Lando Norris war beim Formel-1-Rennen in Sotschi am Sonntag der tragische Held. Auf dem Weg zum Sieg traf er im Regenroulette kurz vor dem Ziel die falsche Wahl und verzockte die Chance auf seinen ersten Triumph in der Königsklasse. Der McLaren-Pilot setzte sich gegen die Empfehlung seines Teams durch und fuhr auf Slicks in sein Verderben. Nach Platz sieben war er untröstlich und dennoch ohne Reue. Norris steht in der Niederlage voll und ganz hinter seiner Entscheidung.

"Ich bin natürlich unglücklich... irgendwie am Boden zerstört", spricht Norris am Mikrofon von Sky Sports F1 mit Tränen in den Augen. Der sensationelle Pole-Setter hatte den Grand Prix von Russland über 30 der insgesamt 53 Runden angeführt. Zehn Runden vor der Zielflagge schien alles auf den Showdown zwischen ihm und Verfolger Lewis Hamilton hinauszulaufen. Zu diesem kam es auch, doch nicht so, wie Norris sich das vorgestellt hatte.

Einsetzender Regen sorgte für einen Thriller. "Selbst als es am Ende richtig schwierig wurde und ich ein paar Fehler gemacht habe, bin ich immer noch vor Lewis geblieben und sogar ein bisschen weggefahren", so Norris, der mehrfach von der Strecke abkam. In der 49. Runde war es Hamilton, der zuerst blinzelte und für den Wechsel auf Intermediates an die Box kam.

McLaren konnte Norris hingegen nicht überzeugen. "Als Lewis reinkam waren die Bedingungen für die Reifen [Slicks] total in Ordnung und mir wurde gesagt, dass der Regen gleich bleibt", so der 21-Jährige, der das Ziel unbedingt auf dem Trockenreifen als erster erreichen wollte. Doch die Wassermassen nahmen daraufhin immer mehr zu.

Norris trägt die Verantwortung: Team wollte mich reinholen

Erst nachdem Norris gar nicht mehr vorwärts kam und fast in der Wand gelandet war, steuerte auch er die Box an. Doch da war es zu spät, um ein Top-Resultat zu retten. "Ich schätze, wir haben die falsche Entscheidung getroffen, aber wir stehen dazu", so Norris, der sich gegen seine Strategen durchsetzte und dafür die Verantwortung trägt: "Tatsache ist, dass sie der Meinung waren, dass ich reinkommen soll und ich entschieden habe, draußen zu bleiben. Es war meine Entscheidung."

Er besteht trotzdem darauf, unter Berücksichtigung der von ihm und seinem Team erwarteten Bedingungen richtig gehandelt zu haben. "Wenn der Regen gleich geblieben wäre, war es die richtige Wahl. Ich glaube, draußen zu bleiben war die korrekte Entscheidung. Es wurde dann aber viel nasser, als wir es als Team erwartet hatten. Das hat uns am Ende erwischt", rechtfertigt sich der Youngster. "Wir haben das getan, was wir für richtig gehalten haben."

Um ein Haar hätte auch Hamilton diesen Fehler begangen. Der Rennsieger traf bei den Interviews auf Norris und gab zu, genauso wie er an seiner Track Position gehangen zu haben. "Ich habe die erste Aufforderung auch ignoriert, denn ich wollte dich nicht ziehen lassen", so der Mercedes-Pilot, dem Norris nur mit Galgenhumor entgegnen konnte: "Ich weiß. Ich habe es die ganze Zeit ignoriert."

McLaren-Teamchef verteidigt Norris

Für McLaren war der Verlust eines zweiten Sieges nach dem sensationellen Doppelerfolg von Monza schmerzhaft, doch Teamchef Andreas Seidl stärkte Norris gegenüber Sky Sports F1 den Rücken: "Ich danke ihm für alles, was er an diesem Wochenende wieder einmal geleistet hat", so der Deutsche. "Natürlich ist er enttäuscht und wir sind enttäuscht. Aber das ist Teil dieses Sports. Im Nachhinein ist es immer einfach zu beurteilen, was wir anders hätten machen können."

Teamkollege Daniel Ricciardo wechselte früher auf Intermediates und war als Vierter einer der Gewinner im Reifenpoker. Der Australier erklärte bei Sky Sports F1, das Heft selbst in die Hand genommen zu haben. "Ich kann nur für mein eigenes Rennen sprechen. Ich habe den Kommandostand gefragt, ob der Regen heftiger wird, denn im hinteren Teil der Strecke war es nass. Und wir [Fahrer] sind der beste Anhaltspunkt", sagt er. "Ich bin in Kurve sieben fast in der Wand gelandet und deshalb stand es für mich außer Frage."

Dass Norris anders als Ricciardo trotz seiner beinahe-Unfälle weiterfuhr, will Seidl ihm nicht vorwerfen. "Das ist ein Teil der Lernkurve, nicht nur für ihn, sondern auch für das Team", erklärt er. "Wir haben natürlich immer die Möglichkeit, ihn vom Kommandostand her zu überstimmen, mit den Informationen, die wir haben. Aber am Ende haben wir zusammen entschieden, draußen zu bleiben. Wir haben in Lewis' Funk dieselben Diskussionen verfolgt. Wir wollten heute gewinnen und deshalb sind wir draußen geblieben."