Auf dem Papier war nicht der tragische Held des Formel-1-Rennens in Sotschi, Lando Norris, sondern Charles Leclerc der größte Verlierer des Regen-Roulettes von Russland 2021. Während der McLaren-Pilot vom ersten auf den siebten Rang durchgereicht wurde, verlor der Ferrari-Fahrer sogar sieben Plätze. Von P8 in Runde 46 ging es bis zum Zieleinlauf sechs Runden später - Leclerc wurde auch noch überrundet - zurück bis auf den 15. Platz.

"Ich bin sehr enttäuscht mit diesem Rennen, denn im ersten Teil sah es extrem gut aus. Ich hatte sehr, sehr gute Überholmanöver und eine sehr gute Pace. Auf diese Weise 15. zu werden tut weh", klagt der Monegasse. Genau wie Norris ging Leclerc im russischen Regen wortwörtlich unter, weil er zu spät auf Intermediates wechselte. Anders als im Fall des Briten will er jedoch keine andere Wahl gehabt haben.

Formel 1 Sotschi: Erst profitierte Leclerc im Regen

Zunächst schien der Regen Leclerc sogar zu helfen. "Unter diesen Bedingungen waren wir sehr konkurrenzfähig", berichtet Leclerc. Der dritte Sektor war trocken, sodass wir mit dem bisschen Regen im ersten und zweiten Sektor alles, was wir da verloren haben, im letzten Sektor wieder gewonnen haben. Deshalb entschied ich mich, draußen zu bleiben."

Regen-Chaos in Russland! Die Gewinner und Verlierer (35:00 Min.)

Bis auf P8 spülte es Leclerc, nach seinem mit 4,85 Sekunden sehr langsamen Boxenstopp in Runde 35 auf P13 zurückgefallen, binnen neun Runden wieder nach vorne. In dieser Phase war es zunächst noch trocken, doch nach dem langen ersten Stint auf harten Reifen halfen dem Monegassen auch bei einsetzendem Regen seine nun aufgezogenen Medium-Reifen. Diese halten besser die Temperatur und bieten mehr Grip als die harte Mischung, auf welche die meisten seiner Konkurrenten hatten wechseln müssen.

Einmal zweifelt Leclerc an Slicks, doch da wechselt schon Sainz

Leclerc war also auf dem Vormarsch und fühlte sich auf den Slicks auch bei leicht feuchter Strecke noch wohl. Einen Boxenstopp wollte Leclerc - fast so sehr wie ganz vorne Norris - also eher vermeiden. Doch irgendwann sickerte die Erkenntnis durch: Das ist zu viel Wasser. "Es gab eine Runde, in der ich gezweifelt habe", berichtet Leclerc.

Doch genau zu diesem Zeitpunkt gab es ein Problem. Gerade hatte der Ferrari-Pilot Max Verstappen und seinen Teamkollegen eingeholt - und der war bereits für den Inter-Wechsel in Runde 48 einbestellt. "Carlos war vor mir und sollte in dieser Runde stoppen, also konnte ich nicht gleichzeitig stoppen", schildert Leclerc. Unmittelbar hinter seinem Teamkollegen platziert, hätte der Monegasse in der Box warten müssen. Nicht nur deshalb blieb Leclerc draußen. Noch dazu hatte er Sainz noch vor dem Boxeneingang überholt. Wäre er in die Box abgebogen, so hätte er Ferrari völlig verwirrt. Im schlimmsten Fall hätten die Mechaniker Sainz' Reifen montiert, weil sie mit dem Spanier rechneten und Leclerc so eine Strafe kassiert.

Charles Leclerc zockt: Auf weniger Regen gehofft

Kaum am Boxeneinfang vorbei, funkte Ferrari die bittere Erkenntnis an Leclerc: Inzwischen war es ganz klar Mischreifen-Wetter. "Die Runde darauf war es aber schon zu spät. Da wusste ich, dass mein Rennen beeinträchtigt war", berichtet Leclerc. Er glaubte den Point of No Return schon verstrichen. Ein Fehler. Leclerc: "Deshalb habe ich versucht, auf Slicks zu bleiben und gehofft, dass der Regen nachlassen würde. Aber das ist nicht passiert." So fuhr Leclerc sogar noch zweimal am Boxeneingang vorbei, das Wetter wurde noch schlechter und der Monegasse verlor über Gebühr.

Sieg verloren! War Lando Norris selbst schuld? (14:02 Min.)

Wie Norris flog Leclerc in einem Fall vollständig ab und kam sogar für mehrere Sekunden ganz zum Stehen. "Es war sehr knifflig", berichtet Leclerc. "Ich bin zwei Runden länger draußen geblieben als die meisten. Diese zwei Runden waren gut und konkurrenzfähig, aber an einem Punkt hat der Regen so sehr zugenommen, dass es mich in eine schwierige Position gebracht und ich in einer Runde alles verloren habe", hadert der Ferrari-Fahrer. "Das war sehr ähnlich wie bei Lando." Der Brite kam als einziger Fahrer neben Leclerc tatsächlich erst in Runde 51.

Leclerc baut Norris auf: Fühlt sich sicher schuldig

Dessen Gefühlsleben nach dem Rennen kann Leclerc auch deshalb gut nachvollziehen. "Vielleicht ist er in solchen Situationen Teil des Entscheidungsprozesses und fühlt sich sehr, sehr schuldig", sagt Leclerc. "Aber er ist ein toller Fahrer. Er hat das diese Saison sehr oft gezeigt. Er hat eine sehr starke Saison. Ich bin sicher, dass er daraus lernen wird. Sein erster Sieg ist nur eine Frage der Zeit. Deshalb denke ich, dass er nach diesem Rennen nicht so niedergeschlagen sein sollte."

Wie für Norris steht nun auch für Leclerc Aufarbeitung an. "Denn ich spüre, dass ich als Fahrer einen besseren Job hätte machen können, um dem Team zu helfen, die richtige Entscheidung zu treffen", sagt Leclerc. Immerhin gebe es auch "sehr, sehr Positives" - nämlich sein Rennen zuvor. Das konnte sich tatsächlich sehen lassen. Insbesondere am Start lieferte der Monegasse. Nach seiner Motorenstrafe von P19 gestartet, kam Leclerc aus Zwölfter zurück aus der ersten Runde.

Leclerc mit neuem Motor: Ferrari zufrieden

Darauf folgte eine ähnlich zähe Aufholjagd wie für Max Verstappen, der sich in Runde zehn vorbeidrückte. Dem Niederländer folgte Leclerc daraufhin wie ein Schatten. "Er war im Grunde immer bei Verstappen, das beweist, wie gut seine Pace war", lobt Teamchef Mattia Binotto bei Sky Italia auf Nachfrage zum Erfolg der neuen MGU-H. Sonderlich groß war diese Herausforderung ohnehin nicht, immerhin hing Verstappen im DRS-Zug fest.

Dennoch ist Binotto überzeugt. Das überarbeitete Hybridsystem ist ein Erfolg. Zahlen will der Italiener nicht nennen. "Aber es ist noch immer ein Schritt", sagt Binotto zu Motorsport-Magazin.com. "Es ist ein Schritt bei der Performance, aber wie Charles und Laurent [Mekies; Sportdirektor] schon gesagt haben, ist es für uns wichtiger, dass wir diese neue Technologie so früh wie möglich einführen konnten. Denn es wird uns bei der Beurteilung dieser Technik [auch für 2022] helfen, je mehr Erfahrungen wir damit sammeln können. Ich bin froh, dass Charles es bekommen hat und für die restliche Saison damit fahren wird."