Haas-Teamchef Günther Steiner zieht in einem ausführlichen Interview mit Motorsport-Magazin.com Fazit über eine schwierige, nervenaufreibende Saison und gibt einen Ausblick auf das kommende Jahr 2022, in dem für den amerikanischen Rennstall endlich alles besser werden soll.

Motorsport-Magazin.com: War das für dich die härteste Saison?

Günther Steiner: Für mich persönlich war es sicherlich sehr hart. Ich wusste was mir bevorsteht. Wenn man es dann aber durchmachen muss, ist es härter als man es sich jemals vorstellen kann. Das muss ich auch so sagen, weil es so ist: Du kommst ins Wochenende, da ist noch alles gut. Aber am Sonntagabend ist die Batterie leer. Man hat ja kleine Erfolge, für mich ein Erfolg ist, dass das Team gut arbeitet und wir keine Fehler machen, man muss ja auch das respektieren. Wir machen nicht viele Fehler, nur das Auto ist zu langsam, was können wir tun.

Wir sind kein Zirkus, in dem wir nur Clowns haben, es sind ja 80 Prozent der Leute von 2018 noch hier. Wir sind nicht in ein paar Jahren blöd geworden, nur wir haben einfach durch das Stoppen der Entwicklung letztes Jahr keine Fortschritte mehr gemacht, die anderen hingegen haben das schon, und wir waren ja schon 2019 nicht stark. Deswegen kommt es nicht unerwartet und um dann zurück auf die Frage zu kommen: Wenn man dann Sonntagabend das Wochenende Revue passieren löst und wenn man dann drei Rennen hintereinander hatte, da braucht du ein bisschen Zeit dich hinzusetzen und zu beruhigen und man braucht dann auch wieder Kraft aufzustehen.

Für die Fahrer ist das ja alles wunderbar, denn das sind Rookies. Für die ist alles neu und da ist das alles kein Problem. Aber für dich und für das Team, die das alles schon durchgemacht haben...

Günther Steiner: Das ist ja das gute daran, man muss ja auch die guten Sachen hervorheben. Die Fahrer sind nicht glücklich, wenn sie 19. oder 20. sind, aber sie lernen ja und sie wissen, sie haben weniger Druck. Wenn du ein gutes Auto hast und du holst keine Punkte dann bist du immer der Prügelknabe. Bei uns haben sie diese Rolle als Prügelknabe nie abbekommen. Rookies reinzusetzen war eine Entscheidung basierend auf dem. Wenn du einen erfahrenen Fahrer ins Auto setzt, der ist nach der halben Saison schon so frustriert, er ist vielleicht sogar schlechter als ein Rookie, weil er sich einfach nicht mehr motivieren kann. Das verstehe ich und ich würde es auch respektieren, wenn jemand dann sagt, es geht nicht mehr. Wenn jemand das schon zehn Jahre macht, dann hat er irgendwann keine Lust mehr.

Ab welchem Rennen hast du gedacht, wäre die Saison am liebsten vorbeigewesen?

Günther Steiner: Ich habe wieder Land gesehen nach der Sommerpause. Vor der Sommerpause was es mühsam, vor allem die letzten Rennen vor der Sommerpause, da bist du nicht einmal halb durch und du bist am Boden. Nach der Sommerpause hat man das Gefühl: Wir gehen dem Ende zu, die Nummer (der noch zu fahrenden Rennen) wird kleiner. Wenn die Nummer noch größer ist, die du bis zum Ende machen musst, als du bisher gemacht hast, dann ist man noch nicht einmal halbwegs durch.

Aber langweilig wurde dir zumindest nicht, darüber kannst du dich trotzdem nicht beschweren. Weil teamintern war auch einiges los. Hast du dir manchmal gedacht du bist mehr Kindergärtner oder Schullehrer als Formel-1-Teamchef?

