Der Artikel wurde in der 79. Ausgabe des Printmagazins von Motorsport-Magazin.com am 01. Juli 2021 veröffentlicht.

Als 23-Jähriger kämpft Max Verstappen gegen Lewis Hamilton, den erfolgreichsten Formel-1-Fahrer der Geschichte, um den Weltmeistertitel. Für mehr als Einzelerfolge hat es für Verstappen in seiner bisherigen Karriere nicht gereicht, Red Bull konnte Mercedes in den letzten Jahren schlichtweg nicht das Wasser reichen. Obwohl 2021 eigentlich eine Übergangssaison werden sollte und von fast allen Seiten ein eingefrorenes Kräfteverhältnis erwartet wurde, ist in dieser Saison alles anders. Erstmals seit fast einem Jahrzehnt kämpfen wieder zwei Teams auf Augenhöhe um den WM-Titel. Mittendrin dieser 23-jährige Niederländer, der die Formel 1 schon so oft mit seiner Unbekümmertheit und seinem außerordentlichen Talent verzückt hat. Aber ist das genug für die größte Chance seines Lebens? Vor dieser Saison führte er im Automobilsport noch nie eine Meisterschaft an. Im Exklusiv-Interview mit dem Motorsport-Magazin lässt Verstappen keine Zweifel daran, dass es am Ende nicht an ihm liegen wird, sollte es doch nichts mit der Wachablöse werden...

MSM: Letztes Jahr hast du schon sehr früh erkannt, dass du nicht im Titelkampf bist. Man hat es dir angemerkt, wie sehr dich das geärgert hat. Dieses Jahr ist sportlich alles anders. Spürst du es irgendwie, dass du im Titelkampf bist?

Max Verstappen: Beim Fahren nicht. Ich bin da einfach nur froh, dass wir ein Auto haben, mit dem wir fast jedes Wochenende - vor allem gegen Mercedes - kämpfen können. Das motiviert viel mehr, wenn man jedes Wochenende ankommt und weiß, dass man ein gutes Auto hat.

Was ändert das für dich im Kopf?

Du weißt, dass du jedes einzelne Wochenende Punkte holen musst. Du musst natürlich so viele wie möglich holen, aber du kannst nicht die ganze Zeit alles Vollgas riskieren.

Bedeutet das Druck?

Nein. Tatsächlich ist dieses Jahr sogar entspannter für mich. Einfach weil ich weiß, dass ich ein gutes Auto habe. Am Ende des Tages kann ich dann zeigen, wozu ich fähig bin.

Viele Leute sagen, Red Bull ist es nicht mehr gewohnt, um Titel zu kämpfen - Mercedes schon. Fühlst du im Team mehr Druck oder Anspannung?

Ich glaube, wir sind bereit dazu, um den Titel zu kämpfen. Es ist mehr so, dass es Mercedes nicht gewohnt ist, einen Kampf um den Titel zu haben. Man kann es sehen.

Red Bull durfte 2021 endlich wieder regelmäßig jubeln, Foto: LAT Images
Red Bull durfte 2021 endlich wieder regelmäßig jubeln, Foto: LAT Images

Auch wenn du sagst, du verspürst nicht mehr Druck dieses Jahr: Wie reagierst du normalerweise auf Druck?

Das weiß ich nicht einmal selbst. Ich habe nie massiven Druck gespürt. Ich habe immer zu mir selbst gesagt: Das Einzige, was ich machen kann, ist mein Bestes geben. Mehr kannst du eh nicht machen. Wenn das genug ist, ist es genug, um zunächst einmal in die Formel 1 zu kommen. Zum Glück war es genug. Von da an hat es mich dorthin gebracht, wo ich heute bin. Die Leute sehen das alles zu ernst, wenn es darum geht, eine Karriere in der Formel 1 zu haben oder was auch immer. Wenn es nicht funktioniert, dann funktioniert es eben nicht. So einfach ist das. Du fasst aber immer irgendwo Fuß. Genau das ist der Grund, warum ich nicht viel Druck verspüre.

Nur an der Universität fasst du nicht mehr Fuß...

[lacht] Wahrscheinlich nicht! [Zuvor hatte ein Fan Verstappen die Frage gestellt, was er machen würde, wenn eine Vorlesung an der Universität mit einem Rennen kollidieren würde. Verstappens Antwort: "Dafür müsste die Vorlesung nicht einmal mit einem Rennen kollidieren! Könnt Ihr euch mich an einer Uni vorstellen? Ich nicht!"]

Manche Leute brechen unter Druck, manche wachsen daran. Du weißt also noch gar nicht, was bei dir passiert?

Lass es mich so sagen: Ich hatte schon stressige oder aufreibende Momente, aber ich würde es nicht als Druck bezeichnen.

Und wie bist du damit umgegangen?

Natürlich. Es gibt nichts, was man da erklären könnte. Es passiert einfach. Manche Leute brauchen andere Leute um sich herum, um mit Druck oder Stress fertigzuwerden. Die Formel 1 ist ein Stück Kuchen von dem, was ich in meinem ganzen Leben erfahren habe. Es ist alles gut. Ich würde sagen, die Formel 1 ist bei der Belastungsstufe nicht so hoch.

