Der Artikel wurde in der 81. Ausgabe des Printmagazins von Motorsport-Magazin.com am 28. Oktober 2021 veröffentlicht.

Kaum ein Fahrer wurde in der Formel 1 je mit größerer Skepsis empfangen als Nikita Mazepin. Der Russe liefert seinen Kritikern ständig frischen Stoff. Mit Motorsport-Magazin.com spricht er über seine bewegte Rookie-Saison.

MSM: Deinen Teamkollegen kennen unsere Leser recht gut, dich wahrscheinlich weniger. Wo lebst du derzeit überhaupt?

NIKITA MAZEPIN: Mein echter Wohnort war immer Russland. Aber es ist sehr schwer zu beurteilen, wo ich lebe. Ich muss immer planen, wo ich bin. Wir haben viele Rennen und manchmal muss ich noch beim Team in England sein, manchmal muss ich in Moskau an der Universität studieren. Ich reise überall herum. Aber mein persönliches Zuhause ist Russland, Moskau. Um ehrlich zu sein, es war aber schon immer so. Denn ich wollte auch als ich in den Nachwuchsserien für Hitech GP gefahren bin, meine Zeit in England nutzen. Jetzt ist die Möglichkeit, in England zu sein, nicht mehr so da. Aber die Zeit, die ich in Moskau verbringe, unterscheidet sich nicht so sehr.

Was begeistert dich eigentlich am Rennsport? Finanziell hast du ausgesorgt und du studierst an der Fakultät für Globalwissenschaft - hast also andere Alternativen. Was reizt dich daran, in der Formel 1 um den vorletzten Platz zu fahren?

Lass mich mit dem letzten Teil der Frage beginnen: Wenn du in der Formel 1 um den letzten Platz fährst, dann ist es die Mentalität eines jeden Rennfahrers, dass du immer auf ein besseres Morgen hoffst. Du hoffst immer, schneller zu sein und einen besseren Tag zu haben. Diesbezüglich fahre ich nicht für dieses Jahr. Ich fahre dafür, das Team zu einem viel größeren Erfolg anzutreiben, um ein viel besseres und konkurrenzfähigeres Auto zu haben. Das hatten sie jetzt ein paar Jahre lang schon nicht mehr. Es geht nicht um heute, es geht darum, was noch passieren wird. Hoffentlich gehen die Träume in Erfüllung.

Mazepin drehte sich zu Beginn oft, verursachte aber wenig Schaden, Foto: LAT Images
Mazepin drehte sich zu Beginn oft, verursachte aber wenig Schaden, Foto: LAT Images

Und der Grund, weshalb ich in der Formel 1 bin, ist ganz einfach: Ich habe Motorsport immer gemocht. Seit ich ein Kind bin, habe ich die Freizeit immer mit Bewegung verbracht. Ich fahre alles Mögliche: Jetski, Buggys, Quad-Bikes... Hoffentlich auch noch Motocross, aber das ist im Moment etwas zu gefährlich. Das ist seit jeher etwas, das ich gerne gemacht habe. Als ich fünf oder sechs Jahre alt war, bin ich Kart gefahren. Und ich war schneller als die anderen Fahrer um mich herum. In diesem Alter, so früh im Leben, zwischen 5 und 15 Jahren, gibt es nur sehr wenige Dinge abseits des Sports, in denen du dich erfolgreich fühlen kannst. Wo du nicht das Gefühl hast, dieses Leben zu verschwenden und dass du etwas Nützliches machst. Du fühlst diesen Ansporn für Wettkampf. An einem Tag machst du einen besseren Job als die anderen und bist besser, an einem anderen Tag, an dem du einen schlechten Job machst, bist du schlechter als sie. Das ist ein spezielles Gefühl. Ich wurde süchtig danach, mich selbst zu verbessern. Und schließlich wurde es mein Job. Ich bin der einzige russische Fahrer in der Formel 1. Und ich habe mein ganzes Leben vor mir, um in die Fußstapfen meines Vaters zu treten und im Unternehmen an seiner Seite zu sein. Ich bin mir sicher, dass ich das sein werde. Aber jetzt werde ich noch eine ganze Weile im Kreis fahren.

Weil du das am besten kannst?

Ich denke generell im Leben ist es so: Wenn du in verschiedenen Bereichen erfolgreich sein willst, wie Sport oder im Geschäftsleben oder was auch immer du machst, ist die Art und Weise des Arbeitens sehr ähnlich. Es gibt ein Sprichwort: Erfolgreiche Menschen sind nicht nur in einer Sache erfolgreich. Für mich geht es um die Herangehensweise und um die Hingabe, die harte Arbeit, die du reinsteckst. Ob du das im Fitnessstudio oder in der Schule oder sonst wo machst.

Wie bewertest du selbst deine Rookie-Saison in der Formel 1?

Ich bin glücklich darüber, dass ich die Saison von einem sehr tiefen Punkt zu meinem bisherigen Höhepunkt bringen konnte. In der Vergangenheit hat mich so etwas gebrochen und ich konnte mich vor dem nächsten Jahr nicht wieder erholen. Diesbezüglich war es positiv. Ich habe dieses Jahr immer an meinen Erfolg geglaubt. Das funktioniert. Aber es war bislang herausfordernd. Mehr kann ich dazu nicht sagen.

