Nun ist es offiziell: Max Verstappen muss für die Berührung von Lewis Hamiltons keine sportliche Strafe mehr fürchten, wird dafür aber um 50.000 Euro erleichtert. Nach dem Qualifying zum Sprint-Rennen in Brasilien hatte Verstappen im Parc ferme erst Checks am eigenen Auto durchgeführt und schließlich auch den Mercedes von Hamilton berührt.

Besondere Aufmerksamkeit erfuhr die Szene, weil Verstappen die Heckflügel genauer in Augenschein nahm. Ausgerechnet dort fanden die FIA-Kontrolleure später Ungereimtheiten am Auto von Lewis Hamilton. Der wäre eigentlich von der Pole ins Sprint-Qualifying gestartet, doch nachdem sein DRS-System FIA-Messungen nicht bestand, wurde er nachträglich ausgeschlossen und muss den Sprint jetzt vom letzten Platz aufnehmen.

Die Situation nahm unmittelbar nach dem Qualifying am Freitagnachmittag ihren Lauf, wurde aber erst am Samstagvormittag verhandelt. Die Urteile fällten die Stewards in der Mittagspause. Während Hamilton der Disqualifikation trotz umfangreicher Verteidigung seines Teams nicht entkommen konnte, kam Verstappen mit der Geldstrafe davon und erbte die Sprint-Pole. Er hatte auf den DRS-Verstoß keinen Einfluss.

Videos zeigen: Verstappen berührt Mercedes

Auf Amateuraufnahmen konnte erst nicht eindeutig belegt werden, dass Verstappen Hamiltons Auto tatsächlich auch berührte und falls ja, wo genau. Deshalb forderten die Stewards Onboard-Videomaterial mehrerer Fahrzeuge an. Teilweise werden die Bilder nicht live übermittelt, sondern lokal auf Datenträgern im Fahrzeug gespeichert. Aufzeichnungen der Onboard-Kameras von Fernando Alonso, Max Verstappen, Lewis Hamilton und Valtteri Bottas gaben Aufschluss darüber, was genau Verstappen machte.

"Nachdem Verstappen ausstieg, zog er die Handschuhe aus und legte seine rechte Hand auf den Spalt des Heckflügels seines eigenen Autos", schreiben die Stewards. "Dann geht er zu Auto 44 [Hamilton] und wiederholt den Vorgang. Dabei berührt er den Heckflügel an zwei Stellen: Einmal auf beiden Seiten neben dem DRS-Aktuator."

Verstappen-Berührung nicht stark genug

Wichtig dabei: "Er berührte die Unterseite von hinten am Schlitz und war nie in der Nähe des Aktuators oder der Halterungen an den Endplatten. Hochauflösendes Videomaterial von der Heckkamera von Auto 44 [Hamilton] zeigt, dass es absolut keine Bewegung irgendeines Flügelelements durch die Berührung Verstappens gibt."

Max Verstappen nahm den Mercedes-Flügel nicht nur in Augenschein, Foto: LAT Images
Max Verstappen nahm den Mercedes-Flügel nicht nur in Augenschein, Foto: LAT Images

Deshalb kamen die Stewards zu dem Schluss, dass Verstappen den Flügel zwar berührte, dabei aber kein Kraft aufwand. Zwischen den Zeilen soll das heißen: Verstappens Berührung war nicht maßgeblich für das Ergebnis der späteren Untersuchung. Verstappens Handlung ist somit nicht der Grund dafür, dass sich Hamiltons Heckflügel beim Test zu weit öffnete.

Mercedes besteht Test mehrmals nicht

Im Hamilton-Fall ging es konkret darum, wie weit sich der Heckflügel bei aktiviertem DRS öffnet. Artikel 3.6.3 des Technischen Reglements definiert die Heckflügelprofile näher. Dabei ist auch exakt festgeschrieben, wie weit sich die beiden Flügelprofile voneinander entfernen dürfen. Sowohl im geschlossenen, als auch im offenen Zustand mit aktiviertem DRS.

