Saisonprognose Honda wird in der Saison 2009 nicht mehr am Start sein. Die Hoffnung auf einen Nachfolger auf Basis des Ex-Werksteams lebt weiter. Wunder sind jedoch keine zu erwarten. (...) Dabei wollte Honda 2009 groß angreifen. (...) Der Teamboss bezeichnete den RA109 sogar als Siegerauto. (Auszug aus der Saisonvorschau 2009 - Motorsport-Magazin 3/09, März 2009)

Die Bilanz - Team Wunder, Märchen, Sensation - die Saison von Brawn GP erhielt viele Bezeichnungen. Für viele Betrachter war es das perfekte Beispiel für einen Phoenix aus der F1-Asche. Der einzige Unterschied: Der Vogel aus der griechischen Mythologie brachte aus dem vorherigen Leben keine 300 Millionen Budget, 700 Mitstreiter und ein in vier Windkanälen für 16 Monate entwickeltes Fortbewegungsmittel mit.

Melbourne 2009: Der Brawn-Wahnsinn nahm seinen Lauf., Foto: Sutton
Melbourne 2009: Der Brawn-Wahnsinn nahm seinen Lauf., Foto: Sutton

Genau das war die Hinterlassenschaft von Honda, die im Dezember 2008 ihren Ausstieg aus der Formel 1 ankündigten und damit weniger mythologische Wesen beschworen, als Charles Darwins "survival of the fittest" auf die Probe stellten: Es ging ums nackte Überleben. Bis zuletzt kämpften Ross Brawn, Nick Fry und ihre Kollegen um den Fortbestand des Teams. Nachdem Honda alle potenziellen Käufer ablehnte, setzten sie einen Management-Buyout durch, der sich ein Dreivierteljahr später für sie in mehrfacher Hinsicht bezahlt machen sollte. Am Anfang standen jedoch Opfer: Allen voran rund 300 Mitarbeiter, die aus Kostengründen vor die Tür gesetzt werden mussten.

Finanziell sicherte Honda die Saison ab, denn eine Schließung des Rennstalls hätte den Hersteller mehr Geld gekostet, als dem Team einen Zuschuss für das erste Jahr zu gewähren. Abgesehen von Virgin blieben Sponsorenlogos lange Mangelware, erst in den letzten Rennen gab es Race-by-Race-Deals mit diversen Unternehmen.

Die Bilanz - Auto Kurz nach der Ausstiegsankündigung von Honda lehnte sich Ross Brawn ungewöhnlich weit aus dem Fenster. Er adelte den noch in der Entwicklung befindlichen RA109 als Siegerauto. Eine mutige Aussage, bei der viele davon ausgingen, dass er sie nie hätte beweisen müssen - denn Rettung war zu diesem Zeitpunkt weit entfernt und selbst dann schien ein Sieg angesichts der ungewissen Wintermonate unwahrscheinlich.

Es kam anders: Der umgetaufte BGP 001 beendete gleich sein erstes Rennen als Sieger - sogar mit einem 1-2-Erfolg. Ein Ziel, welches das Ex-Honda und vor allem Ex-BAR-Team schon einmal hatte. Schlappe zehn Jahre vor dem Brawn-Doppelerfolg von Melbourne kündigte British American Racing einen Sieg im ersten Rennen an. 2009 wurde der Wunsch endlich Realität - unter den schwierigsten denkbaren Bedingungen. Immerhin hatte das Auto vor dem Auftaktrennen gerade einmal sieben Testtage hinter sich.

Im Winter noch arbeitslos, im Jahr darauf Formel-1-Weltmeister: Jenson Button., Foto: Sutton
Im Winter noch arbeitslos, im Jahr darauf Formel-1-Weltmeister: Jenson Button., Foto: Sutton

Die Wunderwaffe der ersten Rennen hörte auf den Namen Doppeldiffusor und war an keinem Auto so ausgeprägt wie am Brawn. Der umstrittene hintere Unterboden wurde im Graubereich des Reglements konstruiert, eine Spezialstärke von Ross Brawn, der dafür einiges an Kritik und Vorwürfen einstecken musste, der Erfolg rechtfertigte jedoch die Mittel - und die FIA erklärte sie nachträglich für legal.

