Um 18:45 Uhr Ortszeit in Sao Paulo wurde das Formel-1-Fahrerlager nervös. Dabei war das Qualifying bereits seit fast zwei Stunden Geschichte. Jo Bauer, der Technische Delegierte der FIA, meldete in seinem Bericht Ungereimtheiten. Ausgerechnet am Auto mit der Nummer 44, dem Trainingsschnellsten Lewis Hamilton.

Um 19:15 Uhr sprachen Mercedes Teammanager Ron Meadows und Ingenieur Simon Cole 50 Minuten lang bei den Stewards vor. Der Vorwurf: Das DRS am Hamilton-Boliden würde sich zu weit öffnen.

Artikel 3.6.3 des Technischen Reglements definiert die Heckflügelprofile näher. Dabei ist auch exakt festgeschrieben, wie weit sich die beiden Flügelprofile voneinander entfernen dürfen. Sowohl im geschlossenen, als auch im offenen Zustand mit aktiviertem DRS.

Im geschlossenen Zustand muss der Abstand zwischen den beiden Profilen zwischen 10 und 15 Millimeter betragen. Dieser Wert wurde bei der technischen Kontrolle bestätigt. Im geöffneten Zustand allerdings wurde der Maximalwert von 85 Millimeter überschritten.

Hamiltons Mercedes besteht FIA-Test nicht

Die FIA hat dafür 2019 ein eigenes Messverfahren entwickelt. Die Technische Direktive 011-19 regelt, auf welche Art die Kontrolleure messen. Dafür muss der Motor des Autos gestartet werden, damit die Hydraulik funktioniert, um den oberen Flap aufklappen zu lassen.

Dann versuchen die Kontrolleure eine kreisförmige Messlehre von 85 Millimeter Durchmesser mit der Kraft von 10 Newton durch die beiden Flügelelemente zu drücken. Rutscht der Messkörper durch, ist der Test nicht bestanden. Amateuraufnahmen zeigen, wie die Schablone ohne Kraftaufwendung durch den Schlitz schlüpft.

Nun wird der Fall allerdings völlig kurios. Red Bull schwärzte Mercedes vor der Untersuchung bei der FIA an - aber aus einem anderen Grund: Man wollte endlich herausgefunden haben, warum Mercedes auf den Geraden nun überlegen ist. Und zwar sollte sich der Heckflügel unter Last verformen. Bei einer Verformung des Flügels und einer zu großen DRS-Öffnung handelt es sich aber um zwei komplett verschiedene Sachen.

Was macht Verstappen am Hamilton-Mercedes?

Die FIA war gewarnt - und auch Max Verstappen wusste offenbar von den Anschuldigungen. Direkt nach dem Qualifying untersuchte der Niederländer im Parc ferme erst seinen Heckflügel und schließlich auch jenen am Auto von Lewis Hamilton. Verhängnisvoll: Ein Video zeigt, wie Verstappen dabei die Autos berührt. Ein Bruch des Parc fermes. Artikel 2.5.1 des International Sporting Codes besagt, dass die Autos im Parc ferme nicht gecheckt werden dürfen, wenn das zuvor nicht von offizieller Seite explizit erlaubt wurde.

Deshalb ist der Fall besonders kompliziert. Ein technisches Vergehen wäre relativ schnell abgehandelt. Verstappens Eingreifen erschwert die Sache aber erheblich, auch wenn es äußerst unwahrscheinlich ist, dass seine Handlungen irgendetwas mit der schlussendlichen Messung zu tun haben. Der Niederländer steht dadurch jedenfalls nun selbst am Pranger.

Vorsätzlich dürfte Mercedes beim DRS nicht getrickst haben. Am Auto von Valtteri Bottas konnten keine Unregelmäßigkeiten festgestellt werden. Schon in der Vergangenheit ließ Jo Bauer diverse Autos auf diese Regel überprüfen - auch den Mercedes von Hamilton. Nie war es zu Ungereimtheiten gekommen.

Stewards vertagen Urteil auf Samstag

Um 21:54 Uhr Ortszeit entschieden die vier Kommissare, den Heckflügel unter der Aufsicht des Technischen Delegierten abbauen und beschlagnahmen zu lassen. Weil die Stewards noch auf weitere Beweise warten, wird der Fall erst am Samstagmorgen weiter verhandelt. Um 09:30 Uhr Ortszeit (13:30 MEZ) muss Verstappen zu den Kommissaren.

Wenn die Stewards entscheiden, dass Hamiltons Bolide nicht Reglement-konform war, wird der Brite disqualifiziert und muss das Sprint-Rennen am Samstagnachmittag aus der Boxengasse aufnehmen. Die Strafe von fünf Startplätzen für den Motorwechsel wird schließlich auf das Ergebnis des Sprint-Qualifyings für die Startaufstellung des Grand Prix am Sonntag gerechnet.

Beim Strafmaß für Verstappen gibt es größeren Spielraum. 2013 verlor Mattias Ekström seinen DTM-Sieg auf dem Norisring, weil ihm im Parc ferme Wasser in den Overall geschüttet wurde. Sebastian Vettel ist bekannt dafür, sich im Parc ferme auch andere Autos genauer anzuschauen. Auch er berührte dabei schon Boliden. Weil diese Fälle aber nicht mit technischen Vergehen in Verbindung gebracht wurden, gab es nie Ärger.

Hamilton hatte sich für den Sprint am Samstagnachmittag auf Rang eins qualifiziert, Max Verstappen auf Startplatz zwei.