Im geschlossenen Zustand muss der Abstand zwischen den beiden Profilen zwischen 10 und 15 Millimeter betragen. Dieser Wert wurde bei der technischen Kontrolle bestätigt. Im geöffneten Zustand allerdings wurde der Maximalwert von 85 Millimeter überschritten.

Lewis Hamilton verliert die Pole beim Sprint-Qualifying, Foto: LAT Images
Lewis Hamilton verliert die Pole beim Sprint-Qualifying, Foto: LAT Images

Die FIA hat dafür 2019 ein eigenes Messverfahren entwickelt. Die Technische Direktive 011-19 regelt es. Dafür muss der Motor des Autos gestartet werden, damit die Hydraulik funktioniert, um den oberen Flap aufklappen zu lassen.

Dann versuchen die Kontrolleure eine kreisförmige Messlehre von 85 Millimeter Durchmesser mit der Kraft von 10 Newton durch die beiden Flügelelemente zu drücken. Rutscht der Messkörper durch, ist der Test nicht bestanden.

Innen bestand der Mercedes-Flügel den Test, außen allerdings nicht. Viermal wiederholte die FIA den Test und nutzte dabei auch zwei verschiedene Messschablonen. Das Ergebnis blieb jedes Mal dasselbe: Test nicht bestanden.

Mercedes zweifelt Testmethode an

Die Verstappen-Berührung war aber nicht Mercedes' einzige Verteidigung. Die Mercedes-Ingenieure argumentierten damit, dass dieser Test nicht notwendig sei, um die Dimensionen zu überprüfen. Ohne Kraftaufwendung befindet sich der Flügel innerhalb der erlaubten Maße. Die Stewards beriefen sich aber die angesprochene Technische Direktive, die 2019 explizit zur Überprüfung der Regel mit einer Kraft von 10 Newton (rund ein Kilogramm) geschrieben wurde.

Auch die Stewards sind überzeugt davon, dass es sich beim Verstoß nicht um Absicht handelt. Vielmehr liegt es wohl an Spiel im DRS-Mechanismus, den Halterungen an den Endplatten, einer Mischung aus beiden oder an einem fehlerhaften Zusammenbau. Schon mehrfach in dieser Saison wurde der Test am Mercedes durchgeführt, auch mit genau dieser Flügel-Spezifikation.

Stewards überzeugt: Mercedes-Verstoß keine Absicht

Auch die Tatsache, dass der Flügel die Maße nur außen nicht erfüllt, sehen die Kommissare als Beleg dafür an, dass es sich nicht um Absicht handelte. Absicht oder nicht: Den Schiedsrichtern bleibt bei technischen Vergehen kein Spielraum.

Mercedes führte außerdem noch an, dass man einen solch minimalen Fehler im Betrieb auch unter Parc-ferme-Regeln mit der Zustimmung des Technischen Delegierten Jo Bauer hätte reparieren dürfen. Das sei schließlich gängige Praxis. Es hätte sich schließlich nur um eine stärkere Befestigung oder Anziehen der Schrauben gehandelt.

Auch diesem Argument konnten die Stewards folgen, weil nachträgliche Korrekturen nach Unfallschäden durchaus üblich sind. Allerdings gab es keinen offensichtlichen Grund wie einen Unfall. Zudem wurde der Regelbruch erst nachträglich bemerkt und nicht während der Session.

Verstappen-Vergehen in Zukunft härter bestraft

Strafmildernd für Verstappen führten die Kommissare an, dass es inzwischen fast zur Gewohnheit wurde, dass Fahrer die Autos im Parc ferme berühren. "Das war auch die Erklärung von Verstappen, dass es eine Angewohnheit sei, Bereiche des Autos anzufassen, die in vorherigen Rennen Anlass zur Spekulation waren", heißt es im Urteil.

Weil in diesem Fall kein Schaden durch Verstappens Handlung entstand, beließen es die Stewards bei einer Geldstrafe. Präzedenzfälle dieser Art gibt es in der Formel 1 nicht. Wichtig für die Richter: In Zukunft können derartige Vergehen auch härter bestraft werden. Damit hat es sich wohl ausgefummelt im Parc ferme.