Die Formel-1-Saison 2021 ist gigantisch. Das Übergangsjahr liefert alles, was das Fanherz begehrt. Spektakuläre Rennen am Fließband, Überraschungs-Sieger und im Mittelpunkt ein epischer WM-Kampf zwischen Lewis Hamilton und Max Verstappen, zwischen Mercedes und Red Bull. Dabei könnte auch der WM-Kampf selbst kaum facettenreicher sein.

Mit Lewis Hamilton kämpft der erfolgreichste Formel-1-Pilot der Geschichte gegen ein 23-jähriges Supertalent, das um seinen ersten WM-Titel fährt. Auf und neben der Strecke kracht es zwischen beiden inzwischen regelmäßig. Und auch die Teams bekriegen sich auf allen Ebenen.

Ein Titel-entscheidender Faktor könnten die Motoren werden. 22 Rennen umfasst die Formel-1-Saison 2021 aller Voraussicht nach. Lediglich drei Motoren dürfen dabei eingesetzt werden. Doch aus unterschiedlichen Gründen bekamen die Titel-Kontrahenten Probleme mit ihren Kontingenten.

Max Verstappen bekam schon am vergangenen Wochenende in Sotschi Honda-Motor Nummer vier ans Monocoque geflanscht. Der Niederländer musste deshalb in der Startaufstellung ganz zurück. Red Bull wechselte den Motor in Russland, weil irgendwann ohnehin eine neue Antriebseinheit fällig gewesen wäre.

Hamilton ruiniert Verstappen-Motor

Der Unfall zwischen Hamilton und Verstappen in Silverstone ruinierte den Honda-V6 von Verstappen. Die Japaner versuchten noch zu retten, was nicht mehr zu retten war. Doch im Training zum Ungarn GP diagnostizierten die Ingenieure einen Riss im Block. Dass Aggregat kann zum Altmetall.

Der Honda-V6 konnte nach dem Silverstone-Crash zum Altmetall, Foto: LAT Images
Der Honda-V6 konnte nach dem Silverstone-Crash zum Altmetall, Foto: LAT Images

Red Bull nahm die Strafe in Sotschi, weil Verstappen dort ohnehin schon eine Startplatzstrafe hatte. Außerdem konnte man auf Mercedes' Paradestrecke nicht unbedingt mit einem Sieg rechnen. Die Rechnung ging auf: Im Regen-Chaos wurde Verstappen noch bis auf Platz zwei nach vorne gespült. Schadensbegrenzung de luxe.

Verstappen hat jetzt wieder drei Motoren in seinem Pool. Damit sollte er ohne Probleme bis zum Saisonfinale in Abu Dhabi auskommen. Bei Lewis Hamilton sieht die Sache etwas anders aus. Der Weltmeister und sein Team geben sich bedeckt, was die Motorensituation angeht.

Dafür sorgt die Konkurrenz in regelmäßigen Abständen für Unruhe. "Sie haben einen sehr hohen Abbau bei ihren Motoren. Wir gehen davon aus, dass sie noch einen weiteren Motor brauchen", lässt Red Bulls Dr. Helmut Marko jeden wissen, der es wissen möchte.

Mercedes-Motorschaden: Lewis Hamilton hat nur noch zwei Motoren in seinem Pool, Foto: LAT Images
Mercedes-Motorschaden: Lewis Hamilton hat nur noch zwei Motoren in seinem Pool, Foto: LAT Images

Wie die meisten anderen Teams baute Mercedes in Spa Triebwerk Nummer drei ein. Allerdings ging schon eine Woche später ein Motor kaputt. Im 2. Training in Zandvoort blieb Hamilton mit einem Motorschaden stehen. Der V6 aus Brixworth war nicht mehr zu gebrauchen. Die gute Nachricht: Es handelte sich beim defekten Aggregat um Motor Nummer eins.

Trotzdem ist der Defekt bitter. Trainingseinsätze hätte Power-Zentrum Nummer eins noch absolvieren sollen. Die Tatsache, dass überhaupt ein Schaden auftrat, macht die Sorgenfalten auf Toto Wolffs Stirn tiefer.

Bottas: Mercedes' Motoren- und Strategieopfer?

Bei Valtteri Bottas musste oder wollte Mercedes bereits zwei Strafversetzungen hinnehmen. Der Finne ist inzwischen bei Power Unit Nummer fünf angekommen. Allerdings sind die Bottas-Fälle mysteriös. Den ersten Motorwechsel gab es am Sprint-Wochenende in Monza.

Zunächst kommunizierte Mercedes, man habe die Motorenstrafe aus taktischen Gründen gezogen und Motor Nummer vier in den Pool gebracht. Plötzlich hörte sich die Sache etwas anders an: Nach dem Freitagstraining hätte man Probleme am Antrieb diagnostiziert. Weil die Zeit für eine Reparatur bis zum Qualifying nicht mehr reichte, wechselte man die gesamte Power Unit. Strafe Nummer eins.

Übersicht der bereits genutzten PU-Komponenten

Team/FahrerICETCMGU-HMGU-KESCEEX
Limit3333228
Mercedes
Lewis Hamilton3333223
Valtteri Bottas5554234
Red Bull
Max Verstappen4444337
Sergio Perez4444446
McLaren
Daniel Ricciardo3332223
Lando Norris3333225
Aston Martin
Lance Stroll3332223
Sebastian Vettel3333224
Alpine
Fernando Alonso3333228
Esteban Ocon3333228
Ferrari
Charles Leclerc4442335
Carlos Sainz3332226
AlphaTauri
Yuki Tsunoda3333336
Pierre Gasly4444337
Alfa Romeo
Kimi Räikkönen3332226
Antonio Giovinazzi3332226
Haas
Nikita Mazepin3332225
Mick Schumacher3332225
Williams
George Russell3332223
Nicholas Latifi4442224

Zwei Wochen später berichtete Bottas in Russland über den ausgetauschten Motor: "Er ist hinüber." Für Bottas kam es noch schlimmer. In Sotschi musste er schon wieder nach hinten in der Startaufstellung. Grund: Ein erneuter Motorwechsel.

