Mario Isola ist der Reifenpapst der Formel 1. Der Verantwortliche bei Pirelli für die Pneus des italienischen Reifenherstellers begleitet die Königsklasse auf ihrer Reise rund um die Welt. 2022 ersetzt Pirelli in der Formel 1 die 13-Zoll-Reifen durch 18-Zoller. Im Interview bei Motorsport-Magazin.com erklärt Isola warum und welche Änderungen das mit sich bringen könnte.

Pirelli-Mann Mario Isola im Interview

MSM: Sind die 18-Zoll-Reifen gut für das Racing oder eher eine Marketing-Entscheidung, was das Aussehen der Fahrzeuge angeht?
Mario Isola: Sicherlich hat es einen Einfluss auf das Aussehen des Autos und es ist wichtig für das Marketing. Aber ich glaube, dass es auch unabhängig davon eine gute Wahl ist, weil es in Bezug auf die Technologie und den Technologietransfer relevanter ist. Es stimmt, dass wir ein Profil haben, das dem von Straßenreifen sehr nahe kommt. Es ist eine gute Entscheidung aus vielen verschiedenen Gesichtspunkten, nicht nur als Marketinginstrument. Ich glaube, dass es in der Formel 1 schwierig ist, viele verschiedene Elemente zusammenzubringen, wie etwa technisches Personal, eine Show, Marketingzwecke. Am Ende des Tages ist es die Priorität, den Fahrern die richtige Sichtbarkeit zu geben, weil es eben Sport ist. Also wenn man diese ganzen Faktoren zusammenbringt, ist es manchmal schwierig, die richtige Lösung zu finden, aber nächstes Jahr bin ich guten Mutes für die neuen Autos. Denn es ist dann einfacher, den anderen Autos zu folgen und wahrscheinlich auch einfacher zu überholen. Auch wenn das nicht unbedingt so sein muss. Es ist einfacher, enges Racing zu haben, vielleicht nicht unbedingt zu überholen. Denn wenn man einen Reifen hat, der nicht abbaut, tut er das nicht nur für den Verfolger nicht, sondern auch für den Vordermann.

Mario Isola, Foto: LAT Images
Mario Isola, Foto: LAT Images

MSM: Also ist der Reifenunterschied (Offset) nicht so groß?
Mario Isola: Ja, genau. Und wir werden sehen, ob dieses neue Konzept erfolgreich ist, aber die Umstellung auf 18-Zoll-Reifen ist ein guter Schritt.

Isola: 18-Zoll-Reifen besser für Motorsport

MSM: Aber wenn Sie ein Auto entwerfen müssten, welchen Reifen würden Sie aus Performance-Gründen wählen? Würden Sie die 13-Zoll-Reifen wählen oder die 18-Zoll-Reifen?
Mario Isola: Den 18-Zoll-Reifen. Denn es ist eindeutig ein Reifen, der eher für den Rennsport geeignet ist. Bei den Straßenautos entscheidet man sich generell für eine breitere Felge, weil man damit präzisere und reaktionsfreudigere Reifen nutzen kann und die Leistung besser ist. Wenn man das bedenkt, macht es auch für die Formel 1 Sinn auf einen größeren Reifen umzusteigen. Aber bei den Straßenautos wurde die Entscheidung auch aus anderen Gründen getroffen, zum Beispiel wegen der größeren Bremsen, da man dadurch mehr Platz in der Felge zur Verfügung hat. Mit der Technologie die die Formel 1 für die Bremsen verwendet, haben sie auch mit 13 Zoll noch sehr starke Bremsen. Aber, um auf eine andere Ebene umzusteigen, wahrscheinlich ist es auch für die Bremsenhersteller besser etwas zu entwickeln, das dem Straßenauto ähnlicher ist.

