Der Artikel wurde in der 79. Ausgabe des Printmagazins von Motorsport-Magazin.com am 01. Juli 2021 veröffentlicht.

Kimi Räikkönen kennt die Formel 1 wie kein zweiter Fahrer. Im Interview vergleicht der Rekordstarter die moderne F1 mit seinen Anfängen. Herrschte früher mehr Respekt im Rad-an-Rad-Duell? Der Iceman fordert klare und harte Regeln: Ermahnen juckt keinen! Ein Plädoyer für puristisches Racing.

MSM: Es ist kein Geheimnis, dass du nicht der größte Fan von Terminen wie diesem bist. Für uns Medien hat die Corona-Pandemie unsere Arbeit sehr verändert. Wie erlebst du diese Zeiten? Weniger ungeliebte Pflichten oder alles beim Alten?

KIMI RÄIKKÖNEN: Ach, unter dem Strich ist es sehr ähnlich wie in all den anderen Jahren auch. Natürlich, jetzt wird es mit solchen Dingen hier gemacht [deutet auf das Zoom-Programm auf seinem Bildschirm], aber die Pressekonferenzen sind gleich. Da hat sich gar nicht so viel verändert, es wird nur auf eine andere Art gemacht. Langsam wird alles auch wieder normaler. Vergangenes Jahr saßen wir auch schon vor den Computern, aber es ist nicht mehr oder weniger geworden. Einfach nur anders.

Du hast immer betont, dass du einzig und allein zum Fahren hier bist. Ginge das in anderen Serien mit weniger Medien- und PR-Verpflichtungen nicht besser? Was genau lässt dich mit jetzt schon weit mehr als 300 Grands Prix noch immer so sehr gerade für die Formel 1 brennen?

Natürlich das Fahren, das Racing. Deshalb sind wir zuallererst einmal hier. Das ist der Grund, warum es mir Spaß macht. Die Medien waren immer da und werden es immer sein. In dem einen Jahr ist es mehr, im anderen weniger. Das hängt auch von den Teams und den Sponsoren ab, aber generell war das immer da. Aber es war natürlich nie der Grund, hier zu sein. Es ist einfach Teil der ganzen Angelegenheit. Solange ich am Rennfahren Spaß habe, komme ich mit den anderen Sachen schon klar, auch wenn ich kein Fan davon bin. Klar gibt es auch jede Menge anderen Rennsport, den ich betreiben könnte. Als ich Rallye gefahren bin, konnte ich in meinem zweiten Jahr im Grunde komplett allein entscheiden, was ich da mache. Ich habe alles selbst bezahlt. Wenn ich reden wollte, habe ich gesprochen. Wenn nicht, dann eben nicht, also ... [lacht]. Es gibt eine Million verschiedene Arten, wie das gemacht wird. In der NASCAR war es zum Beispiel auch völlig anders. Da war es weniger oder einfach anders, als ich da war. Wenn du die ganze Saison gemacht hättest, wäre es vielleicht genauso viel gewesen. Einfach, weil sie dort viel mehr fahren als in der F1. Aber einen gewissen Teil nimmt es in jedem Sport ein. Solange das Racing Spaß macht und es der größere Teil ist, macht es Sinn. Wenn es keinen Spaß mehr macht, dann ist es sowieso sinnlos, egal in welcher Serie. Aber wenn es mehr anderes Zeug ist als Racing, dann macht es auch wieder keinen Sinn.

Räikkönen wünscht sich ein härteres Durchgreifen, Foto: LAT Images
Räikkönen wünscht sich ein härteres Durchgreifen, Foto: LAT Images

Macht es denn noch genauso viel Spaß wie immer? Vor Kurzem hast du dich über die noch recht neuen Regeln mit der schwarz-weißen Flagge als Verwarnung und generell über Regeln für Zweikämpfe geäußert. Da meintest du, früher hättet ihr solche Regeln gar nicht erst gebraucht. War das Racing damals besser? Fairer?