Der BGP 001 war unumstritten das schnellste Auto der ersten Saisonhälfte, bis Red Bull in Silverstone nachrüstete konnte nur ein Verständnisproblem im Regenrennen von Shanghai die Weißen stoppen. Der WM-Titel schien ihnen nicht mehr zu nehmen. Doch dann kamen die Probleme. Die niedrigen Temperaturen bei einigen Europarennen sowie die höhere Entwicklungsrate der Konkurrenz ließen Brawn zurückfallen, plötzlich hatte man nicht mehr das beste und schnellste Auto. Der Red Bull war spätestens in der Schlussphase der WM klar überlegen und auch McLaren hatte den Silberpfeil mit viel Einsatz wieder geschärft.

Einer der Gründe für den Leistungsabfall war das eingeschränkte Budget: Laut Ross Brawn konzentrierte man sich ab Jahresmitte auf das Auto für 2010, opferte nur eine zusätzliche Woche für die Entwicklung im WM-Kampf. Red Bull, McLaren und selbst BMW Sauber arbeiteten zu diesem Zeitpunkt noch fieberhaft an neuen Aerodynamikpaketen für 2009.

Als Vorteil erwies sich der komplette Verzicht auf KERS. Kein Geld, keine Zeit und kein Glaube an einen Vorteil waren eine gute Wahl. So kam Brawn erst gar nicht in die Situation, die Gewichtsverteilung umbauen zu müssen. Mindestens genauso clever war die Entscheidung für den Mercedes-Motor, der nicht umsonst als der stärkste und zuverlässigste V8 der Saison galt. Bei der Integration des Triebwerks gelang Brawn GP und Mercedes-Benz High Performance Engines das wahre Wunder von Brackley und Brixworth: in nur wenigen Wochen passte man den Motor ins Auto ein, machte die entstandene Kombination standfest und fuhr allen um die Ohren. Es sollte der Beginn einer wunderbaren Zusammenarbeit sein, die 2010 im Mercedes-Werksteam Mercedes GP mündet.

Jenson Button hatte in den ersten sieben Rennen viel Grund zum Jubeln., Foto: Sutton
Jenson Button hatte in den ersten sieben Rennen viel Grund zum Jubeln., Foto: Sutton

Die Bilanz - Fahrer Er wurde hoch gejubelt, fallen gelassen und nicht mehr beachtet. Lewis Hamilton löste ihn als Liebling der Massen ab. Jenson Button verschwand in der Versenkung. Dann schaffte er mit einem Streich mehr Punkte als in zwei Jahren zuvor - und das war nur der Anfang. Button war der überlegene Dominator der ersten Saisonhälfte. Sechs Siege aus sieben Rennen sprechen für sich.

Mit dem besten Auto im Feld war er schier unbezwingbar. Bis dahin hatte er nur ein Rennen im Regen von Ungarn 2006 gewonnen, plötzlich wurde er als der neue Michael Schumacher gepriesen, ihm ein vorzeitiger Titelgewinn zur Saisonmitte vorausgesagt. Dann der Bruch: Der BGP 001 entpuppte sich als temperaturempfindlich, mit dem Schönwetterauto gab es bei kühleren Temperaturen Probleme, vor allem bei Button, der die Reifen nicht so hart ran nahm, sie nicht so gut auf Betriebstemperatur brachte wie sein Teamkollege Rubens Barrichello.

Aber das war nicht alles: Button schien wie gelähmt, bald kamen Gerüchte über eine psychologische Blockade auf. Der gehemmte Button ließ die Antwort auf der Strecke vermissen: nach seinem sechsten Saisonsieg im siebten Rennen in Istanbul sollte es keinen einzigen Triumph mehr für den Weltmeister geben. Mehr schlecht als recht wurschtelte er sich durch die Rennen nach der Sommerpause, stand bis zum Finale in Abu Dhabi nur noch einmal in Monza auf dem Podium - hinter seinem Teamkollegen.

