Besser geht es nicht: Max Verstappen und Lewis Hamilton gehen nicht nur punktgleich in das Saisonfinale in Abu Dhabi, die beiden Titelkontrahenten starten auch noch nebeneinander aus der ersten Startreihe. Die Reihenfolge und vor allem der Abstand kamen allerdings überraschend: Fast vier Zehntelsekunden brummte Verstappen Hamilton auf - und brach dabei noch seine letzte Runde ab.

Es ist die beste nur denkbare Ausgangssituation für die Formel 1. Wer vor dem anderen ins Ziel kommt, ist Weltmeister. In diesem Fall ist der Favoriten-Check zugleich der WM-Check: Wer den Abu Dhabi GP gewinnt, ist Formel-1-Weltmeister 2021. Dabei startet das zuletzt schnellere Rennauto auf den womöglich besseren Reifen. Eine bessere Geschichte hätte selbst Hollywood nicht schreiben können.

Die Verstappen-Pole kam insofern überraschend, weil Mercedes zuvor auf eine Runde den besseren Eindruck gemacht hatte. Im 2. Freien Training dominierten die Silberpfeile die Zeitenliste, im 3. Freien Training brachte nur ein Fehler von Hamilton Verstappen einigermaßen heran - aber noch lange nicht vorbei.

Im Vergleich zum Freitagstraining legte Honda beim Motormodus wohl etwas mehr zu als Mercedes. Die Silberpfeile drehten zuletzt schon im 2. Training den V6 etwas höher. Das ist aber längst nicht das ganze Geheimnis. "Wir haben gesagt, er soll noch eine Dschidda-Runde raushauen", verriet Red Bulls Dr. Helmut Marko später. Natürlich ohne den abschließenden Mauerkuss, den es in Saudi Arabien vor einer Woche noch gab.

Perez zieht Verstappen im Windschatten

Verstappen legte zwei Dschidda-Runden hin. Auf der ersten bekam er noch ordentlich Hilfe von Sergio Perez. Der Mexikaner zog seinen Teamkollegen auf den beiden langen Geraden im Windschatten hinter sich her, ehe er vor dem Bremspunkt nach links abbog. Drei Zehntel soll das gebracht haben.

Aber auch im zweiten Versuch verlor Verstappen ohne Windschatte nicht übermäßig im Mittelsektor. Hätte er seine Runde nicht abgebrochen, hätte er seine eigene Pole-Zeit noch einmal unterbieten können.

"Unser Wochenende war bis dahin ein bisschen ungleichmäßig, was die Balance anging. Aber für die Qualifikation haben wir die richtigen Entscheidungen getroffen", freute sich Verstappen. Seit Samstagmittag fuhr er mit einem kleineren Heckflügel, ließ den aber sogar noch während des 3. Trainings aufgrund von Problemen wechseln.

Das Qualifying startete um 17:00 Uhr Ortszeit. Während der Session ging die Sonne unter, die Temperaturen sanken leicht. Red Bull schienen die Temperaturen entgegenzukommen. "Wir waren bei den Reifen eher auf der kühlen Seite", ärgert sich Mercedes Motorsportchef Toto Wolff. In den langsamen Ecken hatte Hamilton sichtlich zu kämpfen. Im Q1 hatte Mercedes noch die Oberhand, im Q3 hatte sich das Bild gedreht.

Reifen-Nachteil für Verstappen und Red Bull?

Dabei konnte sich Mercedes im Q2 noch über einen Fehler von Verstappen freuen. Mit dem ersten Versuch auf Medium war der WM-Leader noch nicht ganz zufrieden. Auf seiner zweiten Runde verbremste er sich in Kurve eins so stark, dass seine Reifen komplett plattgebremst waren.

Während Mercedes noch zwei Sätze Mediums aufgespart hatte, war der Q2-Satz Verstappens einziger Medium-Satz. Mit Zustimmung der FIA hätte Red Bull zwar - sofern der Bremsplatten ein Sicherheitsrisiko dargestellt hätte - den Startreifen gegen einen komplett neuen tauschen dürfen, doch darauf wollte man sich im Bullen-Lager nicht verlassen.

Also fuhr Verstappen im Q2 Bestzeit auf Soft. Somit muss er im Rennen auf der weichsten Mischung starten. Hamilton hingegen startet auf Medium. Der Weltmeister witterte schon Absicht beim Verstappen-Verbremser, doch das würde relativ wenig Sinn machen. Er hätte sich so und so auf Soft qualifizieren können. So ist sein einziger Medium-Satz weg. Denn der kaputte Reifen darf nicht mehr ersetzt werden - diese Möglichkeit gibt es nur beim Startreifen.

Die große Frage lautet nun: Ist der Soft ein Nachteil? "Es war vor dem Qualifying eine 50:50-Entscheidung", verriet Red Bull Teamchef Christian Horner später. Bei den Bullen geht man von keinem besonders großen Nachteil aus.

