Der Pole-Setter ist nicht der Pole-Sitter: Weil Lewis Hamilton beim Türkei GP einen neuen Mercedes-V6 im Heck hat, darf der Weltmeister seine Pole Position nicht behalten. Stattdessen startet der schnellste Mann auf dem Istanbul Park Circuit von Platz elf. Im Sinne der Spannung ist die Strafversetzung durchaus eine gute Nachricht für die Formel 1.

Valtteri Bottas rückt durch die Strafversetzung Hamiltons auf Pole, Verstappen muss sich mit Startplatz zwei begnügen. Wie weit kommt Hamilton also noch nach vorne? Schafft er es, wie Max Verstappen vor zwei Wochen in Russland Schadensbegrenzung im WM-Kampf zu betreiben? Und: Wie viele Punkte sichert sich der Niederländer vorne?

Verstappen für Rennen in der Türkei skeptisch

Kann Verstappen die Hamilton-Strafe gar nutzen und die volle Punktzahl einhamstern? Der WM-Zweite selbst ist nicht besonders optimistisch. Hat er die Pace, um Mercedes zu schlagen? "Nein", meint Verstappen kurz und knapp. "Aber wir werden natürlich versuchen, zu folgen und dann sehen wir, was im Rennen passiert."

Super Schumi in Istanbul! Sind die ersten WM-Punkte drin?: (15:14 Min.)

Die Pace des Red Bull RB16B zeigte sich am Samstag zwar deutlich besser als noch am Trainingstag, die grundsätzlichen Balance-Probleme waren aber noch nicht aussortiert. Der Bulle schob noch immer über die vorderen Hufen. Dafür konnten ihm die Ingenieure und Simulator-Pilot Sebastien Buemi über Nacht das Übersteuern mitten in der Kurve austreiben.

Dadurch lief es besser, doch Mercedes war noch immer nicht in Reichweite. Teamchef Christian Horner zeigte sich dennoch deutlich zuversichtlicher als sein teuerster Angestellter: "Wir denken, dass wir morgen näher an Mercedes sein können als im Qualifying."

Die Longruns von Freitag geben wenig Grund zur Hoffnung. Mercedes fuhr auch im Dauerlauf in einer eigenen Liga. Allerdings hatte Red Bull da bekanntlich noch größere Balance-Probleme. Die machen sich auf die Distanz stärker bemerkbar, weil die Reifen stärker abbauen.

Türkei, 2. Training: Longruns auf Soft

FahrerReifen-AlterStint-LängeZeit
Ricciardo1241:29,017
Gasly1341:29,376
Alonso1041:29,569
Latifi1361:29,764
Tsunoda1661:30,184

Türkei, 2. Training: Longruns auf Medium

FahrerReifen-AlterStint-LängeZeit
Hamilton22111:27,732
Bottas25121:28,020
Verstappen21111:28,339
Leclerc1881:28,504
Perez22101:28,538
Sainz25211:28,771
Stroll22131:28,928
Latifi1781:28,932
Vettel23151:29,029
Räikkönen22131:29,275
Giovinazzi1991:29,416
Mazepin1451:29,941

Türkei, 2. Training: Longruns auf Hard

FahrerReifen-AlterStint-LängeZeit
Norris1241:28,827
Ocon2381:28,892
Gasly1971:28,713
Russell20111:28,743
Schumacher1561:29,864

Der Verschleiß könnte tatsächlich ein Trumpf für Verstappen werden. Das Reifenmanagement zählt nicht unbedingt zu den Stärken von Valtteri Bottas. Der Asphalt, der im ersten Jahr noch rutschig wie Schmierseife war, zeigt sich 2021 sehr aggressiv. Graining ist ein Thema, und die Reifen verlieren nicht nur Performance, sondern verschleißen auch.

Deshalb rechnet Pirelli mit einer Zweistopp-Strategie, auch wenn es theoretisch möglich ist, auf Medium und Hard mit einem Stopp durchzufahren. Das können einerseits gute, andererseits schlechte Nachrichten für Verstappen sein. Strategisch gibt es dadurch mehr Möglichkeiten als bei einem Einstopp-Rennen. Allerdings wird bei einem klaren Zweistopp-Rennen das Reifen-Management nicht mehr ganz so wichtig.