MSM: Apropos Bremsen. Zwischen den Bremsen, den Felgen und den Reifen findet ein großer Wärmeaustausch statt. Was glauben Sie, wie sehr sich das in Zukunft ändern wird, weil der Abstand zwischen den Bremsscheiben und den Felgen viel größer ist. Werden die Teams also immer noch denselben Mechanismus verwenden, um die Reifen zu erhitzen?
Mario Isola: Nein, sicher nicht, aber das ist im Moment ein großes Thema, denn das Verständnis zum Heizen und Kühlen der Bremsen, wie man das jetzt auch immer nennen will, ist 2022 sehr wichtig für die Leistung. Denn im Moment passiert es so: der Raum zwischen den Bremsen und der Felge ist sehr klein, und sie benutzen dieses System, um die gewünschte Zieltemperatur in Bezug auf die Lufttemperatur im Reifen zu erreichen, also können sie die Leistung der Reifen dank dieses komplizierten Systems kontrollieren. Nächstes Jahr ist es viel komplizierter, weil der Abstand zwischen den Bremsen und der Felge viel größer ist, sodass die Wärmeübertragung nicht so einfach zu handhaben ist. Wenn die Teams in der Lage sind, dies richtig zu handhaben, haben sie mit Sicherheit einen Leistungsvorteil. Es gibt aber einige Einschränkungen, denn zum Beispiel werden nächstes Jahr die Felgen Standardfelgen. Die Teams können die speziellen Lackierungen, die spezielle Behandlung, das spezielle Design, das sie jetzt gebrauchen, nicht verwenden. Also gibt es eine Einschränkung in der Entwicklung von exotischen Lösungen für Felgen und Bremsen, aber sicher werden sie einige Anstrengungen unternehmen, um zu verstehen, wie man sie auf die bestmögliche Weise verwenden kann. Im nächsten Jahr werden die Reifen nach einem anderen Konzept entwickelt. Es gibt andere Mischungen und einen größerer Arbeitsbereich. Entsprechend zu dem, was in den Zielvorgaben steht. Aber auch hier gilt: Wenn man in der Lage ist, den Reifen bei optimaler Temperatur zu fahren und das Maximum an Grip zu halten, hat man sicherlich einen Vorteil und das ist etwas, was die Teams versuchen werden, zu erreichen.

Reifen werden noch schwerer

MSM: Die Konstruktion haben Sie bereits im September fertiggestellt. Können Sie uns also das endgültige Gewicht der Reifens nennen?
Mario Isola: Das Endgewicht ist dem der 13-Zoll-Reifen sehr ähnlich. Wie messen wir dieses Gewicht? Wir haben die Teams auf Grundlage der Informationen versorgt, die wir anhand der Prototypen hatten, die wir während der Testsessions gebaut haben. Aber jetzt verwenden wir den Reifen für den Nachsaison-Test in Abu Dhabi, so dass wir eine Zahl haben, die von der Fabrik kommt und die zuverlässiger ist, weil sie auf dem Durchschnitt vieler Reifen basiert. Aber ich kann Ihnen sagen, dass sie nicht viel anders ist als der aktuelle 13-Zoll-Reifen. Das zusätzliche Gewicht kommt also hauptsächlich von der Felge und nicht vom Reifen. Der Reifen macht nur wenige hundert Gramm Unterschied aus.

MSM: Sie haben die Überhitzung des Reifens erwähnt. Der Außendurchmesser ist auch größer, zwar nicht so sehr wie der Innendurchmesser, aber immerhin. Sie haben also eine größere Oberfläche des Reifens. Inwieweit hilft das in Bezug auf die Überhitzung?
Mario Isola: Die Tatsache, dass wir einen größeren Durchmesser haben, hilft natürlich bei der Kühlung des Reifens. Man muss das natürlich aus zwei Punkten betrachten. Einerseits mit der Hitze, die von außen kommt, also in Form von Reibung zwischen der Reifenmischung und dem Asphalt. Auf der anderen Seite gibt es die Temperatur, die von der Felge kommt. Beide sind relevant, um den Reifen auf die richtige Art und Weise einzusetzen. Wichtiger als der Durchmesser ist meiner Meinung nach die Aufstandsfläche und die Form der Aufstandsfläche. Bei einem 18-Zoll-Reifen ist diese ähnlich was die Fläche angeht, aber in Bezug auf die Form der Aufstandsfläche etwas anders.

