Jamie, du hast die Meisterschaft in der W Series in den Jahren 2019 und 2021 gewonnen, nachdem die erste Formel-Serie nur für Frauen wegen der Corona-Pandemie im Jahr 2020 pausiert hat. Welchen Titel erachtest du als wichtiger auch mit Blick auf deine Karriere?
Jamie Chadwick: Beide sind mir gleich wichtig. Die zweite Meisterschaft hat etwas süßer geschmeckt, weil ich mehr pushen und noch härter arbeiten musste. Der erste Titel spielte auch eine große Rolle, weil es der erste große Meilenstein meiner Karriere war und die Basis bildete für vieles, was danach folgte. Die Gründe für meine Rückkehr 2021 lagen auch an den Bedingungen. Wir sind im Rahmen der Formel 1 gefahren und es gab Superlizenz-Punkte.

2019 fuhr die W Series im Rahmen der DTM, 2021 zusammen mit der Formel 1. Was sind die größten Unterschiede, die du feststellen konntest?
Jamie Chadwick: Vor allem die Rennstrecken. Mit der Formel 1 sind wir mit auf den besten Strecken der Welt gefahren. Im Rahmen der DTM gab es auch tolle Strecken, aber auf Kurse wie den Norisring oder Assen werde ich wahrscheinlich nicht zurückkehren. Sicherlich gab es auch Unterschiede bei der Präsentation und dem gesteigerten Interesse, das die Formel 1 nun mal mit sich bringt.

In den bisherigen 14 Rennen der W Series bist du mit zwei Ausnahmen immer aufs Podium gefahren und hast dabei sieben Siege erzielt. Jetzt kannst du dein Erfolgsgeheimnis eigentlich verraten...
Jamie Chadwick: Haha, ich glaube nicht, dass es da ein Geheimnis gibt! Zu Beginn dieser Saison hatte ich etwas Pech, aber insgesamt lag der Fokus voll auf Konstanz. Wir haben versucht, in jedem Rennen so viele Punkte wie möglich und natürlich ein paar Siege mitzunehmen. Das war letztendlich der Schlüssel für die beiden Titel.

Foto: LAT Images
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In den Nachwuchsserien spielt das Reifen-Management oftmals eine sehr wichtige Rolle. Hankook ist seit dem Beginn der W Series als exklusiver Ausstatter tätig. Wie bist du mit den Hankook-Reifen zurechtgekommen?
Jamie Chadwick: Das stimmt. Das Management der Hankook-Reifen war etwas leichter im Vergleich zu einigen anderen Herstellern, bei denen das Arbeitsfenster wesentlich kleiner ist, um das Maximum herauszuholen. In der W Series waren die strategischen Möglichkeiten mit den Reifen eher begrenzt, es kam also mehr auf die Fahrerin hinterm Steuer an. Das richtige Verständnis für die Reifen ist immer ein Faktor. Dieses Jahr waren die Bedingungen bei einigen Rennen höher als erwartet und die Asphalttemperaturen schossen teilweise durch die Decke. Dort war das Reifen-Management ein wichtiger Schlüssel.

Konntest du durch den Umgang mit den Hankook-Reifen etwas für deine weitere Zukunft im Motorsport lernen?
Jamie Chadwick: Ja, auf jeden Fall. Die Hankook-Reifen verfügen über eine recht steife Mischung und es ist schwierig, sehr viel Last in die Reifen zu bringen. Du musst dich deshalb damit wohlfühlen, dass sich das Auto ziemlich viel bewegt. Und das ist eine Fähigkeit, die du in allen Bereichen des Motorsports brauchst. Ich habe viel dadurch gelernt und das kann ich definitiv für meine weitere Karriere nutzen.

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Welche Besonderheiten hast du in der W Series im Vergleich zu anderen Nachwuchsserien festgestellt, in denen du bislang angetreten bist?
Jamie Chadwick: Das Interesse an der W Series ist auf jeden Fall sehr groß, obwohl es eigentlich 'nur' eine Nachwuchsrennserie ist. Für mich als Fahrerin war ein großer Unterschied, dass bei den Teams und Autos quasi alles gleich ist. In den Top-3 haben wir mehrfach die Hecks der Autos untereinander getauscht und alle Daten miteinander geteilt. Das macht die W Series zu einer fairen Plattform und wir Fahrerinnen kamen ziemlich gut miteinander klar, weil wir eben so viel geteilt haben und zusammen gereist sind. Auch die Kameradschaft zwischen uns Frauen und dem Rest des Fahrerlagers war sehr angenehm, was die W Series zu einer wirklich coolen Umgebung macht.