Günther Steiner: Nein, das würde ich so nicht sagen. Ich wusste, dass es kommen wird, für mich war es mehr eine Frage von: Wie kriege ich es geregelt? Weil ich will ja nicht nur sagen: Jungs, das dürft ihr nicht mehr und ich gebe es vor, da lernt man ja nichts. Ich wollte ihnen beibringen wieso wir gewisse Sachen machen. Weil wenn sich einer benachteiligt fühlt, haben wir das für das Team gemacht, nicht für dich und nicht für den anderen Fahrer, sondern für das Team. Das muss man ihnen erklären und man muss sagen: Ihr müsst fürs Team fahren, eben immer dieses Denken den Jungs etwas beizubringen, ich sehe mich da nicht als Kindergärtner oder Schullehrer, sondern ich mach diesen Job jetzt lange. Die Jungs sind auch lange im Motorsport aber in die Formel 1 zu kommen ist eine andere Welt. Da fährst du nicht mehr für dich selbst, du fährt für ein Team. Und ich glaube wir haben es auch ziemlich gut geschafft nach der Mitte der Saison, nachdem wir aus der Sommerpause zurückgekommen sind.

MSM: Es ist ja kein Geheimnis, dass das Team finanziell etwas abhängig ist. Inwiefern war es ein Problem, um dann auch durchzugreifen?

Günther Steiner: Für mich eigentlich nicht, denn ich bleibe fair und ich möchte es auch so erklären. Auf der einen Seite war es so, aber auf der anderen Seite kommt der zweite Fahrer von Ferrari und hat dadurch einen Vorteil, weil Haas ist ja ein B-Team von Ferrari. Deswegen habe ich das von beiden Seiten abbekommen, aber ich hatte kein Problem damit, da ich beide gleich behandle. Und wenn du Fakten auf den Tisch legst, dass alles dasselbe ist, habe ich kein Problem damit, da bin ich schmerzfrei. Denn wenn du mir jemand das vorwirft, da stoppe ich ihn und erkläre, dass dem nicht so ist. Denn wir können es ja beweisen, ich muss das ja nicht tun. Beide Seiten waren so.

Haas hatte 2021 viel Blechschaden zu beklagen, Foto: LAT Images
Haas hatte 2021 viel Blechschaden zu beklagen, Foto: LAT Images

Aber gab es dann auch so ein richtiges Highlight?

Günther Steiner: Schön war als Mick in der Türkei in Q2 gekommen ist. Aber das Highlight waren für mich die letzten 2 Rennen, wo wir ziemlich nahe an den Autos vor uns herankamen, was ja sehr überraschend ist, denn die anderen haben ja eineinhalb Jahre länger entwickelt und jetzt am ende der zweiten Saison sind wir näher dran. Das heißt höchstwahrscheinlich, dass die Fahrer besser geworden sind. Denn wir haben ja nichts entwickelt, das Auto ist nicht schneller geworden. Ich glaube die Fahrer haben sich besser damit zurechtgefunden und können ein besseres Setup und eine bessere Balance finden. Von der Entwicklung sind wir nicht schneller geworden.

Das wäre meine nächste Frage gewesen: Woher kommt dieser Aufschwung? Weil es war ja dann doch ein relativ großer Schritt. Ihr wart vorher eine Sekunde weg von allen und eine Sekunde findet man ja nicht einfach so im Setup irgendwo...

Günther Steiner: Ich weiß es nicht. Ich glaube eher die anderen haben Rückschritte gemacht. So muss ich es sehen, denn ich sehe nun mal keinen Grund wieso wir Fortschritte gemacht haben, ich sehe es einfach nicht.

Wie viel machen die Fahrer heute in der Formel 1 noch aus? Denn es ist ja nicht mehr wie früher, dass ein Fahrer drei Sekunden langsamer ist....

Wir sind in den Zehnteln unterwegs, aber es kommt auf die Tagesform an, auf die Strecke und wie sich jemand an ein Auto gewöhnt. Es sind so viele Faktoren, aber die Unterschiede sind eben, wie du sagst, nicht mehr so groß.

Du hast vorhin gesagt, es war gut dass ihr auf Rookies gesetzt habt, weil es da eh um nichts ging und die haben es zumindest noch mental akzeptiert. Aber hat die Benchmark gefehlt, um das zu vergleichen. Wenn man vielleicht von Anfang an einen Fahrer gehabt hätte, der so drauf ist...

Günther Steiner: Es wäre sicher schneller gegangen, ich sage ja immer die Referenz fehlt und ich weiß auch jetzt noch nicht wie schnell die Jungs sind, weil wir keine Referenz kennen. Das ist, ich würde nicht sagen ein Problem, aber irgendwann wird man das Vertrauen in die eigenen Fahrer bekommen, man kann ja auch als Referenz viele GPS-Daten nehmen, man sieht ja viel aus den Daten auch bei den anderen Fahrern was sie machen. Aber eine richtige Referenz wäre nur jemanden reinzusetzen, wo man genau weiß wo er in der Formel 1 im Ranking steht. Das haben wir leider nicht und es ist leider im Moment nur sehr schwierig möglich das zu machen. Und am Anfang des Jahres hatten wir nur sechs Testtage und dann setzt du jemanden anderen rein um eine Referenz zu finden, das ist auch nicht produktiv und der Referenzfahrer muss sich auch an das neue Auto gewöhnen und irgendwann geht dir dann einfach die Zeit aus.