Ich versuche, das besser zu erklären: Wenn Sie eine kurze Aufstandsfläche haben, haben Sie einen kleinen Teil des Gummis, der in die Aufstandsfläche hinein- und dann wieder herausgeht, und natürlich erzeugt das Wärme, wenn der kleine Block in die Aufstandsfläche hineinkommt. Der größere Durchmesser und die kürzere Aufstandsfläche tragen dazu bei, die Überhitzung zu reduzieren und darum geht es. Wenn man eine kürzere Grundfläche hat oder dies nicht durch den Durchmesser kompensiert, verliert man Fläche und Leistung.

Die richtige Gestaltung der Aufstandsfläche, das heißt, der richtige Kompromiss in Bezug auf Länge, Breite, Fläche und die Art und Weise, wie der kleine Gummiblock mit der Gummiverteilung und der Temperaturverteilung arbeitet, ist also von grundlegender Bedeutung für die Definition der Überhitzungseigenschaften und so weiter. Es geht nicht nur um die neue Mischung, sondern auch um die Inhaltsstoffe, die wir in der neuen Mischung verwenden. Dies ist sicherlich hilfreich, denn wir haben eine neue Mischung mit einem anderen Ansatz und einem anderen Konzept entwickelt, und dies trägt dazu bei, ein größeres Arbeitsfenster zu erreichen. Aber auch die Konstruktion ist sehr wichtig, um das Ziel der Verringerung der Überhitzung zu erreichen. Denn dies hängt davon ab, wie die Mischung bei der jeweiligen Aufstandsfläche funktioniert.

MSM: Was würden Sie sagen, ist schwieriger? Einen 18-Zoll-Reifen oder einen 13-Zoll-Reifen in der Formel 1 zu entwickeln? Denn meiner Theorie nach hat ein 13-Zoll-Reifen zwei verschiedene Aufgaben. Der Reifen ist auch Teil der Aufhängung und der 18-Zoll-Reifen hat nur den Reifen.
Mario Isola: Das stimmt nicht, denn auch beim 18-Zoll-Reifen gibt es eine Seitenwand, die für die Dämpfung wichtig ist. Also ist sie auch relevant, wenn auch wahrscheinlich etwas weniger als beim 13-Zoll-Reifen. Denn die Seitenwand beim 13-Zoll-Reifen ist ziemlich groß und verrichtet viel Arbeit für die Dämpfung und so weiter. Aber wenn Sie mich fragen, welcher Reifen schwieriger zu entwickeln ist, ist das eine gute Frage. Ich glaube, dass sie unterschiedlich sind, aber auch, dass wir gute Erfahrungen mit 18-Zoll-Reifen haben, denn wir verwenden 18-Zoll-Reifen im GT-Sport, wir haben jetzt zwei Jahre Erfahrung mit der Formel 2.

Das ist nicht die Formel 1, sie ist weit von der Formel 1 entfernt, aber es ist die Single-Seater-Serie, die der Formel 1 am nächsten kommt. Wir haben 18-Zoll-Reifen in vielen anderen Kategorien verwendet, in Tourenwagen und so weiter. Wir haben also gute Erfahrungen mit der Entwicklung dieser Art von Reifen. Natürlich ist die Anwendung in der Formel 1 eine ganz andere. Der Grad der Beanspruchung und der Energie, die in den Reifen einfließen, ist anders, aber ich glaube, dass wir auch die Möglichkeit hatten, unser Know-how aus anderen Serien zu nutzen, seitdem wir mit der Entwicklung des 18-Zoll-Reifens begannen. Das bedeutet nicht, dass es einfacher ist, es ist nur so, dass wir Erfahrung haben und diese Erfahrung auch für die Formel 1 nutzen können.