Du gehörst mit deinen 23 Jahren derzeit zu den talentiertesten Rennfahrerinnen der Welt. Erzeugt das bei dir eher Druck oder siehst du das auch als ein Privileg an?
Jamie Chadwick: Ich finde es spannend! Ich will im Motorsport aber nicht nur etwas erreichen, weil ich eine Frau bin. Ich will generell etwas erreichen. Ich finde es aber toll, dass es inzwischen so viele Möglichkeiten für Frauen im Rennsport gibt und ich versuche, das Beste daraus zu machen, wenn sich Türen öffnen. Es ist auch klasse, dass immer mehr junge Mädchen in den Sport einsteigen, dadurch gleichen sich die Möglichkeiten weiter an.

Allerdings gibt es Kritiker, die argumentieren, dass es falsch sei, durch die W Series Frauen und Männer im Motorsport aufzuteilen. Was würdest du darauf antworten?
Jamie Chadwick: Du musst jede Gelegenheit ergreifen, die sich bietet. Ich bin Rennfahrerin und will Rennen fahren. Die W Series war für mich eine riesengroße Möglichkeit. Leider habe ich nicht die finanziellen Möglichkeiten, um andere Meisterschaften zu bezahlen. Die W Series hat mir aber diese riesige Plattform und die Chance gegeben, Rennen zu fahren. Als Rennfahrerin würde ich so etwas niemals ablehnen. Es ist zwar eine andere Herangehensweise, die Leiter hochzuklettern. Aber die erklimme ich ja auch weiter und dann trete ich wieder gegen Männer an.

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In der W Series hast du pro Meisterschaft ein Preisgeld von 500.000 Dollar für deine weitere Karriere im Motorsport erhalten. Wie wichtig war das Geld für dich?
Jamie Chadwick: Nach der ersten Saison (2019) floss viel von dem Geld in meinen Einstieg in die Asiatische Formel 3, in der ich Superlizenzpunkte erzielen und im Jahr darauf noch einmal antreten konnte. Eine Million klingt natürlich nach viel Geld, aber bezogen auf den Motorsport ist es das nicht. Leider reicht das gerade mal für die Hälfte des Budgets, das du für die Formel 3 benötigst. Trotzdem ist es natürlich eine sehr große Summe und zusammen mit der Aufmerksamkeit, die ich durch die W Series erhalten habe, bin ich zuversichtlich, noch mehr Sponsoren für andere Rennserien zu finden. Aber vor der W Series wäre das definitiv nicht möglich gewesen, deshalb macht die Unterstützung einen sehr großen Unterschied.

Am kommenden Sonntag erhältst du direkt nach dem WEC-Saisonfinale in Bahrain die Chance, einen LMP2-Boliden des Richard Mille Racing Team zu testen. Wäre die Langstecke eine Option für dich?
Jamie Chadwick: Ja, daran bin ich auf jeden Fall interessiert. Ich liebe Le Mans und Endurance-Racing! Ein paar Erfahrungen habe ich dort bereits im GT-Sport gesammelt (24-Stunden-Rennen auf dem Nürburgring 2018 und 2019; d. Red.). Ich fahre am Wochenende zum ersten Mal einen LMP2 und muss zunächst ein Gefühl fürs Auto bekommen, aber Interesse ist absolut vorhanden.

Richard Mille Racing setzt seit zwei Jahren ein reines Damen-Team auf der Langstrecke ein, unter anderem mit Sophia Flörsch. Was hältst du von dieser Herangehensweise?
Jamie Chadwick: Das ist toll! Es ist klasse, dass ein Unternehmen wie Richard Mille so viel investiert, um Frauen in den Motorsport zu bringen. Ich finde es spannend, zu sehen, dass immer mehr Personen und Unternehmen das Thema unterstützen. Deshalb freue ich mich ganz besonders auf den Test und darauf, das Team kennenzulernen.