Haas wird finanziell von Mazepins Vater unterstützt, Foto: LAT Images
Haas wird finanziell von Mazepins Vater unterstützt, Foto: LAT Images

Du sprichst Tiefpunkte in der Vergangenheit an. Die erste Saison in der Formel 3, deine Rookie-Saison in der Formel 2?

Was ich damit gemeint habe: Ich habe es früher nicht geschafft, meine Saison in der Mitte neu zu starten. Man muss fairerweise auch sagen, dass die Saisons viel kürzer waren. Wenn du nur neun Rennen hast, hast du viel weniger Versuche. Wenn du 23 Rennen hast, hast du viel mehr Versuche. Ich bin aber glücklich damit, wie es läuft.

Brauchst du immer etwas, um in Fahrt zu kommen?

Definitiv! Ich bin wie Wein, ich werde im Alter besser! Wenn ich mir meine Karriere ansehe: Wenn mir das Auto liegt und das Setup passt, dann kann ich sofort schnell sein. Aber ich brauche etwas Zeit, um das Auto, das Team und mich selbst dahin zu bringen, dass wir als komplettes Paket funktionieren, bis wir den Durchbruch schaffen.

Viele sagen, dass es Rookies 2021 besonders schwer haben. Der Wintertest war kurz wie nie zuvor, die Trainings am Freitag wurden auf eine Stunde gekürzt. Du sollst dich aber intensiv bei privaten Tests mit Mercedes vorbereitet haben…

Was ich definitiv sagen kann: Du warst bei den offiziellen Tests, bei denen ich gefahren bin, vor Ort. Mit Force India und Mercedes. Das ist es [schmunzelt].

Ich überlasse die Interpretation deines Schmunzelns anderen! Beim angesprochenen Test mit Mercedes in Barcelona warst du nur drei Zehntel vom absoluten Streckenrekord entfernt. Du hast gezeigt, dass du durchaus schnell sein kannst.

Ich glaube, es war sogar die zweitschnellste je gefahrene Runde dort. Der Mercedes ist ein fantastisches Auto. Um ehrlich zu sein: Ich glaube, es liegt meinem Fahrstil. Denn er hat eine sehr, sehr vorhersehbare und starke Hinterachse. Ich glaube, das mag jeder Fahrer. Aber ich fühle, dass meine mentale Herangehensweise und mein Körper bei Autos wie diesem besser ist, das absolute Maximum herauszuholen.

Die Rivalität im Team soll 2022 gegen andere gerichtet werden, Foto: LAT Images
Die Rivalität im Team soll 2022 gegen andere gerichtet werden, Foto: LAT Images

Du hast dieses Jahr mit einigen Drehern begonnen, im Netz wurde schon über MazeSpin gespottet. Hat das den Druck auf dich erhöht, musstest du schließlich etwas auf Nummer Sicher gehen?

Vom 1. Training an war ich mir sicher, was ich gefühlt habe - und da kannst du dir auch meinen Funk anhören. Da habe ich gesagt: Ich bin beim Test in Bahrain ein Auto gefahren und danach bin ich ein anderes Auto gefahren. Mit dem ich all diese Probleme hatte. Ich habe sofort gesagt, dass etwas mit diesem Auto nicht stimmt. Leider hat es fünf Rennen gedauert, bis wir einem Rookie geglaubt haben, dass etwas falsch ist und wir etwas probieren müssen. Wir haben etwas probiert, das auf dem Papier langsamer war, aber am Ende vorhersehbarer und schneller. Ich kann nur sagen: Ich habe mich in meinem Leben noch nie so sehr um Dreher gekümmert. Ja, ich habe mich in meinem Leben schon tausende Male gedreht. So wie jeder andere Fahrer auch! Wenn du Formel 4, Formel 3 und Formel 2 fährst, dann ist es natürlich, dass du dich drehst. Drehen ist besser als crashen! Aber das hat mich auf jeden Fall auf dieses Thema aufmerksam gemacht. Aber sieh her: Mein Spin-Count ist halbwegs niedrig. Lass uns das so beibehalten. Ich denke, es ist besser, ein Auto fünf Mal zu drehen, als es einmal zu zerstören und eine Million zu zahlen.

Der angesprochene Spottname kommt nicht von ungefähr. Du hast seit jeher einen schweren Stand bei den Formel-1-Fans. Glaubst du, nach all dem, was Ende vergangenen Jahres passiert ist, hattest du in der Öffentlichkeit schon verloren?

Vielleicht ja. Aber es ist sehr schwierig für mich, mich von meinem Körper zu lösen und von außen auf mich zu blicken. Ich habe Leute um mich herum, auf die ich höre. Meine Familie, mein Vater. Sie sagen mir, wenn ich etwas falsch gemacht habe. Ich mache Fehler wie jeder andere auch. Ich werde darauf aufmerksam gemacht, ich versuche zu lernen und mich zu verbessern. Ich versuche jeden Tag, besser als gestern zu sein. Hoffentlich schaffe ich das.