MSM: Die Faktoren, die Sie bereits erwähnt haben: Die Aufstandsfläche, der Außendurchmesser, die völlig neuen Mischungen und dann zusätzlich die neue Formel 1 mit theoretisch viel weniger verwirbelter Luft. Was meinen Sie, wie viel besser wird das Überhitzungsproblem sein? In der Theorie sollte es ja fantastisch sein...
Mario Isola: In der Theorie sollte es fantastisch sein, in der Praxis ist es etwas, das man erst bei den Tests vor der Saison gut herausfinden kann. Wir haben während unserer Reifenentwicklungskampagne Mule-Autos verwendet, und wir haben die Teams gebeten, diese Mule-Autos so ähnlich wie nur möglich zu den nächstjährigen Autos zu gestalten. Natürlich haben sie keinen Ground-Effect und dadurch ist natürlich auch die Art und Weise, wie der Abtrieb auf den Reifen wirkt anders. Wir haben während unseres Reifentests keinen Verkehr, wir haben nur ein oder zwei Autos. Und wenn mehr als ein Auto fährt, versucht man sie voneinander fernzuhalten. Denn es ist nicht das Ziel des Tests, im Verkehr zu fahren.

Auch wenn wir in Abu Dhabi beim Test nach der Saison mit den Mule-Autos unterwegs sein werden und sie dort anderen Autos folgen, funktionieren die Fahrzeuge nicht wie die des nächsten Jahres. Es gibt also eine Reihe von Fragezeichen für das nächste Jahr: Das Auto, die Art und Weise, wie das Auto seinen Abtrieb entwickelt, die Wärmeentwicklung durch die Felge. Es war unmöglich, alles vorherzusagen. Ich glaube, dass wir eine gute Testkampagne hatten, und ich glaube, dass die Ergebnisse sehr nahe an dem liegen, was in den Zielvorgaben steht. Natürlich müssen wir das Produkt mit den nächstjährigen Autos validieren. Denn nächstes Jahr werden wir weitere 25 Tage mit den echten Autos testen, mit den Autos von 2022. Wenn es also irgendetwas gibt, das wir für 2023 ändern oder verfeinern müssen, wird das unsere Priorität für das nächste Jahr sein.

MSM: Haben Sie bei den Tests für das nächste Jahr die Standardfelgen verwendet?
Mario Isola: Nein, denn sie waren nicht fertig. Wir mussten Felgen verwenden, die von den Teams hergestellt wurden, auch weil die Radnabe unterschiedlich sein kann. Es war also nicht möglich, sie zu verwenden. Sie standen nicht zur Verfügung, weil es eine Arbeitsgruppe gab, die an der Felge, dem Standardsensor, dem TPM und allem anderen arbeitete: Sie waren nicht verfügbar. Für den Post-Season-Test in Abu Dhabi haben einige Teams sie wahrscheinlich zur Verfügung, aber wir müssen erst prüfen, ob sie die Felgen am Auto befestigen können.

MSM: Das ist etwas, woran jemand von außen nicht denkt. Da denken viele einfach, sie passen die Felgen an und das war's...
Mario Isola: Nein, das ist nicht so einfach und ein anderer Punkt ist folgendes: Vor ein paar Tagen haben wir über die Felgenabdeckung diskutiert. Wir verwendeten die Felgenabdeckung beim Post-Season-Test in Abu Dhabi, um zu verstehen, welche Auswirkungen die Felgenabdeckung auf die Hitze hat, die von der Bremse zur Felge geht. Wir haben uns mit den Teams darüber unterhalten, aber sie sagten uns, dass die Bremsendesign nächstes Jahr so unterschiedlich (zu diesem Jahr) sind, dass selbst wenn wir beim Post-Season-Test in Abu Dhabi einen Felgenschutz anbringen, das Ergebnis nicht repräsentativ für das nächste Jahr ist.

MSM: Haben Sie während der Tests auch die Felgenabdeckungen ausprobiert?
Mario Isola: Wir haben sie bei einigen Gelegenheiten ausprobiert, aber es handelte sich nicht um die endgültige Version der Felgenabdeckungen, sondern nur um Prototypen. Das Design wurde im Laufe des Jahres angepasst. Wenn man zum Beispiel eine Felgenabdeckung anbringt, die genau die Felge bedeckt, ist es für uns schwierig, das auszubalancieren. Es ist schwierig für die Mechaniker bei den Boxenstopps, sie greifen den Reifen von innen und außen an. Und von außen war die Felge abgedeckt und es war unmöglich, den Boxenstopp so zu machen. Sie werden sehen, dass die neueste Version der Felgenabdeckung eine Art Stufe hat, die uns hilft, das Balancegewicht anzubringen und den Mechanikern bei der Handhabe zu unterstützen. Auch weil die Reifen schwerer sind, ist das Rad schwerer, so dass sie es ordnungsgemäß anfassen müssen und können kein Risiko dabei eingehen, wenn sie sie vom Auto abnehmen.

