Normalerweise ist es ein schlechtes Zeichen, wenn Formel 1-Rennen nur auf eine Runde komprimiert werden. Im Fall des US Grand Prix 2007 ist es sogar nur eine einzige Kurve - zu Beginn der 38. von 73 Runden. Lewis Hamilton macht einen kleinen Fehler in Kurve 9, Fernando Alonso schließt auf, saugt sich im Windschatten an, zieht heraus - und scheitert.

"Unsere Fahrer dürfen gegeneinander kämpfen", hatten die McLaren-Teamoberen seit der Stallregiekontroverse von Monaco immer wieder betont. Zwischen den Leitplanken des Fürstentums sei dies zu gefährlich gewesen, da musste man zuerst an das Team denken. "Aber es werden Rennen kommen, wo sie gegeneinander fighten dürfen", versprachen die Silbernen. In Indy kam ein solches Rennen - zumindest für eine Runde, für eine Kurve.

"Fernando war in meinem Windschatten, ich sah ihn kommen und war etwas nervös", erinnert sich Lewis. "Was ich im Infield gewonnen habe, habe ich auf der Geraden wieder verloren. Es war sehr hart. Aber wir kämpften sehr gut, sehr professionell und ich blieb vorne." Alonso schob das darauf, dass er in der Dirty Air seines Teamkollegen zu viel Downforce verlor und auch die Reifen nicht mehr in der Verfassung waren, um ein Überholmanöver zu vollbringen. "Wir waren Seite an Seite, aber es reichte nicht zum Überholen."

Hamilton wusste, "so lange ich später bremse, würde er hinter mir bleiben". Doch dafür musste er sich in den Folgekurven noch einmal gegen Alonso zur Wehr setzen. "Es ist eine schwierige Strecke, wenn man einen Fehler macht, kann man sofort überholt werden." Zu einem Überholmanöver im Kampf um den Sieg, reichte es in Indy nicht, aber so nah dran war die Formel 1 schon lange nicht. Norbert Haug nahm es mit einem Schmunzeln auf. Schließlich blieben beide Autos heil und der Doppelsieg ungefährdet. "Auch wenn es nicht gerade die schnellste Art ist, dem Feld wegzufahren, wenn man miteinander kämpft."

Die sechs Fragezeichen

Massa und Räikkönen kamen sich nahe, nur McLaren war weit weg., Foto: Sutton
Massa und Räikkönen kamen sich nahe, nur McLaren war weit weg., Foto: Sutton

Was ist mit Ferrari los?
Böse Zungen würden sagen: Seit Michael Schumacher als Berater an der Strecke ist, geht es bei den Roten stetig bergab. Doch das wird kaum der wahre Grund für den Leistungsabfall der Scuderia sein. Felipe Massa machte am Samstag das Setup als Schuldigen aus, wollte aber nicht mehr dazu vor sich hin murmeln. Viel realistischer klingt da ein Problem mit den Reifen. Denn in Monaco und Montreal kamen erstmals die beiden weichsten Reifenmischungen von Bridgestone zum Einsatz, in Indianapolis nur noch eine der beiden. Während Ferrari auf den beiden Straßenkursen chancenlos war, war man in Indy wieder etwas näher dran. Sind es also die Reifen?

Stefano Domenicali stimmt zum Teil zu. Er meint, dass McLaren vor allem mit neuen Reifen über eine Runde mehr herausholen könne. Auf die Frage, woran das liege, konnte aber auch er nur schmunzelnd sagen: "Wenn wir das wüssten..." Eins weiß er schon jetzt: Kimi Räikkönen fuhr die schnellste Rennrunde. "Das ist ein gutes Zeichen." Aber um besser abzuschneiden, müsse man auch bessere Startplätze herausfahren, betont Jean Todt. "Was sicher ist, unsere Hauptkonkurrenten sind einen Schritt weiter, aber nur im Qualifying", führt Domenicali weiter aus. "Das Problem ist, wenn man im Qualifying hinten ist, dann wird man ein schweres Rennen haben - vor allem wenn man beim Start Positionen verliert. Wenn man hinter anderen Autos fährt, dann lässt die Leistung des eigenen Autos nach." Wertvolle Zeit geht verloren. Das sieht auch Norbert Haug so. "Ferrari war auch heute sehr schnell", gibt er zu Bedenken. "Es gab keine großen Zeitenunterschiede - der Rückstand hatte sich schon am Anfang eingependelt. Wenn Ferrari eine Reihe weiter vorne losfahren kann, kann es im Rennen ganz anders aussehen."