Kommt der Stress eher von dir oder von deinem Umfeld?

Das ist unterschiedlich. Manchmal von dir selbst, manchmal von anderen. Ich glaube, es geht darum, abseits der Formel 1 ein gutes Leben zu haben. An einem angenehmen Ort zu sein, nette Leute um dich herum zu haben, das hilft sehr.

Wir waren uns 2018 etwas uneins darüber, ob du zu Beginn der Saison in einer Krise warst oder nicht. Vielleicht kannst du dich daran erinnern. Hast du damals keinen Druck von Dr. Helmut Marko verspürt?

Nein, denn ich wusste, was ich tun muss. Es ist zu der Zeit einfach nicht passiert. Ich wusste aber, dass es zurück kommt und es kam ganz klar. Das waren nur unglückliche Momente und natürlich lernst du auch aus deinen Fehlern. Du weißt, was du da in Zukunft besser machen musst.

Du hast gesagt, dass du nun Punkte holen musst. Hast du deine Herangehensweise etwas geändert? Wiegst du das Risiko anders ab?

Ja. Wenn etwas nicht funktioniert, musst du noch immer Punkte holen. Du kannst nicht all in gehen. Das hat sich definitiv geändert. In den Jahren zuvor war es immer so: Wenn es eine Chance gab, zu gewinnen, dann hat man dafür alles riskiert. Es war besser, diesen einen Sieg zu haben, statt ständig Zweiter oder Dritter zu sein. Aber so kannst du nun natürlich nicht mehr denken, weil du jedes einzelne Wochenende Punkte holen musst.

Kannst du dich an Situationen erinnern, an denen du nun anders gehandelt hast? Wenn ich mir zum Beispiel Imola oder Barcelona ansehe, da sah es nicht danach aus, als wärst du besonders vorsichtig gewesen...

Es war alles kontrolliert. Am Ende des Tages brauchst du dafür auch zwei Leute, damit es funktioniert. Es war nicht nur von meiner Seite. Bislang war es aber ziemlich natürlich. Es ist alles natürlich passiert.

Lewis und du, ihr werdet nicht müde zu betonen, dass ihr viel Respekt füreinander habt. Aber hat sich eure Beziehung über die letzten Monate geändert?

Nein. Zumindest denke ich nicht von meiner Seite. Es ist das gleiche.

Und dann gibt es da noch immer diese Psychospielchen. Du und Lewis, ihr betont ständig, daran kein Interesse zu haben. Trotzdem kommt es uns so vor, als würde es diese Spielchen schon geben. Zum Beispiel wenn wir über die Turn-1-Geschichten von Imola und Barcelona sprechen: Du sagst, es gehören zwei dazu, Lewis sagt, er hätte die Unfälle verhindert. Sind das Psychospielchen oder interpretieren wir da zu viel hinein?

Ich glaube indirekt. Manchmal wird das fehlinterpretiert. Ich glaube aber nicht, dass Lewis da mitmachen will. Manchmal sagt man etwas, weil ein Journalist versucht, jemanden in eine Richtung zu pushen und eine Geschichte will. Ich glaube, Lewis will auch nur Rennen fahren und eine gute Zeit haben.

König von Monaco: Verstappen siegte im Fürstentum, Foto: LAT Images
König von Monaco: Verstappen siegte im Fürstentum, Foto: LAT Images

Hattest du jemals Psychospielchen in deiner Karriere?

Auch wenn, dann haben sie mich nicht beeinflusst. Ich weiß sowieso, was ich auf der Strecke machen muss. Was auch immer außerhalb der Strecke gesagt wird, wird meine Performance an einem Rennwochenende nicht beeinflussen.

Als zuletzt einige meinten, Lewis sei der komplettere Rennfahrer von euch beiden, hast du erwidert, er sei nur der erfahrenere, das seien aber unterschiedliche Dinge. Wie definierst du einen kompletten Rennfahrer?

Ein kompletter Rennfahrer ist sehr gut unter allen möglichen Umständen: Ob es nass ist, ob es trocken ist. Wenn es darum geht, im entscheidenden Moment zu kämpfen. Dass man nicht viel Zeit braucht, um auf Speed zu kommen. Immer da zu sein, mehr oder weniger jedes einzelne Wochenende. Das ist für mich ein kompletter Rennfahrer. Manche Fahrer erreichen vielleicht bei einem bestimmten Rennen einen etwas höheren Höhepunkt, aber das dafür nicht die ganze Saison. Ein kompletter Fahrer macht nicht viele Fehler und holt am Ende des Tages immer die Punkte. Das ist ein kompletter Fahrer.

Wenn man so mag, ist Erfahrung deine Schwachstelle im Kampf gegen Lewis. Wo würdest du sagen, liegt Lewis' Schwachstelle?

