Das kontrovers diskutierte WM-Finale der Formel-1-Saison 2021 in Abu Dhabi erhitzt weiter die Gemüter. Nun äußerte sich mit dem ehemaligen Formel-1-Chef Bernie Ecclestone ein besonders prominenter Vertreter des Rennzirkus zur späten Entscheidung zugunsten Max Verstappens durch eine zumindest aus Sicht Mercedes' zu früh beendete Safety-Car-Phase. Aktuell hängt noch immer in der Schwebe, ob Mercedes gegen einen von den Stewards zunächst abgeschmetterten Protest erneut Einspruch erheben will.

Ecclestone rät dem Konstrukteursweltmeister von einem Protest ab. "Wenn ich Mercedes-Boss wäre, würde ich ihn zurückpfeifen. Mercedes ist die älteste Automarke der Welt mit unglaublicher Tradition. Sie bauen wahrscheinlich die besten Autos der Welt. Durch den Protest erhält der Stern aber immense Kratzer", sagte Ecclestone in einem Interview mit der Mediengruppe Münchner Merkur tz.

Wolff gratuliert Verstappen: Niederlage akzeptiert?

Laut eines Medienberichts der englischen Times soll Mercedes tatsächlich eher zu einem Rückzieher tendieren. Eindeutige oder gar offizielle Informationen dazu liegen bislang allerdings nicht vor. Von Mercedes-Seite gab es seit der Zielflagge nicht einmal von Teamchef Toto Wolff ein Statement, Lewis Hamilton äußerte sich einzig und allein mit einer ersten Reaktion im Parc fermé - und gratulierte dort auch Verstappen.

Inzwischen soll das auch Wolff nachgeholt haben. "Er hat mir geschrieben und zum Titel gratuliert. Und er hat geschrieben, dass ich ihn verdient habe", behauptete Verstappen bei einem Medientermin am Montag nach seinem zwar offiziellen, aber doch vorläufigem WM-Coup. "Das war natürlich sehr nett von ihm." Diese Aussage wird von manchen Medien als Indiz dafür gesehen, dass Mercedes Verstappen als Weltmeister akzeptieren will.

Bernie Ecclestone: Es geht nur noch um Einzelinteressen

Aus Imagegründen rät Ecclestone Mercedes also von weiteren Rechtsmitteln ab. Die Vorgänge am Ende des Rennens in Abu Dhabi störten den 91-Jährigen allerdings massiv. "Es ist ein Desaster für die Formel 1. Der Sport leidet darunter, dass es nicht mehr nur um den reinen Wettkampf geht, sondern nur noch um das Interesse von wenigen Einzelnen", polterte Ecclestone.

Dabei störte den Briten in erster Linie nicht einmal das Hin und Her der Rennleitung allein, hinter dem Safety Car zwischen Hamilton und Verstappen positionierte Überrundete sich entrunden zu lassen oder nicht, sondern vielmehr, wie sich die Kommandostände von Mercedes und Red Bull für alle hörbar einmischten.

Ecclestone kritisiert öffentlichen Teamfunk an die Rennleitung

"Es ist ein Witz, wie jeder hören kann, dass Teamchefs wie Toto Wolff während eines Rennens versuchen, Entscheidungen der Rennleitung zu beeinflussen. Und wie man bei Red Bull gleichzeitig sich genötigt sieht, sich gegen diese versuchte Einflussnahme zu verteidigen", kritisierte Ecclestone auch seine Nachfolger Liberty Media am Ruder der Formel 1. Auf die der Brite seit seinem unfreiwilligen Ausscheiden Anfang 2017 ohnehin nicht gut zu sprechen.

Erst seit dieser Saison wird der Funkverkehr zwischen Teams und Rennleitung in der TV-Übertragung ausgestrahlt. Das erweckte bereits in Saudi-Arabien einen seltsamen Eindruck, als Red Bulls Sportdirektor Jonathan Wheatley plötzlich mit Rennleiter Michael Masi den Startplatz Max Verstappens bei einem Restart diskutierte - zuvor hatte Verstappen Hamilton neben der Strecke überholt und sich einen Vorteil verschafft. Von einem Basar oder Kuhhandel war die Rede. Dabei gab es - zumindest nicht-öffentlichen - Kontakt zwischen Teams und Rennleitung schon immer.

Safety Car: Wolff & Horner schalteten sich direkt ein

In Abu Dhabi ging es mit für viele Zuschauende befremdlichen Äußerungen weiter. Erst bat Toto Wolff die Rennleitung darum, kein Safety Car auf die Strecke zu schicken, als Antonio Giovinazzi seinen defekten Alfa Romeo am Streckenrand parkte. Dann wunderte sich Red Bull in der Safety-Car-Phase via Funk doch recht fordernd, warum zunächst die Überrundeten denn nicht - wie sonst üblich - überholen durften. Man fürchtete eine Benachteiligung. "Wieder typisch, diese Entscheidung", spotte Verstappen mit. Kurz darauf kam es doch zur Anordnung der Rennleitung - unüblich aber nur für jene Fahrzeuge zwischen Hamilton und Verstappen. Auch das sorgte für den großen Ärger nach dem Rennen.

