McLaren-Boss Zak Brown reißt die Formel 1 aus dem Winterschlaf. Inmitten einer Winterpause, in der die meisten Schlagzeilen aus dem großen Schweigen Lewis Hamiltons konstruiert werden, sonst einzig Personalentscheidungen für eine zumindest nicht völlig abgerissene Nachrichtenlage sorgen, liefert der US-Amerikaner nun einen Paukenschlag.

Im scharfen Kontrast zum ehemaligen McLaren-Piloten Hamilton teilt Brown auf der Website McLarens in einem mit 14.000 Zeichen ausführlicheren Beitrag als so manche Hintergrund-Geschichte in der Printausgabe von Motorsport-Magazin.com kräftig gegen gleich mehrere Adressaten aus. "Das kommende Jahr: Zak Brown darüber, was 2022 für McLaren Racing bereithält" - so lautet der Titel eines mutmaßlich kurzweilig zu lesenden Ausblicks auf die nahe Zukunft der Rennabteilung des Sportwagenherstellers aus Woking.

Brown wettert gegen Top-Teams: Wollen WM mit Scheckbuch gewinnen

Was tatsächlich mit einigen warmen Worten beginnt - etwa zur steigenden Formkurve McLarens in der Formel 1 ("bester Lauf seit einer Dekade"), aber auch zum zuletzt starken Wachstum der Königsklasse unter der Führung Liberty Medias - verwandelt sich zügig in einen ganz anderen Tonfall, wenn es um die Missstände in der Formel 1 aus dem Blickwinkel McLarens geht.

Ein Kritikpunkt, den Brown bereits im vergangenen Jahr leidenschaftlich in den Medien platzierte, nun aber besonders zuspitzt, ist das Gebaren mancher Konkurrenten, was deren Streben nach größeren Spielräumen bei der seit 2021 neuen Budgetobergrenze von zuletzt 145 Millionen US-Dollar (2022 140 Mio.) angeht. "Manche Teams suchen noch immer nach Ausreden dafür, die Budgetbegrenzung zu erhöhen und Meisterschaften mit Scheckbüchern zu gewinnen", wettert Brown.

Brown: "Teams" wollen Wettbewerbsvorteile nicht erodieren sehen

"Ein anhaltendes Beispiel ist der laufende Lobbyismus gewisser Teams, die Budgetgrenze für Schaden in Sprintrennen zu erhöhen", ergänzt Brown, erneut ohne konkrete Namen zu nennen. Dass der McLaren-CEO damit die Top-Teams ins Visier nimmt, ist offensichtlich. Immerhin kämpfen genau diese Teams 2022 um weitere Zugeständnisse, will die Formel 1 gleich sechs statt wie 2021 drei Sprints abhalten. Schon 2021 gab es Zugeständnisse - 150.000 US-Dollar pro Sprint, zusätzlich 100.000 bei einer Unfallbeteiligung.

Für Brown völlig überzogen und anders motiviert als durch pure Angst vor Unfallkosten. "Diese Teams fordern weiterhin eine Erhöhung der Kostenobergrenze um einen übermäßigen Geldbetrag, trotz klarer Beweislage, dass im letzten Jahr während dieser Rennen wenig Schaden entstanden ist", argumentiert der Amerikaner. Für Brown ein nur "dünn verhüllter Versuch" dieser Teams, sich vor einer Erosion ihres Wettbewerbsvorteils zu schützen.

Brown bemängelt Führungsschwäche von Formel 1 und FIA

Brown: "Diese Teams scheinen nicht in der Lage zu sein, zu akzeptieren, dass eine Budgetobergrenze im besten Interesse des Sports ist, und können ihre Gewohnheit, sich mit Ausgaben nach vorne zu schieben, nicht über Bord werfen."