Warum fuhr Alonso so nah an die Boxenmauer?
In Runde 38 lieferte Fernando Alonso den Angriff des Rennens ab. In Runde 39 zeigte er die Lenkbewegung des Rennens. Er fuhr aus dem Windschatten, quer über die Zielgerade bis an die Mauer - hinter der sein Team am Kommandostand hockte. Seine Handzeichen ließen nur einen Schluss zu: Der Spanier war mal wieder sauer, er kochte im Cockpit. In der Siegerpressekonferenz hielt sich Alonso aber brav zurück. "Ich fuhr die ganze Zeit in seinem Windschatten und der Staub von seinen Bremsen landete auf meinem Overall, dem Helm und dem Auto, deshalb fuhr ich manchmal eine andere Linie, um saubere Luft zu erhalten." Geglaubt hat ihm diese Geschichte niemand, noch nicht einmal Martin Whitmarsh. "Fernando war schneller als Lewis, aber der hat im Qualifying eine tolle Leistung abgeliefert." Da war sie also wieder, die Wichtigkeit des Qualifyings. "Fernando sendete Lewis eine Nachricht. Fahrer machen das manchmal." Doch McLaren habe beide Fahrer gleich behandelt. Alonso sagte deshalb: "Wer in der ersten Kurve vorne liegt, gewinnt zu 90% das Rennen."

Alonso als Jäger im schmutzigen Schatten., Foto: Sutton
Alonso als Jäger im schmutzigen Schatten., Foto: Sutton

Warum stoppte Alonso beim zweiten Boxenstopp früher als Hamilton?
Bei der ersten Boxenstopprunde kam Lewis Hamilton genau eine Runde vor Fernando Alonso herein. Das war schon überraschend, da viele erwarteten, dass der Spanier mehr Sprit im Tank haben würde. Noch überraschender war dann, dass Alonso beim zweiten Stopp sogar vor Hamilton hereingerufen wurde. "Ich weiß nicht warum", sagte der Weltmeister hinterher. "Wir sind sehr offen bei der Strategie. Der erste Stopp ist klar, er wird am Samstag im Qualifying festgelegt. Der zweite Stopp wird glaube ich vom Team so gelegt, wie das Rennen in den ersten 10 oder 15 Runden verläuft. Also habe ich in der Runde getankt, in der sie es wollten." Diese Aussage lässt viel Raum für Spekulationen, weswegen Alonso auch nicht weiter darauf eingehen wollte. Stattdessen verwies er auf seinen Teamboss: "Das ist eine Frage für Ron - ich fahre nur das Auto." Wäre das Hamilton statt Alonso geschehen, würde die britische Presse schon längst über Stallregie klagen...

Was ist in der ersten Kurve passiert?
Jede Menge. Es fing an mit Sebastian Vettel. Der junge Deutsche rollte gleich bei seinem ersten Formel 1-Start einmal durch die Wiese, aber nur, um Schlimmeres zu verhindern. "In der ersten Kurve war ich etwas zu spät, ich habe versucht mich vom Feld zu lösen, weil ich nicht den besten Start hatte", erläuterte er. "Bin dann aber leider auf die anderen aufgelaufen. Um einer Kollision aus dem Weg zu gehen, habe ich mich dazu entschieden, übers Gras zu fahren."