Ich glaube nicht, dass es irgendetwas mit Schwächen zu tun hat. Jeder Mensch hat irgendetwas, aber das ist nicht mein Problem. Ich weiß, dass ich gut genug bin, um gegen jeden zu kämpfen. Ich glaube auch nicht, dass es noch irgendetwas mit Erfahrung zu tun hat. Das ist mein siebtes Jahr in der Formel 1. Das ist mehr als genug, um den Titel zu kämpfen. Die Schwäche von Lewis? Ich weiß nicht. Ich muss keine Schwäche bei Lewis finden, weil ich weiß, dass ich es auch selbst schaffen kann.

Reif, reifer, Verstappen

Seit August 2014 gehört Max Verstappen der Red-Bull-Familie an. Nach der Aufnahme ins Nachwuchsprogramm erlebte er einen kometenhaften Aufstieg innerhalb der Königsklasse des Motorsports. Bereits Anfang Oktober 2014 saß er in Japan bei Toro Rosso das erste Mal an einem Rennwochenende am Steuer eines Formel-1-Boliden. Nur 163 Tage danach gab er beim Großen Preis von Australien 2015 sein Grand-Prix-Debüt als jüngster Starter in der Geschichte der Formel 1. In diesem Tempo ging es für Verstappen weiter: Acht Wochen und fünf Tage nach seinem ersten F1-Rennen krönte er sich in Spanien zum jüngsten GP-Sieger der Geschichte. In diesem Jahr übernahm er in Monaco zum ersten Mal die WM-Führung. Für seinen Förderer und Wegbegleiter Dr. Helmut Marko verspürt Verstappen durch den Titelkampf jedoch keinen gesteigerten Druck.

MSM: Sehen Sie bei Max Verstappen einen kleinen Nachteil, weil er noch nicht so viel WM-Erfahrung wie sein Titelrivale Lewis Hamilton besitzt?

DR. HELMUT MARKO: Naja, das ist nicht nur die WM-Erfahrung. Ich weiß nicht genau, wie viele Jahre er dem Max voraus ist. Von der Reifenbehandlung und Reifennutzung her ganz sicher. Da ist Hamilton vielleicht sogar der Beste.

Lagen die kleinen Fehler von Max zu Saisonbeginn am Druck des WM-Kampfs?

In Portimao war es wirklich eine Windböe. Das hat man an den Telemetriedaten gesehen. Das hohe Heck wurde ausgehoben und er hat korrigieren müssen.

Max Verstappen mit Mentor Dr. Helmut Marko, Foto: LAT Images
Max Verstappen mit Mentor Dr. Helmut Marko, Foto: LAT Images

Merkt man es ihm nicht an, dass die Anspannung durch den WM-Kampf etwas steigt?

Der Max ist so entspannt wie schon lange nicht mehr. Er war nur im Qualifying [in Portimao] nicht entspannt, weil er auf die Pole gefahren ist und sie ihm das wieder weggenommen haben. Das ist der reifste Max, den wir je hatten. In Imola hatte er ja [am Freitag] das Problem mit der Antriebswelle. Da hätte er früher geschimpft wie ein Rohrspatz. Also er ist deutlich reifer geworden.

Im WM-Kampf zu sein, ist nie blöd. Ein Entwicklungsduell mit Mercedes ist aber doch etwas schwierig in Bezug auf die Entscheidung, wann man endgültig auf 2021 umstellt, oder?

Also wir sind sicher nicht BMW, wo sie [2008] gesagt haben, dass es ihr Plan ist, erst im nächsten Jahr Weltmeister zu werden. Das Denken haben wir nicht. Wir haben bis zur Sommerpause geplant und dann werden wir schauen, wo wir stehen.

Das große Problem bei der richtigen Ressourcenaufteilung ist in diesem Jahr die Budgetobergrenze. Mercedes jammert, weil der Unfall von Valtteri Bottas und George Russell so teuer war. Haben Sie Unfallschäden einkalkuliert?

Wir haben ein gewisses Unfallbudget. Wie viele Chassis hat Mercedes im letzten Jahr überhaupt gebaut? Zurzeit haben sie vier und davon ist keines im Museum gelandet. Wenn so etwas noch häufiger passiert, dann wird das natürlich schon schwierig.

Wie kalkulieren Sie ihr Unfallbudget?

Man schaut sich die letzten Jahre an.

Ist die WM auch wichtig für Max Verstappen? In Bezug auf seinen Vertrag, der möglicherweise nicht so ganz wasserdicht ist?

Da ist unter anderem der Zak Brown Spezialist [lacht, McLaren-CEO Zak Brown befeuerte zu Saisonbeginn Gerüchte über einen Verstappen-Wechsel zu Mercedes, d.Red.]. Das spielt in der Vertragssituation keine Rolle, aber natürlich ist das wichtig. Der fährt schon relativ lange und ist immer mit unterlegenem Material gefahren. Jetzt ist es dank Honda besser geworden. Ferrari hatte ja auch ein Hoch, aber das hatte ja andere Gründe. In der Hybridära war der Mercedes-Motor sonst absolut dominant.

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