Schumacher und Mazepin kamen sich auf der Strecke manchmal etwas zu nahe, Foto: LAT Images
Schumacher und Mazepin kamen sich auf der Strecke manchmal etwas zu nahe, Foto: LAT Images

Ist Mick in dieser Saison im Feld der beste Rookie gewesen?

Günther Steiner: Wir hatten Tsunoda, Nikita und Mick. Es ist schwierig zu sagen. Ich möchte wiederum nicht über Tsunoda sprechen, weil ich bei ihm nicht genug weiß. Bei uns war Mick meistens besser als Nikita, das muss man auch so sehen. Aber ich bin eigentlich mit beiden zufrieden, wir müssen nur schauen, dass wir nächstes Jahr bereit sind, Punkte zu holen.

Aber mit dem Abstand zwischen Mick und Nikita kann man ja eigentlich nicht so zufrieden sein, denn es ist der größte Abstand den es gibt im ganzen Feld zwischen den Piloten.

Günther Steiner: Aber man muss sagen, er macht Fortschritte. Weil Mick macht ja auch Fortschritte und Nikita zieht mit, der Abstand ist nicht größer geworden. Ich würde nicht sagen er ist stetig kleiner geworden, er geht ein bisschen rauf und runter und das müssen wir eben hinkriegen, dass wir ihn auch auf das Niveau bringen.

Schauen wir mal nicht zurück, sondern widmen wir uns mal den schöneren dingen. Zum einen sagen eigentlich fast alle Teams: Der Budget Cap ist unsere große Chance und wir schauen, dass wir Sponsoren und alles finden und die Eigentümer stehen dahinter, sodass wir am Maximum operieren. Von Haas haben wir solche Aussagen in der Form noch nicht gehört. Man ist ja auch am weitesten davon entfernt, aber wie nah wird man rankommen?

Günther Steiner: Wir sind sehr nahe dran, ja.

Das heißt: Finanzen sind dann keine Ausrede mehr in Zukunft?

Günther Steiner: Nein, auf die Finanzen kann man sich nicht ausreden. Ich sag das auch immer meinen Technikern, jetzt kann man nicht mehr sagen: Ich brauche nur mehr Geld, dann bin ich schneller. Nein, wir brauchen mehr Talent dann sind wir schneller.

Ab wann wird sich das zeigen? Weil häufig wird ja gesagt, dass es nächstes Jahr wahrscheinlich noch nicht so ist...

Günther Steiner: Nein, kurzfristig geht das nicht, das ist mittelfristig oder langfristig. Wie weit es jetzt mittelfristig weg ist, weiß ich nicht genau. Es wird wohl noch drei Jahre dauern.

Wie genau sieht jetzt das Team-Setup aus? Weil wir haben von ein paar Änderungen gehört mit Maranello. Wie groß sind die Änderungen tatsächlich und wie sieht das Setup dann aus?

Günther Steiner: Das Rennteam ist genau dasselbe geblieben. Wir haben in Banbury in England genau nichts geändert, und in Amerika genau dasselbe. Verwaltung und Maschinenshop genau dasselbe. In Italien haben wir jetzt weniger Leute bei Dallara, da hatten wir vorher mehr. Dallara ist immer noch involviert, wir haben immer noch Leute da, aber dafür haben wir jetzt mehr Leute, die in Maranello sitzen. Vorher waren immer nur die Aerodynamiker in Maranello, wenn wir im Windkanal waren. Jetzt sitzen die Aerodynamiker permanent in Maranello und auch das Deisgn-Büro, die Leute die nicht bei Dallara sind, sitzen jetzt in Maranello.

Das Chassis wird aber noch bei Dallara gebaut?