Ich weiß nicht, was da das richtige Wort ist. Vielleicht hatten die Leute da mehr Respekt. Klar, es gab auch Unfälle und es sind ähnliche Dinge passiert wie jetzt. Aber vielleicht wurden die Leute nicht so viel abgedrängt oder haben dumme Sachen auf den Geraden gemacht. Deshalb ergänzt du dann das Reglement und jetzt hast du Regeln, die für mich einfach viel zu viel sind. Du könntest viele Regeln einfach streichen, aber härter mit den Strafen sein. Dann würden die Leute schon aufhören. Aber jetzt bekommst du Warnungen und dies oder das. Aber wir wissen alle, dass wir bis zu einem bestimmten Punkt damit davonkommen. Mit einer Ermahnung. Aber eine Ermahnung spielt für uns keine Rolle. Wen juckt's? [lacht] Wenn wir strikter wären und wirklich echte Strafen geben würden, dann würden die Leute sofort aufhören. Dann wüssten sie genau, dass sie nicht mit einer Ermahnung davonkommen werden. Jetzt haben wir aber so viele Regeln, dass sie sich fast schon gegenseitig überschreiben und es am Ende ein großes Durcheinander anrichtet. Ich weiß, warum es all diese Regeln gibt. Weil über die Jahre viele Dinge passiert sind. Aber ich denke, dass es oft viel einfacher sein könnte. Wir müssten nur etwas strenger mit den Strafen sein, dann bin ich sicher, dass alle mit diesen Sachen aufhören, weil wir wissen, dass es bestraft werden kann und nicht nur kommt: 'Bitte lass das!'. Ermahnungen funktionieren in diesem Sport nicht, das ist mal klar.

Das stimmt wohl!

Das hat ja schon im Go-Kart nicht funktioniert! Als wir Kinder waren hast du die Flagge für die Verwarnung bekommen und dann erst die schwarze Flagge. Aber wen interessiert die Ermahnung? Die kostet dich gar nichts.

Romain Grosjean [2012/13 Teamkollege Räikkönens bei Lotus] hat in einem Rückblick auf seine Karriere neben Lewis [Hamilton], Daniel [Ricciardo] und Sebastian [Vettel] auch dich als einen der Fahrer genannt, auf die er sich in einem Rad-an-Rad-Duell immer verlassen konnte. Auf wen kannst du dich verlassen?

Puh, ich weiß nicht. Ich bin gegen so viele Leute gefahren und wir alle machen entweder mal Fehler oder berühren mal jemanden. Über die Jahre passieren da mal ein paar Schnitzer. Das passiert eben in diesem Sport. Ich denke, dass du bei den Leuten, gegen die du schon länger gefahren bist, besser weißt, was sie tun werden und was nicht. Die jüngeren Fahrer können auf vielfache Weise schonmal hektischer sein, bis sie ruhiger werden. Das siehst du immer über die Jahre. Dann finden sie heraus, wie es läuft. Aber klar gibt es ein paar Leute, die ein besseres Bewusstsein dafür haben, wo sich die anderen Autos befinden. Ich versuche hart zu fahren, aber auf eine Weise, die ich für fair halte. Manchmal musst du einfach aufgeben, wenn der andere die Position hat. Sonst crashst du. Ich bin auch schon in andere Leute gecrasht, weil es mein Fehler war. Das passiert einfach, wenn du eng gegeneinander fährst. Es gibt sicherlich viele Leute, die du besser kennst und bei denen du weißt, dass sie nichts Verrücktes machen werden. Aber dann gibt es auch ein paar, mit denen du in der Formel 1 zwar viele Jahre gefahren bist, aber aus welchem Grund auch immer nie wirklich unter Rennbedingungen gegen sie gefahren bist. Dann weißt du es nicht so gut. Ich würde aber keine Namen nennen - in keine Richtung. Ich bin sicher, dass auch ich leichtsinniger war als ich angefangen habe und mehr verrückte Sachen gemacht habe als jetzt. Aber daraus lernst du, das gehört dazu.