MSM: Es gab ja Pläne, die Felgenabdeckung mit digitalen Elementen zu nutzten und es gab einige Tests, wie etwa auf einem BMW in Silverstone. Warum kommen diese digitalen Felgenabdeckungen nicht?
Mario Isola: Das war eine Entscheidung, die die Teams getroffen haben. Die Idee ist, dass wir für das erste Jahr sicher sein müssen, dass die Felgenabdeckung gut funktioniert. Wenn man bedenkt, dass sie an der Felge befestigt ist, so ist es auch eine Frage der Balance. Im Moment sind wir glücklich damit, mit dieser Modifikation die Balance für den Reifen mit der angebrachten Felgenabdeckung hinzukriegen. Sobald die Balance gefunden ist, ist es in seiner endgültigen Version, weil sonst eine Idee war, dass wir die Reifenbalance mit dem Rad schaffen, aber nicht mit der Felgenabdeckung und dann bringen wir die Felgenabdeckung separat an.

Aber in diesem Fall kann es passieren, dass die Felgenabdeckung nicht die richtige Balance hat, weil zum Beispiel das Loch für das Ventil in der Abdeckung ist. Also müsste man das ausgleichen. Es ist heikel, wenn bei einem Formel-1-Auto die Toleranz beim Ausbalancieren fünf Gramm beträgt, dann ist es ein Alptraum, die richtige Lösung zu finden. Und wir haben gesagt, dass wir es vorziehen, das Rad in seiner endgültigen Version auszubalancieren, wenn man zur Felgenabdeckung auch noch die Leitung und das System hinzufügt, um so etwas zu erzeugen, ist das sehr schön. Aber man muss bedenken, dass man Gewicht hinzufügt, das noch nicht in der Balance ist. An dieser Lösung muss man noch ein bisschen arbeiten.

MSM: Was ist mit dem Pirelli-Logo? Werden Sie ein größeres Pirelli-Logo auf der Felgenabdeckung haben oder wird es nur der Schriftzug an der Seitenwand sein, der kleiner ist?
Mario Isola: Im Moment haben wir nur das Branding auf der Seitenwand, das, wie Sie sagten, kleiner ist. Wir werden das Logo auf den Decken beibehalten, aber es ist im Moment nicht geplant, das Logo auf der Felgenabdeckung anzubringen.

Reifendecken ab 2024 Geschichte

MSM: Wie ist der Plan bei den Reifendecken? Weil der Plan wurde mit den Reifendecken ja neu definiert. Sie werden ja die derzeitigen Decken verwenden und dann schrittweise weitergeben. Wird es 2023 noch immer die Reifendecken geben oder nicht?
Mario Isola: Ja, aber für 2022 sind 70 Grad vorne und hinten geplant. Im Moment sind wir bei 100 Grad vorne und 80 hinten. Wir gehen auf 70/70 runter, da unsere gesamte Testkampagne mit 70/70 durchgeführt wurde, also haben wir versucht, die Bedingungen zu replizieren, die wir 2022 haben. Für 2023 gehen wir runter auf 50/50.

Wir prüfen derzeit, welche Temperatur wir 2022 für Intermediate und Wet vorschreiben wollen, denn die Idee ist, auch mit Intermediate und Wet runterzugehen. Um ehrlich zu sein, haben wir mir den Regenreifen auch einige Tests ohne Decken durchgeführt, und der Bereich funktioniert recht gut, sodass die Idee ist, die Decken bei Regenreifen vielleicht im Jahr 2023 zu entfernen. Denn der Plan ist, 2024 ohne Reifendecken auf Slick, Intermediate und Wet zu fahren. Das wurde mit den Teams, der FIA und der F1 vereinbart.