Toto Wolff kündigte nach dem schwachen Qualifying von Bottas an, taktische Mittel in Betracht zu ziehen. Auf Nachfrage wollte Wolff diese Taktik nicht näher spezifizieren. Am Sonntagmorgen dann die Bestätigung: Neuer Motor für Bottas. Diesmal wechselte Mercedes nur Verbrennungsmotor, MGU-H und Turbolader und nicht die ganze Power Unit.

Das ergab 15 Plätze Strafe statt einer Rückerversetzung ans Ende des Feldes. So blieb Bottas ein paar Plätze vor dem strafversetzten Verstappen. Taktik (die dann nicht aufging)? Nein - sagt zumindest Mercedes. "Wir haben nur das gewechselt, was nötig war", heißt es vom Weltmeisterteam.

Mercedes wechselt wild Motoren hin und her

Aber war der Wechsel wirklich nötig? Mercedes' Strecken-Chefingenieur Andrew Shovlin und Valtteri Bottas stammelten bei der Angelegenheit nach dem Rennen etwas herum. "Wir mussten ihn wechseln, wenn ich das Rennen beenden wollte", sagte Bottas schließlich.

Im Russland-Training hatte Bottas noch den nagelneuen Monza-Motor im Heck. Über Nacht tauschen die Mechaniker den gegen ein älteres Exemplar aus. Der Monza-Motor wurde für Untersuchungen nach Brixworth geschickt. Die Ingenieure hatten auch hier Ungereimtheiten entdeckt.

Bottas sollte das restliche Russland-Wochenende mit einer älteren Power Unit auskommen. Dann das schlechte Qualifying, dann der erneute Wechsel. Taktisch oder nicht? Dass Mercedes lieber Probleme statt Taktik kommuniziert, macht durchaus Sinn. Denn der Motor wurde unter Parc fermé-Bedingungen gewechselt.

Während des Parc fermès dürfen zwar Komponenten - solange sie technisch identisch sind - getauscht werden, allerdings sieht die FIA hier auch eine Bedingung vor. Jeder Austausch muss schriftlich bei Jo Bauer beantragt werden. Der Technische Delegierte gibt dem Antrag nur statt, wenn die auszutauschende Komponente defekt ist, respektive er von der Notwendigkeit des Austauschs überzeugt werden kann.

Wer den Wechsel aufgrund eines Defekts beantragt, schließlich aber von Taktik spricht, schneidet sich ins eigene Fleisch. War es nun Taktik oder ein echter Defekt? Es ist schwer zu sagen, was Mercedes wirklich im Schilde führte. Dass es Probleme mit der Standfestigkeit der Motoren gibt, ist aber verbrieft.

Mercedes-Kunden auch mit Problemen

Auch die Kundenteams sind von Zuverlässigkeitsproblemen betroffen. Man erinnere sich an Sebastian Vettels Motorschaden im Zandvoort-Training. Nicholas Latifi im Williams-Mercedes musste in Russland bereits eine Strafe absitzen. McLaren-Mercedes musste bei Daniel Ricciardo in Sotschi zwischen 1. und 2. Training wegen eines Problems den Motor wechseln.

Bei den Kundenteams wird es für die restliche Saison ähnlich eng wie bei Hamilton. Gut für den Briten: Das kaum stattgefundene Rennen in Spa und das frühzeitige Ende in Monza. So hat man sich anderthalb Rennen auf Motorenstrecken gespart.

2016 verlor Lewis Hamilton die Weltmeisterschaft aufgrund eines Motorschadens, Foto: Sutton
2016 verlor Lewis Hamilton die Weltmeisterschaft aufgrund eines Motorschadens, Foto: Sutton

Die Analysen der Motorprobleme laufen bei Mercedes derzeit auf Hochtouren. Es scheint aber derzeit eher eine Frage des Wann, als eine Frage des Ob zu sein, ob Hamilton 2021 noch strafversetzt wird. Wann wäre der perfekte Zeitpunkt?

Am besten an einem Wochenende, an dem ohnehin etwas schiefgeht. Wie die Strafe von Verstappen in Russland. Die verpuffte durch den Wechsel komplett. Aber solche Ereignisse sind schlecht zu kontrollieren. Wer darauf wartet, dass etwas passiert, könnte auch ewig warten. Beim Saisonfinale in Abu Dhabi - wenn die Motoren bis dahin halten - kann man eine Strafe am wenigsten gebrauchen.

Taktisch bieten sich Rennen an, bei denen man gut überholen kann, Mercedes gleichzeitig aber nicht stärkste Kraft ist. Wenn Mercedes ohnehin hinter Red Bull ist, schenkt man dem Hauptkonkurrenten wenigstens keinen Platz. Der Brasilien GP könnte für Hamilton der perfekte Ort sein: Red Bull Honda war auf 700 Meter über dem Meeresspiegel schon in den vergangenen Jahren eine Macht. Gleichzeitig ist Überholen in Sao Paulo verhältnismäßig einfach.