Ein Fahrer, den du nach jetzt mehr als zwei Jahren als sein Teamkollege gut einschätzen dürftest, ist Antonio [Giovinazzi]. Er hat oft angemerkt, wie viel er von dir lernen kann. Nun macht sich das immer mehr bemerkbar. Im vergangenen Jahr war er im Qualifying-Duell sogar schon knapp vorne [9:8], im Rennen hattest du noch klar die Oberhand. Jetzt scheint er auch dort auf Pace zu kommen und dich zu fordern. Hast du Antonio vielleicht etwas zu viel beigebracht?

Ach [lacht], ist okay. Ich bin dieses Jahr sicherlich keine sehr guten Qualifyings gefahren und muss das verbessern. Aber so ist es eben. Manche Tage sind besser als andere. Er ist immer schnell gewesen. Wir sind recht eng zusammen, dann kommt es im Qualifying einfach darauf an, ob du eine gute Runde zusammenbekommst oder nicht. Und ich habe dieses Jahr nicht so viele guten Runden hingelegt. In den Rennen war es nicht so schlecht, aber je weiter vorne du startest, desto größer sind eben deine Chancen. Das hängt aber auch von der Strecke ab. In Monaco ist es natürlich schwierig zu überholen. Wo auch immer du nach der ersten Runde bist, fährst du das Rennen dann auch so ziemlich so zu Ende. Aber auf Strecken wie Baku kannst du immer noch überholen. Er verbessert sich auf jeden Fall die ganze Zeit, aber das sollte man auch erwarten.

Räikkönen gehört zur alten Garde der Formel 1, Foto: LAT Images
Räikkönen gehört zur alten Garde der Formel 1, Foto: LAT Images

Abseits der Strecke scheint ihr auch gut miteinander auszukommen. Wenn man sich nur die kurzen Video-Clips von Alfa Romeo mit euch beiden ansieht oder eure Runde auf der Nordschleife im vergangenen Jahr ... Stimmt da die Chemie ähnlich gut wie mit Seb [Sebastian Vettel] bei Ferrari?

Hmm. Über die Jahre habe ich mit vielen Leuten nicht wirklich viel Zeit außerhalb des Rennsports verbracht. Also persönliche Zeit eigentlich fast mit niemandem. Denn du lebst in anderen Ländern und so weiter. Aber mit Seb war es vielleicht das meiste, denn wir wohnten sehr nah beieinander - nur etwas mehr als eine Stunde weit weg. Aber mit Antonio komme ich auch gut klar, mit Seb auch. In der Vergangenheit hatte ich auch viel Spaß mit meinen Teamkollegen. Ich hatte nie eine wirklich schlechte Beziehung, würde ich sagen.

Du hast Seb in der Schweiz also auch privat getroffen?

Ja, als wir sehr nah beieinander gewohnt haben. Aber das war, weil es so nah war. Da sind wir oft zusammen geflogen, auch heute fliegen wir noch manchmal zusammen, denn wir fliegen vom selben Ort ab und kommen am gleichen Flughafen zurück. Aber so läuft das einfach. Alle sind busy, haben unterschiedliche Zeitpläne und so.

Dass im Team eine gute Harmonie herrscht und Teamkollegen nicht sogar gegeneinander arbeiten, ist die eine wichtige Seite. Bei Alfa Romeo hören wir von Fred (Frédéric Vasseur, Teamchef) aber auch immer wieder viel davon, wie wichtig deine Erfahrung ist, um das Team nach vorne zu bringen. Welchen Unterschied machst du da genau? Gerade in heutigen Zeiten, in denen in der Formel 1 längst alles von Daten getrieben ist, es immer mehr Sensoren und all das gibt, welchen Input genau kannst du als erfahrener Pilot da beisteuern, was die Daten nicht können?

Das spielt keine Rolle, denke ich. Jeder Fahrer bei uns im Team sagt, was wir fühlen, was richtig ist und was nicht. In den Daten kannst du so viel sehen, wie du willst, aber die Daten fahren nicht das Auto. Am Ende sind es wir, die das Auto fahren. Was wir fühlen, wirst du aus den Daten nie erfahren. Klar, gucken wir uns in den Daten gewissen Dinge an. Aber es ist egal, ob es den Daten gefällt, wenn es dem Fahrer nicht passt. Das muss dann korrigiert werden. Deshalb ist die Fahrermeinung für jedes Team wichtig. So gehen die Dinge dann auch nach vorne. Hoffentlich!