Die adressierten Teams nimmt Brown allerdings nicht allein in die Pflicht. Zusätzlich zielt der McLaren-CEO auf die gegenwärtige Führungsstruktur der Formel 1, die den Teams erst die Macht gebe, überhaupt erfolgreich solche Forderungen vorzutragen. "Die derzeitige Führungsstruktur des Sports ermöglicht eine Situation, in der einige Teams den Sport - zum Schutz ihres eigenen Wettbewerbsvorteils - effektiv als Geisel für das nehmen, was das Beste für die Fans und damit für den Sport insgesamt ist", kritisiert Brown. "Wir müssen aber weitermachen, ökonomisch nachhaltig durch diesen Sport zu fahren."

Brown fordert Ende von A- und B-Teams: Nicht die Formel 1

Von Kosteneinsparungen über B-Teams hält Brown dabei allerdings nichts. Auch diesen in den vergangenen Jahren fortschreitenden Trend hatte der McLaren-Leader bereits in der Vergangenheit kritisiert. In seinem Ausblick folgt nun ein weiterer Exkurs. Brown spricht dabei sogar von einer Bedrohung. Es sei lebensnotwendig, dass die Führung des Sports soweit gestärkt werde, dass einer Unterscheidung in A- und B-Teams vorgebeugt werde, da die gegenwärtigen Regularien B-Teams respektive Kundenteams klar bevorteilen würden, so Brown.

"Die gegenwärtige Situation [etwa die Übernahme von Teilen, sogenannte Non-Listed-Parts] erlaubt es B-Teams, verglichen mit Konstrukteuren zu konkurrenzfähig zu sein", kritisiert Brown. Gleichzeitig seien auch die A-Teams zu konkurrenzfähig, da sie von dem B-Team profitieren würden. Das alles widerspreche dem eigentlichen Prinzip der Formel 1, einen Wettkampf gleichberechtigter und -befähigter Konstrukteure zu liefern.

Politische Macht der Teams für Brown zu groß

McLaren selbst verfügt über keinen mehr oder weniger engen Partner wie etwa Ferrari mit Haas, Mercedes mit Aston Martin und Red Bull mit AlphaTauri. Das erklärt den Ärger und die Position Browns. "Es setzt die Struktur des Sports und, was es bedeutet, ein F1-Team zu sein, herab", schreibt Brown. "Die F1 muss aus zehn echten Konstrukteuren bestehen, wobei jedes Team alle Teile, die für die Performance relevant sind, selbst designen und herstellen muss", moniert Brown. Einzige Ausnahme seien die Power Unit und - möglicherweise - das Innenleben des Getriebes. Gerade mit der Einführung der Budgetobergrenze solle es jedem Team möglich sein ohne Sorgen vor erheblichen Performance-Einbußen, autark zu operieren, so Brown. Hier sei eine Korrektur nötig, sonst sei die Formel 1 nicht mehr die Formel 1.

Damit längst nicht genug. Hinzu komme noch der Druck, den A-Teams bei Abstimmungen über Regeln & Co. auf ihre B-Teams ausüben würden. "Wie ich schon vorher sagte - und diese Teams würden das nie zugeben - gibt es Zeiten, wenn kleinere Teams gegen ihre eigenen Interessen stimmen, um die Agenda ihres A-Teams zu befriedigen", schreibt Brown.

Brown: Wer macht die Regeln - Teams oder FIA?

Für Brown ist auch das ein Teil eines aus seiner Sicht insgesamt schiefen Machtgefüges in der Formel 1. Inzwischen liege zu viel Macht bei den Teams statt bei den Serienverantwortlichen von FIA und kommerziellem Rechteinhaber. Brown fordert mehr Führungsstärke statt Abstimmungen. Die jüngsten Ereignisse in Abu Dhabi seien da nur ein weiteres gutes Beispiel. "Es ist offensichtlich, sich auf die Vorfälle in Abu Dhabi am Ende letzter Saison zu fokussieren, die jetzt von der FIA untersucht werden, aber das war aus meiner Sicht mehr Symptom als Ursache", schreibt Brown. "Es gab systemische Probleme, was Ausrichtung und Klarheit darüber angeht, wer die Regeln macht - die FIA oder die Teams -, die sich in den letzten paar Jahren von selbst auf manchmal hochkarätige Weise manifestiert haben."

