In Ungarn spielen zwei Dinge von jeher eine entscheidende Rolle: Das Qualifying und die Reifen. Die Bedeutung der Qualifikation erschließt sich leicht aus der überholfeindlichen Streckencharakteristik - wer nicht weit vorne steht, kann aus eigener Kraft höchstens durch eine gute Strategie noch Plätze gutmachen. Der Schlüsselfaktor Reifen erhält seine Bedeutung durch die oftmals vorherrschende Hitze und den relativ verstaubten Asphalt. Nicht umsonst beeinflussten die Reifen in den vergangenen 20 Jahren ein ums andere Mal den Rennausgang sowie jenen der WM.

1986 - Hinter dem Vorhang

Schon bevor der Eiserne Vorhang fiel, war Bernie Ecclestone besonders scharf auf ein Rennen im so genannten Ostblock. Damals wie heute war das eigentliche Objekt der Begierde Moskau. Doch ein Grand Prix in der russischen Hauptstadt blieb dem F1-Zampano bis zum heutigen Tage verwehrt, stattdessen begann er Mitte der Achtziger damit ein Rennen in Ungarn vorzubereiten.

So sah es also hinter dem Eisernen Vorhang aus..., Foto: Sutton
So sah es also hinter dem Eisernen Vorhang aus..., Foto: Sutton

1986 war es dann soweit: Die Formel 1-Weltmeisterschaft gab ihr Debüt hinter dem Eisernen Vorhang. Als Austragungsort diente der frisch erbaute Hungaroring vor den Toren Budapests. Und das Interesse schien auf Gegenseitigkeit zu beruhen: Nicht nur Bernie und die Sponsoren waren heiß darauf einen neuen Markt zu erschließen, auch die Fans strömten in Massen in das moderne Motorsport-Amphitheater am Hungaroring.

Letztlich sollen weit über 200.000 Besucher, angeblich sogar 260.000, den ersten Großen Preis von Ungarn verfolgt haben. Trotz des neuen Kurses in der neuen F1-Welt war der Pole-Inhaber ein alter Bekannter: Ayrton Senna fuhr am schnellsten über den winkligen Kurs ohne echte Überholmöglichkeiten.

Beim Start blieb Senna in Führung, während hinter ihm Nigel Mansell an Alain Prost und Nelson Piquet vorbeiging. Danach zeigte Piquet sein Können: Zuerst passierte er Mansell, dann übernahm er in Runde 12 die Führung von Senna. Nach den Boxenstopps fand sich zur Rennmitte allerdings erneut Senna an der Spitze wieder. Aber auch diesmal blieb das nicht lange so: Piquet konnte die Lücke spielend schließen und überholte den Brasilianer ein zweites Mal und blieb bis zur Ziellinie knapp vor seinem Landsmann. In der WM-Tabelle lagen nach dem Rennen Mansell, Senna, Piquet und Prost innerhalb von nur 11 Punkten!

1997 - Beinahe ein Wunder

Damon holte alles aus dem Arrows heraus., Foto: Sutton
Damon holte alles aus dem Arrows heraus., Foto: Sutton

"Budapest ist eine Stadt, die an jeder Ecke eine Überraschung für Sie parat hält." Als sich die Tourismusinformation diesen Slogan zurechtlegte, hätten sie Damon Hill vorher warnen müssen. Nachdem der amtierende Weltmeister von Williams zu Arrows gewechselt war, erlebte er eine katastrophale Saison. Doch in Ungarn war der Megacoup greifbar: Der Brite hätte beinahe den ersten und rückblickend auch einzigen Grand Prix-Sieg des Teams eingefahren - aber eben nur beinahe.

Schon im Qualifying hielt Budapest die erste faustdicke Überraschung parat: Während die Regenwolken drohten, fuhr Damon Hill hinter den beiden Titelrivalen Michael Schumacher und Jacques Villeneuve auf den dritten Startplatz. Danach folgte ein Rennen, wie es sich der Weltmeistersohn im Arrows sicherlich niemals erträumt hätte - und das gleich in doppelter Hinsicht.