Ab 2023 sollen Regenreifen ohne Heizdecken auskommen., Foto: LAT Images
Ab 2023 sollen Regenreifen ohne Heizdecken auskommen., Foto: LAT Images

MSM: Aber macht es das nicht schwieriger für Sie, sich jedes Jahr bei der Konstruktion für die Reifenmischungen an anderen Zielen orientieren zu müssen. Wieso führt man das nicht auf einen Schlag ein?
Mario Isola: Nein, denn wir wollen das Schritt für Schritt machen und da geht es nicht nur um die Mischungen. Wir müssen eine Mischung designen, die ein Arbeitsfenster von 20 bis 100 Grad hat und das ist nicht einfach. Wir haben bereits mit diesem Konzept für die Mischungen des nächsten Jahres begonnen, zum Beispiel haben wir versucht, eine Mischung mit einer niedrigeren Temperatur zu entwickeln. Sie wissen, dass wir in Barcelona, als es bei den Vorsaisontests sehr kalt war, darüber gesprochen haben, dass die Reifen Risse bekommen könnten. Denn wenn Motorsport-Reifenmischungen sehr kalt sind, werden sie wie Glas und wenn man die Mischung erhitzt, bricht sie.

Die Reifenmischung für das nächste Jahr ist bereits so ausgelegt, dass dieses Problem vermieden wird. Das ist eine Idee für die Zukunft, um einen größeren Arbeitsbereich zu haben. Das größte Problem ist jedoch, eine Konstruktion zu entwickeln, die von 18 PSI bis zu 28, 29 oder 30 PSI funktionsfähig ist. Denn wenn man von einer Umgebungstemperatur von 20 Grad ausgeht und das Fahrzeug bei 120 oder 130 funktioniert, dann hat man einen Druckunterschied von 10 bis 11 PSI. Ein Formel-1-Auto kann nicht bei 10 PSI kalt anfangen zu arbeiten, denn damit beschädigt man die Konstruktion in der ersten Runde. Man kann von einem Fahrer nicht verlangen, dass er nach einem Boxenstopp, nachdem er rausgefahren ist, 2 oder 3 Runden sehr langsam fährt, weil man den Druck und die Temperatur erst wieder aufbauen muss.

Und das bedeutet, dass wir eine neue Konstruktion mit einer Aufstandsfläche entwerfen müssen, die viel empfindlicher auf Druck reagiert. Das ist nicht so einfach. Deshalb wollen wir Schritt für Schritt vorgehen, sonst müssten wir einen längeren Entwicklungszeitraum anpeilen, aber in der Formel 1 muss man immer dran sein. Nächstes Jahr ist das erste Jahr des 18-Zoll-Reifens, da kann ich mir vorstellen, dass noch etwas Feintuning an der Konstruktion nötig ist. Das heißt: 2023 werden wir einen Schritt in diese Richtung haben und dann 2023 bereits daran arbeiten, dass wir 2024 ohne Decken fahren können.

MSM: Dann noch eine abschließende Frage zum besseren Verständnis. Die Auswirkung des Drucks im Reifen: Mit dem 18-Zoll-Reifen hat man weniger Luft im Reifen. Wie wirkt sich das aus? Reagiert der Reifen unter Druck innen schneller auf die Temperaturveränderung?
Mario Isola: Ja, weil Sie das ideale Gas niedrig ansetzen und wenn man ein kleineres Volumen hat und mehr Wärme hineinsteckt, hat man mehr Druck. Denn Druck multipliziert mit Volumen ist gleich Temperatur mal NR. Das bedeutet, wenn die Delta-Temperatur gleich ist und man ein kleineres Volumen hat, ergibt das ein größeres Druckdelta. Wir müssen also auch bedenken, dass das Druckdelta für den 18-Zoll-Reifen wahrscheinlich kleiner ist. Das Volumen ist zwar kleiner, aber das wurde durch den größeren Durchmesser etwas kompensiert. Es ist aber in jedem Fall kleiner.

Anmerkung der Redaktion: Dieses Interview wurde noch während der Formel-1-Saison 2021 geführt. Deshalb sind einzelne Passagen in denen etwa die Testfahrten nach dem Saisonfinale in Abu Dhabi erwähnt werden, im - aus heutiger Sicht - "falschen" Tempus verfasst. Aus Gründen der Transparenz und der Vollständigkeit ließen wir die Antworten dennoch unverändert.