Diese Option blieb Rubens Barrichello und David Coulthard nicht. "Ich blieb auf einer Linie, vom Start bis zur Kurve, und habe darauf geachtet, dass ich innen genug Platz lasse, um nicht in Probleme zu kommen", beschrieb David Coulthard die ersten und einzigen Meter seines US Grand Prix 2007. "Wenn ich mir die Wiederholung ansehe, dann scheint es so, als ob Ralf hinter mir mit einem anderen Auto zusammenstieß. Das hat Ralfs Auto gedreht und er stieß in meine Seite, was viel Schaden verursacht hat." Aus Ralfs Perspektive sah die Situation so aus: "Es war viel Verkehr in der ersten Kurve, alle waren auf kalten Reifen unterwegs - ich bremste ruhig, aber meine Reifen blockierten. David kam von außen und wir stießen zusammen." Für ihn ein normaler Rennunfall. Ganz so normal war er aber nicht, denn Ralf riss neben Coulthard auch noch Rubens Barrichello mit ins Aus. "Ich versuchte Ralf auszuweichen und habe leider zwei Autos getroffen", so Barrichello. "Einer davon war Jenson." Während bei Barrichello die Vorderradaufhängung brach, konnte Button weiterfahren. "Rubens traf mich und hat meinen Frontflügel beschädigt. Deshalb musste ich über die Wiese ausweichen."

Alles nahm seinen Anfang mit Ralf., Foto: Sutton
Alles nahm seinen Anfang mit Ralf., Foto: Sutton

Warum war Heidfeld an diesem Wochenende ein unglücklicher Mensch?
Eigentlich hätte alles so schön werden können - zwei dritte Plätze hätten Nick Heidfeld zu diesem Glück schon gereicht. Doch im Qualifying machte er einen Fehler, pushte zu stark und landete nur auf Platz 5. Zu diesem Zeitpunkt sah er es noch als positiv an, dass er nun schon enttäuscht sei, die Ferrari nicht geschlagen zu haben. Im Rennen wiederholte sich das Spiel. Wieder hätte er gerne die Ferrari geschlagen und wäre damit auf dem Podium gelandet. Aber es hat nicht sollen sein. "Beim Anbremsen von Kurve eins haben die Hinterräder blockiert, und ich habe mich gedreht", gestand er. "Als ich wieder losfahren wollte, habe ich keinen Gang rein bekommen, deshalb ist Heikki Kovalainen durchgeschlüpft."

Das war aber noch nicht das Schlimmste: "Bei dem Dreher hatte ich mir einen Bremsplatten eingehandelt und bin deshalb etwas früher zum Reifenwechsel gefahren." Danach lief es wieder ein paar Runden gut, doch die Freude währte nicht lange. "Zuerst konnte ich nicht mehr vernünftig lenken, dann konnte ich nicht mehr schalten", beschreibt er seine Hydraulikprobleme. "Wenn es schlecht gelaufen wäre, hätte es ein 5. Platz werden können, wenn es perfekt gelaufen wäre, hätte es ein Podiumsplatz sein können - sogar mit dem Dreher."

Wer war der Mann des Rennens?
Lewis Hamilton hat zwei Rennen in Folge von der Pole Position gewonnen, stand in sieben F1-Rennen sieben Mal auf dem Podium. Doch der Mann des Rennens war er bei keinem seiner Siege. In Montreal stahl ihm Takuma Sato im Super Aguri die Show. Der Japaner fuhr nicht nur in die Punkte, er überholte Fernando Alonso! In Indianapolis schlug die Stunde von Giancarlo Fisichella. Obwohl er auf einer Einstoppstrategie unterwegs war, schwang er sich zum Überholkönig auf. Egal ob am Ende der Zielgeraden oder im engen Infield - Fisichella überholte überall, manchmal überlegen, manchmal knallhart wie gegen Alexander Wurz. Kurvenlang fuhren beide Seite an Seite, berührten sich sogar mit den Reifenflanken, bis sich Fisichella durchsetzte. "Die Pace war heute wirklich stark und ich konnte ein paar Autos sogar abseits der Linie in Kurve sechs außen überholen", freute er sich. Nur hatte er sich die Aufholjagd mit einem Dreher selbst eingebrockt. "Ohne den Dreher hätte ich sicher auf P6 kommen können, also ist es eine verpasste Chance." Schön anzusehen war es trotzdem.