Red Bull setzt auf starken Verstappen-Start gegen Bottas

Teamchef Horner hat auch noch eine andere Hoffnung: "Hoffentlich kommt Max am Start an Valtteri vorbei." Zuletzt zeigte Verstappen gute Starts. Er selbst aber bedauert: "Ich starte auf Platz zwei - das ist kein toller Platz, um loszufahren. Es ist auf der Innenseite und da ist nicht viel Grip." Im vergangenen Jahr blieb die Innenseite im Regen fast stehen. Die Strecke ist inzwischen aber deutlich besser, die Unterschiede sollten nicht mehr so groß sein.

Der Weg beim Start ist in der Türkei nur kurz, Foto: LAT Images
Der Weg beim Start ist in der Türkei nur kurz, Foto: LAT Images

Der Kampf vorne an der Spitze könnte also spannender werden, als es nach der bisherigen Mercedes-Dominanz den Anschein macht. Aber wie weit kommt Hamilton noch nach vorne? Mit Pole betrieb der Brite schon am Samstag Schadensbegrenzung. 'Nur' acht Piloten trennen ihn vom Spitzen-Duo.

Starke Konkurrenz & Strategie-Vorteil für Hamilton beim Start

Hamilton muss an Charles Leclerc, Pierre Gasly, Fernando Alonso, Sergio Perez, Lando Norris, Lance Stroll, Yuki Tsunoda und Sebastian Vettel vorbei. Ärgerlich für Mercedes: Tsunoda ist der einzige Pilote, der nicht auf Mediums startet, sondern auf Soft.

"Das war ein kleiner Rückschlag für uns", meint Mercedes Motorsportchef Toto Wolff. Mercedes hätte gerne ein Reifen-Offset zur Konkurrenz gehabt und hoffte darauf, dass sich viele Piloten auf Soft qualifizieren, um den Sprung in die Top-10 sicher zu schaffen. Doch bis auf Tsunoda setzten alle Piloten in Q2 auf Medium, weil sie den Verschleiß des Soft-Reifens zu Rennbeginn fürchten.

Mercedes hätte Hamilton deshalb im Q2 gerne auf den harten Reifen rausgeschickt. "Das wäre bei diesen Bedingungen aber etwas zu mutig gewesen", meint Wolff. So muss Hamilton auf sein Überhol-Talent und die Überlegenheit seines schwarzen Silberpfeils bauen.

Kein Überhol-Setup für Hamilton ein Risiko

Auf ein spezielles Setup verzichtete Mercedes - obwohl man schon im Training sah, dass Überholen schwierig ist und auch wusste, dass Hamilton nach hinten muss. Der Brite bestätigt: "Ich fahre mit dem normalen Setup, [Valtteri und ich] haben so ziemlich das gleiche Auto."

Aber warum hat Mercedes den Silberpfeil mit der Startnummer 44 nicht etwas windschlüpfriger eingestellt? "Du kommst mit weniger Downforce einfach viel schlechter aus den Ecken raus, aus Kurve acht zum Beispiel. Dann hast du erst recht keine Möglichkeit, näher heranzukommen", erklärt Wolff.

Bottas kein Strategie-Opfer für Hamilton

Aber auch Hamilton könnte die Strategie in die Karten spielen. Mit mehr Boxenstopps muss der Brite mit einem Overcut oder Undercut nicht so lange warten und verliert dadurch womöglich weniger Zeit auf die Spitze. Mehr Strategie kann weniger Überholmanöver auf der Strecke bedeuten.

Trotzdem wird Hamilton zunächst einmal den Anschluss zur Spitze verlieren. Kommt hier vielleicht Bottas wieder ins Spiel, muss er Verstappen für Hamilton aufhalten? "Valtteri fährt morgen sein eigenes Rennen", verspricht Wolff. "Es geht um den Rennsieg, um Valtteris Sieg und den Sieg des Teams. Wir werden da niemanden aufhalten."

Auch Bottas verspricht: "Ich bin sehr motiviert. Ich habe diese Saison noch nicht gewonnen, das ist es eine sehr, sehr große Motivation für mich." In Russland vor zwei Wochen war der Finne keine große Hilfe für Mercedes: Verstappen ging nach wenigen Runden an ihm vorbei.