Am Start setzte sich Hill gegen seinen alten Teamkollegen Jacques Villeneuve durch und lag somit hinter Schumacher auf Rang 2. Der Deutsche, der nach einem Unfall im Warm-Up im Ersatzauto an den Start gehen musste, wurde von Hills Arrows Yamaha A18 aber stärker unter Druck gesetzt, als man dies hätte erwarten können. Nach 10 Runden sah sich der heutige Rekordweltmeister "im Wald" stehen: Hill zog innen am Boxenausgang am Ferrari vorbei und ging in Führung!

Bis zu dreieinhalb Sekunden nahm Hill der Konkurrenz in der Anfangsphase ab - in einem Arrows! Als Schumachers Goodyear-Reifen begannen Blasen zu werfen, ging auch sein WM-Gegner Villeneuve an ihm vorbei. Damon Hill enteilte dem Rest des Feldes auf seinen scheinbar unschlagbaren Bridgestone-Walzen um weit über 20 Sekunden - so blieb er selbst nach seinem Boxenstopp in Führung.

Gewonnen oder verloren?, Foto: Sutton
Gewonnen oder verloren?, Foto: Sutton

Jedenfalls bis zur 74. von 77. Runden. Dann begann Hills Getriebe verrückt zu spielen, der Brite stand sogar dreimal vor dem endgültigen Aus, konnte seinen Arrows jedoch noch auf Rang 2 ins Ziel retten. Jacques Villeneuve vermochte er allerdings nicht zu stoppen: Der spätere Weltmeister jenes Jahres überholte den Schlangenlinien fahrenden Ex-Teamkollegen durch die Wiese und ließ Hill am Ende philosophisch werden: "Habe ich nun einen zweiten Platz gewonnen oder einen Sieg verloren?"

1998 - Die Aufholjagd

Der Hungaroring gilt es ungarisches Monaco - eng, winklig und kaum Überholchancen; umso wichtiger ist dort das Qualifying. Als Michael Schumacher nach der Qualifikation am Samstag nur auf Platz 3 stand, sahen viele seine Siegchancen schon die Pest hinab fließen. Der Ferrari-Star blieb jedoch (zweck)optimistisch und kündigte an mit einer guten Strategie noch gewinnen zu können.

Der erste Baustein waren die Reifen. Wie in jedem Jahr spielten sie auch 1998 auf dem Hungaroring eine entscheidende Rolle - Ferrari entschied sich für die härtere Mischung, Hauptkonkurrent McLaren für die weicheren Bridgestones; am Ende sollten die Roten damit die Pole geopfert, aber das Rennen gewonnen haben.

Der zweite Schlüsselfaktor war das strategische Köpfchen von Ross Brawn. Lange bevor er in Magny Cours 2004 eine siegreiche Vierstoppstrategie praktizieren sollte, widerlegte er am Hungaroring die Aussage, dass man nur aus der ersten Startreihe gewinnen könne.

60 Runden im Qualifying-Speed brachten den Sieg., Foto: Sutton
60 Runden im Qualifying-Speed brachten den Sieg., Foto: Sutton

Noch vor dem ersten Boxenstopp von Michael Schumacher rechnete Brawn aus, dass man mit der geplanten Zweistoppstrategie nicht gewinnen könne und polte die Taktik des Deutschen von zwei auf drei Stopps um. Dafür musste Schumacher einen wahren Husarenritt starten - kein Wunder, dass er hinterher von 60 Qualifikationsrunden sprach.

Wie wörtlich das zu nehmen war, zeigte sich nach dem 2. Boxenstopp von Mika Häkkinen: Schumacher hatte die Führung mit 5 Sekunden Vorsprung übernommen, fuhr aber immer noch "auf Teufel komm raus", als ob es bereits in diesen wenigen Runden um den WM-Titel ginge. Er hatte einfach nicht bemerkt, dass er vor Häkkinen lag. Danach ging es bis zu seinem letzten Stopp genauso weiter: Er fuhr sogar so hart, dass er einmal durch die ungarische Puszta pflügte. Letztlich siegte er mit gut neun Sekunden Vorsprung vor David Coulthard - sein Titelrivale Mika Häkkinen fiel mit einem Stoßdämpferschaden bis auf den 6. Rang zurück. Der WM-Titel ging in diesem Jahr aber dennoch an den Finnen.

