In den letzten Jahren hat sich in der Formel 1 Welt ein neuer Volkssport etabliert. Er hört auf den Namen Qualifying-Kritisieren. McLaren-Teamboss Ron Dennis empfindet die inflationäre Kritik an den zahlreichen neuen Qualifyings der letzten Jahre als ungerecht. Schließlich sei es "sehr einfach" immer nur zu kritisieren. Oh ja, besonders wenn es einem so einfach gemacht wird!

Der neueste Kritikauslöser basiert jedoch nicht allein auf dem Qualifying. Zu einem gewissen Teil spielt sogar eine alte Teamweisheit aus dem vergangenen - oder wahlweise jedem anderen - Winter eine entscheidende Hauptrolle: "Wir wissen nicht, wo wir im Vergleich zur Konkurrenz stehen", drücken sich Fahrer und Teamverantwortliche vor Saisonstart regelmäßig vor Vorhersagen. "Das wissen wir erst nach dem Qualifying", fügte beispielsweise Kimi Räikkönen vor dem Bahrain GP hinzu.

Wenn nur jemand wüsste, wo er morgen startet..., Foto: Sutton
Wenn nur jemand wüsste, wo er morgen startet..., Foto: Sutton

Nach dem Knock Out Qualifying des Malaysia GP, ist diese Aussage aber schlichtweg falsch. Denn heute weiß absolut niemand wo er steht! Und das wird auch so bleiben. Wenn die Fahrer und Teambosse heute in einem ihrer weitestgehend aussagelosen Press Releases den Satz "Wir wissen nicht wo wir stehen." verwendet hätten, wäre er tatsächlich einmal korrekt und nichts als die reine Wahrheit gewesen.

Entsprechend chaotisch ging es am Samstagnachmittag im Fahrerlager zu. Allüberall wurde über Startpositionen und Strafversetzungen diskutiert und an allen Ecken und Enden saßen Presseleute, Medienvertreter, Teamverantwortliche und Fahrer zusammen, um an ihren Versionen der Startaufstellungen zu basteln. Viel chaotischer hätte es auch nicht sein können, wenn Bernie Ecclestone seine Idee von einer Qualifying-Lotterie durchgesetzt und die Startplätze verlost hätte. Im Gegenteil: Dann hätte wenigstens jeder gewusst wo er am nächsten Tag starten wird!

Der 18. März des Jahres 2006 wird demnach als denkwürdiger, aber höchst chaotischer Tag in die schier unendliche Leidensgeschichte des modernen Qualifyings eingehen. Wer eine Multimilliarden-Dollar-Industrie und deren Sporthoheit komplett aus dem Gleichgewicht bringen möchte, muss also nur dafür sorgen, dass ein paar Fahrer mindestens einmal den Motor wechseln. Schon weiß niemand mehr bescheid.

Beispielsweise Toyota: In der ersten Variante von mehreren ausgebesserten Presseschreiben wurde Ralf Schumacher nach seinem Motorwechsel der 21. Platz zugeschrieben. Davon ging auch Ralf selbst aus. Wenig später erblickte aber eine zweite PR-Mail das Licht der Welt: Diesmal war Ralf 22. - dafür war sein Statement jedoch im letzten Satz abgeschnitten und Mike Gascoyne komplett entfernt worden. Da kam wohl selbst der Mailverteiler nicht mit dem Chaos klar... Insbesondere nachdem Ralf später höchstwahrscheinlich tatsächlich der 21. Platz zufiel, weil Felipe Massa zum zweiten - und nicht wie zwischenzeitlich verbreitet zum dritten - Mal den Motor wechseln lassen musste.

Ein leicht verwirrter Ralf wand sich aus dem Thema heraus: "Das Rechnen ist ja nicht unser Job." Dumm nur dass anscheinend auch sonst niemand diesen Job drauf hat... Denn die FIA konnte nach dem Qualifying keinerlei Aussage über die offizielle Startaufstellung des Malaysia GP 2006 geben. Stattdessen verwies man darauf, dass diese am Sonntag um 11:00 Uhr veröffentlicht werde.

Bei den Teams führte das zu so kuriosen Pressetexten wie: "Weil bei einigen Konkurrenten feststeht, dass sie aufgrund eines Motorwechsels um zehn Plätze zurückgestuft werden, resultieren daraus voraussichtlich die Startpositionen zehn (Villeneuve) und zwölf (Heidfeld)."

Fisico hat gut lachen: Er kennt seinen Startplatz!, Foto: Sutton
Fisico hat gut lachen: Er kennt seinen Startplatz!, Foto: Sutton

Wohl dem, der wie McLaren beide Fahrer unter den Top-Piloten platzieren konnte. Hier musste nur Michael Schumacher aus der Rechnung genommen werden und schon waren Sätze wie "Juan Pablo und Kimi werden den Grand Prix von den Rängen 5 und 6 angehen." korrekt. Bei der Scuderia Toro Rosso umschiffte man das Risiko einer Falschmeldung geschickt: "Die Startpositionen werden noch bekannt gegeben", hieß es seitens des Teams.

Wie klug diese Aussage ist, beweist das Chaos um Michael Schumachers Startplatz. "Ich werde aus der sechsten Reihe ins Rennen gehen", wurde dem Deutschen in der ersten Ferrari-Pressemitteilung in den Mund gelegt. Das würde bedeuten: Rang 11 oder 12. Michael selbst sprach in den Fernsehinterviews jedoch vom 13. Startplatz. Wenig später gab die Ferrari-Presseabteilung zumindest halbwegs nach: Das Statement wurde in "aus der siebten Reihe" abgeändert. Ob es nun Platz 13 oder 14 ist, darüber streiten sich noch immer all jene, die nicht schon lange die Lust an dem ganzen Wahn verloren haben.

Wo also stehen die Fahrer in der Startaufstellung? Die Antwort auf diese nicht unbedeutende Frage kann auf der gesamten weiten Welt niemand geben. Viel wichtiger erscheint ohnehin die Frage: Wieso ist die FIA nicht in der Lage nach dem Ende des Qualifyings eine aussagekräftige, um nicht zu sagen gültige, Startaufstellung zu liefern?

Am Freitag sagte Ralf Schumacher noch, dass Japan bei Toyota "allgegenwärtig" wäre, weil im "Computerzeitalter" eben nichts unmöglich sei. Für den Motorsportweltverband gelten wohl andere Gesetze. Möglicherweise welche, die Max Mosley selbst in ewig langen Briefen geschrieben hat.

Alle die das Additions-Qualifying des letzten Jahres als zu unverständlich und das Knock Out Qualifying als zu kompliziert erachtet haben, wurden nun eines Besseren belehrt: Das Qualifying an sich ist nicht kompliziert, nur die Einordnung der Strafversetzungen in die Startaufstellung ist eine für die FIA unlösbare Aufgabe!

Da ist es fast schon Ironie des Schicksals, dass man das geteilte Additions-Qualifying im letzten Jahr abschaffte, weil dadurch die Pole Position nicht mehr am Samstag feststand und die Medien nicht mehr darüber berichten konnten. Heute hätten die Medien gerne über die Startaufstellung berichtet. Es gab aber leider keine. Wie treffend, dass Toro Rosso die passende, prägnante Beurteilung bereits in riesigen, fetten Lettern über sein Press Release gedruckt hatte: ENTTÄUSCHEND.