Für Ecclestone ist bei alldem vor allem der Sport der große Verlierer. "Der tolle Sport, den Max Verstappen und Lewis Hamilton da geboten haben, geht deswegen völlig unter. Es ist eine Schande", klagte der ehemalige Zampano der Königsklasse. Öffentliche Funk-Debatten zwischen Rennleitung und Teams hätte es unter seine Führung nie gegeben, so der Brite. "So weit wäre es nie gekommen", sagte Ecclestone. "In meiner Zeit hatte es auch Streitereien gegeben. Dann habe ich alle Herren zu mir ins Zimmer gebeten und die Sache in einem Gespräch geklärt."

Hamilton-Bruder: FIA hat ihre eigenen Regeln gebrochen

Großer Ärger kommt auch aus dem Hamilton-Lager. Zumindest Bruder Nicolas gab via Instagram inzwischen ein deutliches Statement ab. Als wahren Champion bezeichnete er darin seinen Bruder. "Die FIA hat ihre eigenen Regeln gebrochen, was eine Schande für unseren gesamten Sport ist", wetterte Nicolas Hamilton, selbst Rennfahrer. Verstappen kritisierte er nicht. Im Gegenteil. Hamilton verwies darauf, dass Vater Anthony Verstappen und dessen Vater Jos ja sogar gratuliert habe. Das habe bewiesen, dass "Die Hamiltons" auch in der Niederlage den Anstand wahren würden. "Auch wenn wir alle wissen, dass er [Lewis Hamilton] von dem Sport, dem er so viel gegeben hat, im Stich gelassen wurde."

Auch andere Fahrer kritisierten das Vorgehen am Rennende. Absolut inakzeptabel sei es gewesen, so George Russell. Lando Norris kritisierte, man habe eine gute Show für das TV über den Sport gestellt. Verstappen kritisierte niemand - auch nicht Ecclestone. Der Titel sei absolut verdient. "Er hat sich mit seinen jungen Jahren gegen Lewis Hamilton durchgesetzt, einen der besten Piloten aller Zeiten. Und das nicht nur auf der Strecke. Denn Hamiltons Team hat alle Register gezogen, auch medial, um Max zu verunsichern. Da kann man schon fast von Mobbing reden", analysierte der Brite. Zuvor hatte schon Red Bulls Teamchef Horner von der "Medien-Maschine Mercedes" gesprochen. Ein Vorwurf, den Mercedes so nicht nachvollziehen konnte.

Verstappen für Ecclestone verdienter Weltmeister

Ecclestone weiter: "Dazu kommt: Über das Jahr gesehen hatte Mercedes das schnellere Auto, deshalb gewannen sie auch relativ überlegen den Konstrukteurstitel. Das wertet den Fahrertitel von Max noch mal auf. Denn es zeigt, dass er als Fahrer den Unterschied machen konnte."

Zurück zum Thema einer möglichen Einflussnahme der Teams auf die Rennleitung via Boxenfunk. Die Formel 1 kann die nicht nur von Ecclestone geäußerte Kritik sogar nachvollziehen. "Es kann nicht angehen, dass die Teamchefs während des Rennens Michael [Masi] so unter Druck setzen. Toto Wolff kann nicht fordern, dass kein Safety Car kommen soll, und Christian Horner kann nicht verlangen, dass sich die Autos zurückrunden müssen. Das liegt im Ermessen des Rennleiters", zitiert 'auto, motor und sport' F1-Sportdirektor Ross Brawn. Folgen werde es geben. Brawn: "Wir werden diesen Kontakt im nächsten Jahr unterbinden."

Formel 1 reagiert: Kontakt von Kommandostand zur Rennleitung 2022 tabu

Interessant: Den alleinigen Kontakt zwischen Teams und Rennleitung hatte es in der Formel 1 schon immer gegeben. 2021 neu war lediglich die öffentliche Ausstrahlung. Doch Brawn geht es nun offenbar um den generellen Kontakt, um sowohl Drucksituationen, mögliche Einflussnahmen als auch Ablenkungen des Rennleiters vom sonstigen Renngeschehen zu unterbinden. "Das ist so, als würden die Trainer beim Fußball mit dem Schiedsrichter verhandeln", kommentiert der Brite die bisherige Handhabe.

Bei Red Bull sieht man das Problem hingegen tiefer bei der FIA verwurzelt. Nicht zuletzt Rennleiter Michael Masi, aber auch manche Stewards stehen in der Kritik. "Nachdem so viele Fehler und hinterfragungswürdige Entscheidungen gefällt werden, besteht sicher großer Handlungsbedarf", sagt Motorsportchef Helmut Marko - und setzt auf die Ende der Woche stattfindende Wahl eines Nachfolgers für FIA-Präsident Jean Todt: "Jetzt kommt ja ein neuer Präsident, der müsste als erstes hier ansetzen und die Stewards sind auf alle Fälle zu hinterfragen."