Bei Mercedes hingegen sieht man sich strategisch klar im Vorteil. "Wir befinden uns mit unseren Reifen für morgen meiner Meinung nach in einer guten Position", meint Hamilton. Auch Wolff sieht den Reifen-Vorteil: "Damit haben wir am Start und auf den ersten sechs oder sieben Runden wahrscheinlich einen kleinen Nachteil, aber wir können länger draußen bleiben oder auf einen aggressiven Undercut setzen, um die Positionen auf der Strecke zu bestimmen."

Bottas: Opfere mein Rennen für Hamilton

Problematisch könnte es für Verstappen werden, wenn der Soft-Reifen eingeht. Ein früher Stopp könnte ihn hinter Valtteri Bottas zurückwerfen. Der startet wie Hamilton auf Medium und hat schon angekündigt, sein eigenes Rennen strategisch aufgeben zu wollen, um seinem Teamkollegen zu helfen.

Laut Pirelli ist der Soft in der Theorie kein Nachteil. Tatsächlich ist es sogar die schnellste Strategie, von Soft auf Hard zu wechseln. Die Rechnung geht aber nur ohne Verkehr auf. Was Verstappen helfen könnte: Er fährt vorne und nimmt die Reifen in verwirbelter Luft nicht so hart ran.

Am Start sollte Verstappen auf jeden Fall vom Extra-Grip profitieren. Und da könnte es auch gefährlich für Hamilton werden. Denn auf Platz drei startet Norris mit Soft. Der McLaren-Pilot ist als guter Starter bekannt. Aber der Brite hat Respekt davor, in den WM-Kampf einzugreifen. Komplett zurückziehen will er aber nicht.

Auch Perez auf Platz vier könnte in der Startrunde auf den Soft-Reifen für Hamilton zur Gefahr werden. Verliert der Mercedes-Pilot am Start zunächst Positionen, könnte Verstappen eine Lücke aufmachen. Darauf spekuliert Red Bull.

Red Bull bei Freitags-Longruns sensationell

Red Bull hofft zudem auf die eigene Longrun-Stärke. Verstappen fuhr am Freitag einen sensationell schnellen Longrun auf Soft. Allerdings hatten die Mechaniker das Auto zwischen FP1 und FP2 auf Reifen-schonen umgebaut. Dabei ging die Pace auf eine Runde flöten.

Longruns auf Soft
Fahrer Reifen-Alter Stint-Länge Zeit
Verstappen 14 6 1:28,523
Ocon 22 14 1:29,919
Leclerc 21 10 1:29,934
Ricciardo 17 10 1:30,232
Tsunoda 20 12 1:30,341
Latifi 15 8 1:30,947
Longruns auf Medium
Fahrer Reifen-Alter Stint-Länge Zeit
Hamilton 19 10 1:29,113
Perez 20 8 1:29,147
Alonso 19 12 1:29,940
Norris 20 14 1:30,030
Vettel 20 10 1:30,411
Gasly 21 11 1:30,469
Stroll 17 10 1:30,552
Sainz 20 11 1:30,636
Giovinazzi 20 8 1:30,725
Russell 20 11 1:30,949
Bottas 21 13 1:31,229
Schumacher 17 8 1:31,904
Mazepin 17 9 1:32,551

Nach der sensationellen Pole-Zeit stell sich die Frage: Hat Red Bull die Longrun-Pace wieder für eine Runde geopfert? "Nein, im Gegenteil", meint Marko. Bei Mercedes ist man sich hingegen relativ sicher, dass Auto mehr auf Rennen abgestimmt zu haben.

Strategisch wird es möglicherweise nicht allzu viel Optionen geben. Mehr als einen Stopp wird es im Normalfall nicht geben. Außer das Safety Car spielt einen Streich. Dann könnte Red Bull in die Bredouille kommen. Denn die Bullen haben gar keinen Satz Medium mehr übrig.

Kann Hamilton überholen? Topspeed weg, Abu Dhabi schwierig

Auf der Strecke dürfte es für Mercedes hingegen schwierig werden. "Auf dieser Strecke ist es noch immer schwierig zu überholen", fürchtet Wolff. Die Umbaumaßnahmen haben den Yas Marina Circuit für die Fahrer schöner gemacht, aber wirkliche Überholmöglichkeiten gibt es noch immer nicht.

Beim Topspeed schaut Mercedes diesmal sogar in die Röhre. Red Bull setzt auf den kleinen Flügel. Auch ohne Windschatten war Verstappen auf der Geraden schneller. Dazu kann der Wundermotor im Heck von Lewis Hamilton am dritten Rennwochenende offenbar keine Wunder mehr vollbringen. "Wir haben definitiv nicht mehr den Vorteil auf den Geraden wie in Dschidda oder Katar", meint Wolff.

Zweckpessimist Wolff wird aber vom Optimismus seines Ingenieurs überstimmt. Andrew Shovlin gibt sich vor dem großen Finale zuversichtlich: "Wir hatten zuletzt eine gute Rennpace, gepaart mit der Fähigkeit, Plätze gutzumachen und auf der Strecke zu überholen. In Brasilien standen wir vor einer viel größeren Herausforderung und dort haben wir gezeigt, wozu wir im Stande sind."