Fred hat uns erzählt, dass du jetzt auch im neuen Simulator in Hinwil sitzt. Da waren wir ein bisschen überrascht. Du giltst ja nicht gerade als der größte Freund von Simulatoren. Fred musste uns auch erst überzeugen und hat sich amüsiert. Stimmt die Story denn? Arbeitest du im Sim?

Habe ich immer! Auch über die Jahre bei Ferrari und bei anderen Teams habe ich es gemacht. Aber ein großer Fan davon bin ich nicht, ja. Gerade wenn du für sowas in ein anderes Land fliegen musst. Da würde ich lieber einen Test fahren, aber das ist ja heute nicht mehr möglich. Ich bin natürlich kein großer Fan davon. Ich habe nicht mitgezählt, wie oft ich das jetzt gemacht habe. Wir sind mit dem Simulator auch noch ganz am Anfang. Aber es schmerzt mich jetzt sehr viel weniger, weil ich einfach eine halbe Stunde oder 40 Minuten von Zuhause hinfahren kann und dann am Nachmittag zurück bin. Das ist das kleinere Übel, als dafür gleich in ein anderes Land zu fliegen. Das läuft jetzt einfacher. Aber ich bin noch immer kein großer Fan davon, in einer dunklen Kammer zu sitzen, um da im Grunde einfach nur ihr Spiel zu fahren [lacht]. Aber ich weiß, wie es funktioniert. So schlimm ist's nicht.

Räikkönen verlässt die Formel 1 als Rekordstarter, Foto: LAT Images
Räikkönen verlässt die Formel 1 als Rekordstarter, Foto: LAT Images

Du sollst dort auch schon helfen, am völlig neuen Auto für die neuen Regeln ab 2022 zu arbeiten. Ist das nur dein Job oder machst du das auch, weil du vielleicht im Hinterkopf hast, dass das vielleicht wieder dein Auto werden könnte?

Ich habe noch keine Entscheidung getroffen. Ich hatte jetzt für viele Jahre immer nur Einjahresverträge und bin nicht in Eile, etwas zu entscheiden. Ich weiß ehrlich gesagt nicht so viel über diese Autos. Die Regeln wurden ja schon vor einer ganzen Weile finalisiert und die Teams haben sich das schon vor langer Zeit angesehen, weil diese Autos ja eigentlich schon dieses Jahr gefahren werden sollten. Dann wurde alles verschoben. Wie immer bei neuen Autos gibt es viel Gerede und es werden auch sicher ganz andere Autos sein als jetzt. Sobald wir etwas mehr Zeit haben, gehen wir da etwas mehr ins Detail - gerade konzentrieren wir uns noch auf dieses Jahr.

Also ist es erstmal nur deine Arbeit für das Team. Aber wäre es denn spannend für dich, die neuen Autos aus erster Hand zu erleben?

Wie die Autos sein werden? Egal, ob ich nächstes Jahr fahre oder nicht, nimmt es mir nichts weg, wenn ich helfe [bei den Vorbereitungen]. Das ist unter dem Strich mein Job. Ich denke auch, dass es interessant wird. Hoffentlich machen die neuen Autos auch das, was sie sollen. Dass sie das Racing verbessern und es leichter machen, hinterherzufahren.

Ja, das hoffen alle!

Aber nach all den Jahren vertraue ich nicht mehr darauf, was auch immer die Leute sagen. Das Endergebnis siehst du erst beim ersten Rennen. Bei den Testfahrten bekommst du nur einen ersten Eindruck, ob es wirklich bei all den Problemen hilft, über die immer gesprochen wird. Die Leute können sagen, was sie wollen. In den News heißt es immer, dass es ganz anders wird. Aber wenn du über die Jahre zurückschaust, dir das Endergebnis ansiehst und das, was die Leute vorhergesagt haben, dann wären sie überrascht, wie daneben sie lagen! [lacht] Aber wir wollen alle, dass es funktioniert. Denn es würde den Sport viel besser machen.

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