Dies geschah sowohl auf Seiten der FIA als auch Formel 1. In letzterem Fall läutete das Ende der Ära Bernie Ecclestone endgültig auch das Ende der Autokratie an der Spitze der Königsklasse ein. Parallel pflegte der langjährige FIA-Präsident Jean Todt einen Führungsstil, der Mitsprache und Einfluss der Teams zuließ. Aus der Wahl von Mohammed Ben Sulayem als neuen FIA-Präsidenten im Dezember schöpft Brown nun Hoffnung für eine Gelegenheit einer "kollektiven Reform, wie die Formel 1 funktioniert."

Brown fordert Reform: Formel 1 braucht wieder starke Führung

Im Klartext bedeutet das: Brown wünscht sich wieder eine stärkere Hand an der Spitze, weniger Einflussnahme von Teams wie Mercedes, Ferrari & Co. Auch den erst ein Jahr dienstälteren F1-Boss Stefano Domenicali holt Brown hier mit ins Boot - und glaubt an eine Erfüllung seiner Wünsche. "Größere Klarheit der Rollen der FIA und F1 und die Notwendigkeit einer stärkeren Führung des Sports werden zweifellos auf der Tagesordnung von Mohammed Ben Sulayem und Stefano Domenicali und ihren jeweiligen Teams stehen", meint Brown. "Ich bin zuversichtlich, dass wie eine verstärkte Führung von FIA und F1 sehen werden."

Der zuletzt konsultative Ansatz sei allerdings durchaus nötig gewesen, um den Sport nach Jahren der autokratischen Führung - Ecclestone bleibt hier ungenannt - in die richtige Richtung zu bewegen. Doch sei das nun abgeschlossen, was wiederum eine Rückbesinnung erfordere. "Jetzt ist der Sport erfolgreich resettet worden und jetzt braucht es eine Rolle rückwärts zu einer stärkeren und direkteren Führung an der Spitze des Sports", fordert Brown. Der aktuelle Status quo sei inakzeptabel. "Niemand ist glücklich mit der Inkonsistenz, wie die Regularien überwacht werden", moniert Brown.

Abu Dhabi als mahnendes Beispiel: Wie eine Pantomime

"Und wie ich schon zuvor sagte, haben die Teams zu viel Macht und der muss vermindert werden", ergänzt Brown. Gerade Abu Dhabi habe gezeigt, wie entscheidend das auch für das Image der Formel 1 sei. Dabei denkt Brown an die öffentlichen Versuche einer Einflussnahme von Teamchefs wie Toto Wolff und Christian Horner auf Rennleiter Michael Masi per Boxenfunk. "Ja, Teams sollten konsultiert werden und ihre Perspektiven auch berücksichtigt - vor allem was langfristige strategische Dinge angeht. Aber manchmal scheint es so, als würden Sport von gewissen Teams regiert", sagt der McLaren-Chef.

"Es waren die Teams, die Druck gemacht haben, um jeden Preis zu verhindern, dass Rennen hinter dem Safety Car enden", erinnert Brown und verteidigt so auch Masi. "Es sind die Teams, die für viele Regeln gestimmt haben, über die sie sich dann beschwert haben. Es sind die Teams, die die Übertragung von Funknachrichten an den Rennleiter genutzt haben, um zu versuchen, Strafen und Rennergebnisse zu beeinflussen - bis zu einem Punkt, an dem ein überdrehter Teamchef für die Galerie spielt und Druck auf die Rennoffiziellen macht. Das war für den Sport nicht erbaulich", poltert Brown. "Manchmal hat es sich eher wie eine Pantomime-Aufführung angefühlt als die Spitze eines globalen Sports."