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Vom 01. bis 03. November hat die FIA Formel 3 ihren offiziellen Rookie-Test in Valencia ausgetragen. Wäre das keine Option für dich gewesen?
Jamie Chadwick: Das war potenziell eine Option. Die Testfahrten lagen aber so nahe am letzten Rennwochenende der W Series in Austin (22.-24. Oktober), dass wir uns voll und ganz auf das Finale konzentrieren wollten. Das war zwar schade, aber wir haben andere Optionen für die Saison 2022.

Kannst du schon einen Hinweis darauf geben, wohin deine Reise im Motorsport nächstes Jahr führt?
Jamie Chadwick: Verraten kann ich noch nichts. Ich möchte auf jeden Fall so viele Dinge wie möglich mitnehmen. Zum einen wäre da meine Rolle bei Williams, die seit einigen Jahren läuft. Natürlich würde ich gern noch weiter ins Team integriert werden, denn ultimativ möchte ich ja das Auto fahren, zumindest in einem Test. Der Fokus liegt insgesamt darauf, den nächsten Schritt im Formelsport zu machen. Ich möchte mir aber alle Optionen offenhalten, dazu zählen auch Langstreckenrennen.

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Wie wichtig ist der Job als Entwicklungsfahrerin bei Williams für dich?
Jamie Chadwick: Es ist großartig, als junge Fahrerin solch einen Zugang zu einem Formel-1-Team zu haben. Ich lerne vom Team und auch von den beiden Fahrern, die mir genau erklären, was ich tun muss, um eine Chance zu bekommen, das Auto zu fahren. Das Team ist fantastisch, sie kümmern sich um mich und der Support in den vergangenen Jahren war top.

Sitzt du auch im Williams-Simulator?
Jamie Chadwick: Ja, ein großer Teil meiner Arbeit besteht darin, im Simulator zu fahren. Im Moment unterstütze ich das Team häufig an den Freitagen vor Rennwochenenden, das ist eine tolle Erfahrung für mich.

Bleibt die Formel 1 dein großes Ziel?
Jamie Chadwick: Ich mache mir keine Illusionen darüber, wie schwierig das ist. Ich habe noch einen langen Weg vor mir, aber die Formel 1 bleibt das ultimative Ziel. Es wäre großartig, wenn das klappt. Und wenn ich in den nächsten paar Jahren erfolgreich bin, dann würde ich annehmen, dass es möglich ist.

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Hast du mit Williams schon über einen realen Streckeneinsatz gesprochen?
Jamie Chadwick: Dank der W Series habe ich jetzt genügend Superlizenzpunkte, das war schon ein wichtiger Schritt. Alles Weitere besprechen wir dann innerhalb des Teams. Vielleicht nicht gleich Freie Trainings, sondern mal ein Einsatz bei einem Rookie-Test. Mit dieser Gelegenheit würde für mich ein Traum in Erfüllung gehen.

Was muss passieren, damit wieder eine Frau in der Formel 1 fährt?
Jamie Chadwick: Es müssen einfach mehr Mädchen schon im jungen Alter in den Motorsport einsteigen. Die Wahrscheinlichkeits- und Quotenregel zeigt: Wenn mehr junge Frauen kommen, steigt die prozentuale Anzahl derer, die es bis ganz nach oben schaffen können.

Und wie schätzt du deine Chancen ein?
Jamie Chadwick: Wenn ich in den kommenden Jahren in den Nachwuchsserien, die zur Formel 1 hinführen, gut abschneide, stehen meine Chancen genauso hoch wie bei den Männern: Wenn es ein Cockpit gibt, dann gibt es auch die Möglichkeit. Und wenn die Resultate nicht passen, dann bekomme ich keine Gelegenheit. Es hängt vom Talent ab und ich weiß, dass ich in den nächsten Jahren einiges erreichen muss.

Eine letzte Frage: Sehen dich die Fans nach 2018 und 2019 in Zukunft wieder beim 24-Stunden-Rennen auf dem Nürburgring?
Jamie Chadwick: Ich würde das Rennen liebend gern wieder fahren! Ich bin zweimal in GT4-Autos gefahren, der nächste Schritt wäre also ein GT3-Auto. Das waren mit die tollsten Erlebnisse für mich, mein Lieblingsrennen auf der Welt! Die Nordschleife hat so viel Charakter und ist ein ganz besonderer Ort. Ich bin sehr froh, dass ich schon ein paar Mal dort fahren durfte und würde sehr gerne zurückkehren.