Ein großes Thema ist die Beziehung zu deinem Teamkollegen. Wie würdest du sie beschreiben?

Sie ist betriebsfähig. Ich glaube nicht, dass es irgendwelche desaströsen Probleme gibt. Wir haben uns in Sotschi gegenseitig eingeladen, uns in der Winterpause zu besuchen. Das war eine nette Geste von ihm. Und hoffentlich empfindet er es auch als eine nette Geste von mir. Er ist ein netter Junge. Wir kennen uns schon eine lange Zeit. Ich kenne ihn länger als manche meiner Freunde aus der Schule. Es funktioniert. Aber der Hauptgrund, weshalb ich hier bin, ist sicherzustellen, dass ich das bestmögliche Ergebnis aus mir heraushole. Und das bestmögliche Ergebnis für das Team und die Konstrukteursweltmeisterschaft. Solange wir an einem Strang ziehen und uns pushen, um jeden Tag ein bisschen früher aufzustehen, jeden Tag ein bisschen mehr zu trainieren und ein bisschen besser vorzubereiten, ist es gesund.

Wir wissen alle, was in Baku und in Zandvoort passiert ist - und es gab noch mehr Zwischenfälle zwischen dir und Mick. Würdest du im Nachhinein irgendetwas anders machen?

Ich glaube, das wurde unverhältnismäßig aufgeblasen. Nur weil wir im gleichen Team sind und das Auto Seite an Seite in der Garage steht, bedeutet das nicht, dass wir nicht kämpfen sollten. Wenn es jedes andere Auto außer dieses wäre, dann würde es niemandem auffallen. Ich habe meine Position gehalten, ich habe hart gekämpft, denn das ist das, was das Team braucht, um die Punkte für die Konstrukteursweltmeisterschaft zu holen. Ich denke, es ist alles gut. Es gibt natürlich auch Dinge, die ich gerne ändern würde. Wie Monza. Das war ein hartes Manöver, das sich nicht ausgezahlt hat. Ich habe mich entschuldigt. Ich habe kein Problem damit, es zuzugeben. Aber die anderen Zwischenfälle: Da habe ich nur meinen Job gemacht. So wie ich ihn schon vor vier Jahren gemacht habe und wie ich ihn auch noch weitere zehn Jahre machen werde.

Bei den Fans hat Mazepin einen schweren Stand, Foto: LAT Images
Bei den Fans hat Mazepin einen schweren Stand, Foto: LAT Images

Du warst aber auch schon zuvor für deine aggressive Fahrweise bekannt. Musst du die in der Formel 1 überdenken?

Die Geschwindigkeiten sind höher und das DRS-Delta ist größer. Aber für mich ist es im Leben so: Du musst dir das Endergebnis ansehen. Das Endergebnis ist, dass ich Unfälle vermeide. Ich habe nicht viele Unfälle auf der Strecke oder Ausfälle aufgrund eigener Fehler. Und ich halte die Position. Darum geht es doch letztendlich beim Rennfahren auch. Das habe ich schon in meiner Kartzeit gelernt: Selbst wenn ich den Speed nicht habe, werde ich die Tür nicht offen lassen. Ich versuche zu kämpfen. Wenn die Position übernommen wird, dann Glückwunsch an den anderen. Dann hat er einen sehr guten Job gemacht, das Manöver vorzubereiten. Aber nur weil er eine bessere Rundenzeit fährt, bedeutet das nicht, dass er einfach überholen kann. Es sind zwei komplett verschiedene Künste. Die eine Kunst ist es, schnell zu fahren. Die andere ist es, zu überholen. Ich bin sehr gut darin, diese Überholmanöver zu verhindern.

Du hast ganz zu Beginn des Interviews angesprochen, nicht für dieses Jahr zu fahren, sondern für die Zukunft. Hast du einen konkreten Plan, wie die aussehen soll?

Ich habe einen Plan, der so lange ist, wie mein Vertrag mit diesem Team geht. Im Moment läuft der Vertrag bis Ende 2022. Da gibt es eine Option weiterzumachen. Es geht mir in meinem Plan nicht darum, die Entwicklungsarbeit mit dem Team auf dem Papier oder auf dem Computer zu starten. Mein Plan ist, es auf der Strecke zu starten. Das beginnt beim Wintertest im nächsten Jahr. Und ich werde mein absolut Bestes geben, um sicherzustellen, dass das Team jegliches Feedback, das es von einem Fahrer braucht, von mir bekommen kann. Egal ob es in meiner Pause ist oder nicht. So weit kann ich aktuell gehen.

Hast du einen Zeitplan, wann du um Punkte, Podien, Siege und so weiter kämpfen willst?

Natürlich denke ich darüber nach. Ich will eine Weltmeisterschaft gewinnen, ich will ein Rennen gewinnen, ich will Pole Positionen einfahren. Ich will aufs Podium, aber ich weiß nicht, mit welchem Team ich das erreichen kann.

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