2003 - Tyregate

Fernando Alonso kam in seinem zweiten Jahr als F1-Stammfahrer bereits als jüngster Pole-Setter nach Ungarn. Was dann in den 70 Runden des Ungarn GP 2003 folgen sollte, war für ihn der bis dahin "beste Tag" seines Lebens: In seinem erst 30. F1-Grand Prix holte er seinen ersten Sieg, der zugleich der erste Renault-Triumph seit dem Wiedereinstieg 2001 war.

Der erste Sieg des mittlerweile jüngsten Weltmeisters aller Zeiten., Foto: Sutton
Der erste Sieg des mittlerweile jüngsten Weltmeisters aller Zeiten., Foto: Sutton

Aber nicht nur das: Der im Alter von gerade einmal 22 Jahren jüngste GP-Sieger aller Zeiten überrundete in Umlauf Nummer 60 den amtierenden Weltmeister und Titelanwärter Michael Schumacher, der mit Platz 8 noch "gut" bedient war. Für Ferrari und Bridgestone wurde Budapest zu einem persönlichen Waterloo. Die Rache folgte jedoch ein Jahr später: Dann fuhren die Japaner mit ihrer neuen Reifengeneration alles in Grund und Boden.

Doch schon einige Tage nach dem Rennen gab es eine Art "Rache". Nach dem Ungarn GP kochten nicht nur bei der überrundeten Scuderia Ferrari die Emotionen über. Die Laufflächen der Michelin-Pneus sollen beim Hitzerennen von Ungarn nicht regelkonform gewesen sein, was in aller F1-Welt zum Wälzen von Regeltexten und Nachmessen von Reifenlaufflächen führte.

Obwohl den Franzosen niemals nachgewiesen werden konnte, dass sie illegale Reifen verwendet haben, mussten sie den folgenden Monza-Test damit verbringen neue Pneus zu testen und kamen danach acht Rennen lang zu keinem Erfolg mehr. Auch heute beteuert Pierre Dupasquier rückblickend noch immer, dass man an den Reifen zwischen Ungarn und Monza nichts verändert habe und die FIA die Pneus immer noch nicht anders messen würde. Der Tyregate genannte Skandal sorgte dennoch für eine Wende in der Weltmeisterschaft - obwohl Schumacher nach Ungarn nur noch einen Punkt Vorsprung auf Juan Pablo Montoya hatte und Ferrari in der Team-WM von BMW-Williams überholt wurde, gingen am Ende des Jahres abermals beide WM-Titel nach Maranello.

Die Streckengeschichte

Der Große Preis von Ungarn war lange Zeit eines der Küken in der F1-Welt, da er erst seit 1986 ausgetragen wird. Durch Bernies Erweiterungspläne gibt es mittlerweile aber einige Rennstrecken noch jüngeren Debütdatums. Vor der Zeitrechnung der aktuellen Formel-1-WM wurde im Jahr 1936 in einem Park an der Stadtgrenze von Budapest ein Rennen ausgetragen. Sieger war Tazio Nuvolari mit einem Alfa Romeo.

Auch der Ungarn GP sollte zunächst in Budapest direkt ausgetragen werden. Allerdings verwarf man diese Idee aus Sicherheitsgründen und wich stattdessen auf den Hungaroring aus. Dieser liegt etwa 20 Fahrminuten östlich der Innenstadt und wurde seit 1986 mehrfach umgebaut. Für die Saison 2003 wurde die Streckenlänge von 3,975 Kilometern auf 4,381 Kilometer erweitert. Diese Variante ist der längste Hungaroring, den es je gab. Selbst die erste, von 1986 bis 1988 befahrene, Streckenführung maß nur 4,014 Kilometer. Die ersten drei Jahre gehörten den Brasilianern: Nach zwei Siegen von Nelson Piquet gewann 1988 Ayrton Senna im McLaren-Honda, 1991 und 1992 wiederholte er diesen Erfolg.