Bis zur letzten Runde des letzten Rennens lagen Lewis Hamilton und Mercedes in der Formel-1-Saison 2021 auf Kurs, ihre perfekte Titel-Ausbeute in der seit 2014 währenden Hybrid-Ära zu wahren. Dann nutzte Max Verstappen nach der bis heute kontrovers diskutierten Auflösung der späten Safety-Car-Phase seitens der Rennleitung - ein Untersuchungsausschuss der FIA analysiert die Vorfälle - eiskalt seine einzige Chance und luchste Hamilton den Fahrertitel doch noch ab.

Mit Red Bull sah sich Mercedes erstmals überhaupt seit 2014 bis Saisonende eines echten und mindestens ebenbürtigen Gegners ausgesetzt. Zumindest den Konstrukteursweltmeistertitel verteidigte die Truppe von Toto Wolff erneut - zum bereits achten Mal in Folge setzte sich Mercedes die Krone auf. Die Serien-Weltmeister blicken zurück auf eine Phase der Dominanz, die selbst die Ära um Michael Schumacher und Ferrari zu Beginn des Jahrtausends übertraf.

Formel-1-Erfolge nur Glück? Mercedes: Sind da nicht reingestolpert

Eine Dominanz, die immer auch Neider auf den Plan rief. Speziell Lewis Hamilton sah sich im Lauf der Jahre großer Überlegenheit immer wieder dem Vorwurf ausgesetzt, er gewinne doch nur oder vor allem aufgrund des sehr viel besseren Materials. Auch teamintern habe Hamilton weitgehend nur wenig Konkurrenz erfahren, hieß es da. Auch Mercedes selbst scheint eine gewisse Missgunst ähnlicher Natur erfahren - oder zumindest wahrgenommen - zu haben.

"Wir sind nicht in eine Formel gestolpert, diese sogenannte Turbo-Hybrid-Ära. Es ist nicht so, als wären wir in ein Gott gegebenes Recht gestolpert, all diese Jahre so dominant zu sein", kontert James Allison, Mercedes' Technischer Direktor, nun in einem Video-Ausblick des Teams auf die Regel-Revolution in der Formel 1 ab der bevorstehenden Saison 2022. Einfach nur zu Beginn des Hybrid-Zeitalters - durch Zufall und Glück - den Stein der Weisen gefunden und dann dominiert? Nicht mit Allison.

Neue Formel-1-Regeln als Chance für Mercedes: Können beweisen

Genau deshalb sehe Mercedes die Allison zufolge größten Regeländerungen der gesamten Formel-1-Geschichte zunächst einmal auch nicht als das, was auf den ersten Blick logisch erscheint - als eine Gefahr für die Vormachtstellung des 2014 tonangebenden Teams in der Formel 1, jüngster Gegenwind seitens Red Bull hin oder her. Stattdessen sehe Mercedes in den neuen Regeln eine riesige Chance. "Wir lieben es. Wir sehen es als Gelegenheit, zu zeigen, dass wir über die Jahre nicht nur Glück hatten", sagt Allison.

Das sei schon bei kleineren Regelanpassungen im Verlauf der vergangenen Jahre der Fall gewesen. Erst zuletzt galten von 2020 auf 2021 plötzlich deutlich restriktivere Vorgaben für den Unterboden, die Bremsbelüftungen und den Diffusor. Zuvor debütierten im Lauf der bisherigen Hybrid-Ära etwa die breiteren Reifen, der Halo oder vereinfachte Frontflügel.

Mercedes weiß um Gefahr der neuen Formel-1-Regeln

"Wir sehen jede einzelne Regeländerung als Gelegenheit, unseren Verstand gegen sie [die Konkurrenz oder Kritiker] einzusetzen und um zu sehen, ob wir es verdienen, noch konkurrenzfähig zu sein und von Neuem zu zeigen, dass wir die Physik hinter dem Auto verstanden haben, in Konzepte umwandeln und auf der Strecke zeigen können, einmal mehr konkurrenzfähig zu sein", schildert Allison.

Mercedes-Technikchef: So gewaltig ist der Regelumbruch wirklich: (10:30 Min.)

Im Angesicht der umfangreichen Änderungen gelte das 2022 umso mehr. "Wenn alles so neu ist wie das, dann siehst du überall in diesem Regelsatz -zweimal so dick wie der alte - Gelegenheiten. Es gibt Gelegenheiten", sagt der Brite und gesteht: "Natürlich gibt es auch Gefahr, aber wir versuchen uns unseren Weg durch das potenzielle Minenfeld zu bahnen und all die kleinen Schatztruhen, die zwischen den Landminen liegen könnten, mitzunehmen, um am Ende ein Auto zu haben, mit dem wir hoffen, an der Spitze des Feldes anzutreten."

Zweck der Regeln für Teams nur Nebensache

Gerade der Anspruch der umfangreichen Änderungen bereite den Ingenieuren und Ingenieurinnen große Freude. "Es ist unser Job, in den Regeln nach technischen Gelegenheiten zu suchen und dann unseren kombinierten Verstand, unsere Fähigkeiten und all die kollektiven Anstrengungen zu nutzen, um eine Auto-Konfiguration zu finden, die besser ist als die Herangehensweisen aller anderen."

Dass dabei auch die obersten Ziele der Formel 1 - engeres Racing - erfüllt werden, ist für Mercedes allenfalls Nebensache - wie wohl für alle F1-Teams. Allison: "Wir betrachten die Regeln nicht danach, ob sie ihre Ziele erreichen. Wir nehmen einfach die Regeln so wie sie geschrieben sind und versuchen herauszufinden, wie wir das Auto so schnell machen können wie nur möglich!"