Jenson Buttons einziger Ausfall nach einer Kollision in Spa-Francorchamps. , Foto: Sutton
Jenson Buttons einziger Ausfall nach einer Kollision in Spa-Francorchamps. , Foto: Sutton

Die Medien und Fans fragten sich: Ist Button ein würdiger Champion? Die erste Saisonhälfte sagt ja. Die Leistungen der zweiten Hälfte eher nein. Aber Button schaffte es trotzdem, die nötigen Punkte einzufahren - das gelang Sebastian Vettel über die gesamte Saison gesehen nicht. Button war die Konstanz in Person: Er fiel nur einmal wegen eines unverschuldeten Unfalls aus - ansonsten kam er immer in den Punkterängen ins Ziel. Nach Bernie Ecclestones Medaillensystem hätte Button den Titel übrigens schon viel früher gewonnen...

Der alte Mann konnte es doch noch: Rubens Barrichello galt als Auslaufmodell, so recht konnte niemand verstehen, warum der Brasilianer im Winter den Vorzug vor dem jüngeren Bruno Senna erhalten hatte. Ross Brawn baute auf die Erfahrung seines alten Ferrari-Weggefährten - und er sollte nicht enttäuscht werden. Barrichello fuhr wichtige Punkte auf dem Weg zur Konstrukteursweltmeisterschaft ein und avancierte in der zweiten Saisonhälfte unverhofft sogar zum Titelkandidaten.

Als Button schwächelte, war Barrichello da - fuhr zwei Siege und mehr Punkte ein. Es sah beinahe alles danach aus, dass Rubinho tatsächlich die besten Karten für den Endspurt haben würde, doch ausgerechnet bei seinem Heimrennen in Brasilien lief nach der Pole Position alles gegen ihn. Er hatte die beste Ausgangsposition vor dem Rennen, kam aber hinter seinen beiden im Mittelfeld gestarteten Konkurrenten ins Ziel. Der Titel war verloren und damit vielleicht seine erste und einzige Chance, Formel-1-Weltmeister zu werden.

Rubens Barrichello fuhr zum ersten Mal seit seiner Ferrari-Zeit wieder auf das oberste Podium - und küsste es., Foto: Sutton
Rubens Barrichello fuhr zum ersten Mal seit seiner Ferrari-Zeit wieder auf das oberste Podium - und küsste es., Foto: Sutton

Mit seiner emotionalen Kritik am Team rief er einige Male Unverständnis bei seinem alten Freund Brawn hervor, auch das dürfte seine Position für eine Vertragsverlängerung nicht gerade vereinfacht haben. Zu allem Überfluss fiel er bei einigen Rennen wie in Melbourne und Istanbul mehr durch Ramboaktionen denn durch Fahrkunst auf. Tränen flossen vor allem nach seinen beiden Siegen - wie von Rubinho aus Ferrari-Zeiten gewohnt. Zum Weinen waren manchmal auch seine Ausreden, warum es denn in der ersten Saisonhälfte oder bei dem einen oder anderen Rennen nicht so lief wie gewünscht. Von böser Stallregie über lockere Sicherheitsgurte bis hin zu üblen Rückenschmerzen reichte die Beschwerdenpalette des Brasilianers. Wenigstens der Weinkrampf nach einem möglichen Titelgewinn blieb ihm erspart.

Brawn GP

Saisonziel Überleben
Saisonergebnis 1. Platz (172 WM-Punkte)
Ziel erreicht? Ja.
Top oder Flop? Top. Brawn GP brach wie ein Wirbelsturm über die Formel 1 herein. Geschickt hatte man die Grauzonen des Reglements zum eigenen Vorteil ausgenutzt und die früheren Top-Teams dank Doppeldiffusor dumm aussehen lassen. Was keiner dem Team vor der Saison zugetraut hätte, geschah: Brawn GP holte sowohl den Fahrer- als auch den Konstrukteurstitel. Echt top! (Kerstin Hasenbichler)