zu etablieren. Einen echten Pionier. Wie damals Bernie Ecclestone, der die Formel 1 zu einer der lukrativsten Sportarten der Welt formte. Vielleicht auch einen Diktator, oder netter formuliert: einen Alleinherrscher.

Geschichte wiederholt sich

Experten sind sich einig: Ohne Ecclestone wäre die Formel 1 nicht dort, wo sie heute steht. Der oftmals streitbare Brite bescherte der Königsklasse des Motorsports quasi im Alleingang den kommerziellen Erfolg, der ihr die Zukunft sicherte. Mit einem E statt einer 1 im Namen scheint sich die Geschichte viele Jahre später zu wiederholen.

Agag und Ecclestone: So verschieden sie im ersten Moment wirken mögen - auf der einen Seite der großgewachsene, charismatische Spanier, auf der anderen der kleine, verschrobene Brite - so sehr ähneln sie sich doch in ihren Wesenszügen.

Agag und Bernie 2007 auf dem King Fisher Boot von Vijay Mallya, Foto: LAT Images
Agag und Bernie 2007 auf dem King Fisher Boot von Vijay Mallya, Foto: LAT Images

Agag: Natürlich will ich Geld verdienen

Agag und Ecclestone, die Machtmenschen. Was bei Bernie stets offensichtlich war, hielt Agag zumeist im Verborgenen: beide wollen die Führung an sich reißen. Aktuelles Beispiel aus diesem Jahr: Agag machte den hauseigenen Anteilseignern der Formel E ein Angebot, ihnen sämtliche Anteile abkaufen zu wollen. 600 Millionen Euro bot Agag, um seine Einflussnahme zu vergrößern. Die Adressaten winkten ab.

"Natürlich ist das hier ein Business und ich will damit Geld verdienen", sagte Agag zu Motorsport-Magazin.com. Eine Aussage, die eins zu eins von Ecclestone hätte stammen können, als er in der Formel 1 noch die Zügel in der Hand hielt. Aus Agags Mund klingen diese Worte angesichts seines aktuellen Images fast schon ein wenig befremdlich. Zu viel Business, zu wenig Zeitgeist.

Agag: Die Formel E soll mich überleben

Doch selbst hier gelingt Agag der elegante Schwenk hin zu dem, wofür auch die Formel E stehen soll. Nachhaltigkeit, eine bessere Umwelt. Etwas, bei dem nicht so gerne über Geld gesprochen wird. "Ich wünsche mir, dass die Formel E mich überlebt", fügte er in einem Atemzug an. "Nicht, weil ich sterbe, sondern für den Fall, falls ich irgendwann mal aussteige oder etwas anderes machen möchte. Darüber hinaus soll die Formel E weiter bestehen bleiben. Das möchte ich aufbauen, damit es immer weiter geht - ganz unabhängig von mir."

Die wohl letzten Worte, die Ecclestone als damaligem Formel-1-Herrscher über die Lippen gekommen wären. Nach seiner Entthronung durch das US-Unternehmen Liberty Media spielte der heute 87-Jährige erst einmal die beleidigte Leberwurst. Man hätte ihm sogar zugetraut, eine Piratenserie zu gründen, um den 'Neuen' auf seine alten Tage noch mal richtig zu zeigen, wie das Geschäft zu laufen hat.

So unterschiedlich, und doch so ähnlich. Es war kein Zufall, dass Agag und Ecclestone im Jahr 2007 gemeinsam den britischen Fußballklub Queens Park Rangers kauften und den Verein binnen weniger Jahre aus der Versenkung bis in die Premier League führten. Die Zusammenarbeit der beiden Anführer hatte übrigens Flavio Briatore eingefädelt.

Sind Sie der Bernie der Formel E?

Beide Männer respektieren sich seit vielen Jahren für ihr Schaffen. Und nicht selten muss sich Agag heute die Frage gefallen lassen: Sind Sie der Bernie Ecclestone der Formel E?

Agag im großen Motorsport-Magazin.com-Interview beim diesjährigen Formel-E-Rennen in Paris: "Wenn man einzig und allein auf meine Position schaut, dann ja. Bei allen anderen Dingen: nein. Bernie war wirklich etwas Besonderes. Wenn Sie mich in 40 Jahren noch einmal danach fragen, sehe ich das vielleicht anders. Ich glaube aber nicht, dass ich in 40 Jahren noch hier sein werde... Bernie hat diese einzigartige Geschichte, wie er die Formel 1 hochgezogen hat. Bei uns in der Formel E laufen viele Dinge anders. Deshalb sage ich jetzt, dass ich nicht der Bernie der Formel E bin."

Agag mit Liv Tyler und Uma Thurman bei der Gala in New York 2018, Foto: LAT Images
Agag mit Liv Tyler und Uma Thurman bei der Gala in New York 2018, Foto: LAT Images

Agag: Bernie glaubt nicht an das Konzept

Sprich: Noch nicht. Aus Agags differenzierter Antwort wird ersichtlich, wie sehr er Bernie und dessen Weg mit der Formel 1 bewundert. Ein Modell, das er sich im Grundsatz auch für die Formel E vorstellt. "Wenn sich ein Hersteller nicht an unsere Vorgaben hält, dann kann er ja wieder gehen", polterte Agag Ende 2017 in Hongkong, angesprochen auf die Sorge vor zu großer politischer Einflussnahme in Folge des Hersteller-Booms.

Klingt wieder ganz nach Ecclestone, der sich selbst nur äußerst ungern auf der Nase herumtanzen ließ. Da waren sie wieder, die Parallelen. Auch heute tauschen sich die beiden Leader miteinander aus. Sie werden sich vermutlich häufiger gegenseitig bestätigen als die Ideen des Anderen abzutun.

Nur an einer Sache muss Agag noch arbeiten bei seinem Freund, wie er sagt: "Bernie sieht die Formel E sogar sehr positiv wegen all der Hersteller und so weiter. Aber er glaubt immer noch nicht wirklich an das Konzept. Ich glaube jedoch, dass er inzwischen verstanden hat, dass hier die Zukunft liegt."