Günther Steiner: Ja, gebaut wird es noch dort. Wir arbeiten sehr viel bei der Produktion mit Dallara zusammen, die meisten strukturellen Teile werden bei Dallara gebaut: Flügel, Chassis und so weiter. Die Aufhängung kaufen wir ja von Ferrari, deswegen wird die bei Ferrari gebaut. Nur die Design-Arbeiten, die bei Dallara gemacht werden, sind weniger geworden.

Was ist der Vorteil, was erhofft man sich dadurch?

Günther Steiner: Bei Dallara sind ein paar Leute abgewandert und wir konnten dann erfahrene Leute von Ferrari holen, weil die die Belegschaft reduzieren mussten. Das waren erfahrene Leute, die auf dem Markt waren, und das ist der Vorteil.

Umstrukturierungen im Team sind ja auch so ein kleines Thema. Wir haben gehört einige Leute verlassen das Team. Wie schwerwiegend ist das und in welchen Dimensionen bewegt man sich da. Das kann man sich ja immer nur schwer vorstellen...

Günther Steiner: Das wurde ein bisschen übertrieben, was da gesagt wurde. Man hat jedes Jahresende ein bisschen Fluktuation, das haben alle Teams und wir haben da dasselbe Problem. Dieses Jahr ist es ein bisschen mehr, ich glaube das ist zurückzuführen auch auf die Situation, dass wir viele Rennen haben und dieses Jahr schon ziemlich hart für die Jungs war. Außerdem sehen sich ein paar Leute eben nach einer neuen Herausforderung um. Aber es ist nicht so dass wir hier Massenflucht haben, absolut nicht. Wir haben vielleicht zehn Prozent mehr als in einem normalen Jahr, aber nicht mehr.

2022 soll für Haas alles besser werden, Foto: LAT Images
2022 soll für Haas alles besser werden, Foto: LAT Images

Ich habe am Donnerstag mit Gary Gannon gesprochen, der wusste jetzt aber noch nicht, ob er nächstes Jahr am Auto von Mick arbeiten wird oder ob da umstrukturiert wird, kann man das schon irgendwie sagen?

Günther Steiner: Nein, er hat die richtige Antwort gesagt. Wenn er es nicht weiß, dann werde ich es auch nicht sagen. Wir sprechen vorher mit ihm, aber er hat die richtige Antwort gegeben. Denn wir machen das immer am Ende der Saison, dann sehen wir, wie die Arbeit aufgeteilt wird. Im Moment arbeitet er sehr gut mit Mick zusammen, das ist eine sehr gute Zusammenarbeit, also muss man nur eins uns eins zusammenzählen.

Es würde also wenig Sinn machen, das zu tauschen?

Günther Steiner: Richtig, nur weil er gesagt hat er weiß es nicht. Er hat die korrekte Antwort gegeben, weil ihm wurde es nicht gesagt. Aber ich will jetzt auch nicht über die Presse mitteilen, was Gary Gannon macht. Denn das werden wir mit ihm besprechen.

Sie haben gesagt: Die ganze Geschichte mit der Fluktuation wurde ein bisschen übertrieben. Die Geschichte kam ja von Nikita, der das erzählt hat. Ist er generell vielleicht jemand, der mal ein bisschen übertreibt mit seinen Aussagen?

Günther Steiner: Ich schau nicht genau auf seine Aussagen, ich nehme die Aussagen wie sie sind und trage dann mein Wissen dazu bei. Ich kann es erklären, denn wie gesagt ich halte immer Zahlen bereit. Es gehen ein paar Leute und ich weiß auch wieso, ich spreche auch mit den anderen Teambossen, die haben ein auch mehr Leute, die abwandern. Nicht alle vielleicht, ich habe ja nicht mit allen gesprochen, aber es gibt mehrere die das bestätigen. Es ist ja auch verständlich, warum. Aber wie gesagt: Es sind nicht mehr als zehn Prozent über dem Normalwert, also es ist nicht diese Massenflucht. Ich weiß nicht genau, was Nikita dazu gesagt hat.

Also nochmal ganz kurz zu Nikita an sich und zu seiner Persönlichkeit. Von außen wirkt es so als wäre er ein bisschen die Dramaqueeen der Formel 1. Hast du auch das Gefühl?

Günther Steiner: Das ist jetzt ein neuer Ausdruck für mich, da muss ich überlegen. Ich würde das jetzt eigentlich nicht sagen, wenigstens intern ist er das nicht. Ich lese nicht alles und schaue nicht alles was über ihn geschrieben wird an und sehe nicht immer seine Aussagen.