Romain Grosjeans erste IndyCar-Saison neigt sich ihrem Ende. Am kommenden Wochenende steht in Long Beach das Finale an, doch für den Franzosen ist eines schon lange klar. Der Wechsel in die USA hat sich in jeder Hinsicht gelohnt. Erst am vergangenen Sonntag feierte er in Laguna Seca sein drittes Podest in den Vereinigten Staaten - und das mit einem Husarenritt, der die Fans begeisterte und dem F1-Aussteiger einmal mehr Gänsehaut bescherte.

"Ich hatte in der Corkscrew viele Überholmanöver, was gut war. Ich habe mich ein bisschen wie [Alex] Zanardi gefühlt. Das ist keine schlechte Sache", so Grosjean nach seiner Aufholjagd auf dem legendären Kurs in Kalifornien. Dort hatte Zanardi in seiner Debütsaison in der ChampCar im Jahr 1996 ein Überholmanöver gezeigt, das in die Geschichte der US-amerikanischen Formelserie einging.

In der letzten Runde des Rennens überholte er Bryan Herta im Kampf um den Sieg mit einem wilden Move im berüchtigten Korkenzieher von Laguna Seca. Grosjean hatte einen ähnlichen Moment mit Jimmie Johnson, an dem er sich auf der Jagd nach den Spitzenreitern mit Gewalt vorbeipresste. Dieser Moment war der letzte Akt seiner Aufholjagd, die ihn vom 13. Startplatz auf Position drei führte.

Der 35-jährige Rookie zeigte insgesamt nicht weniger als 27 Überholmanöver auf der Strecke und wurde damit als Fahrer des Tages von den Fans gefeiert. "Das ist schwer zu beschreiben. Es war einfach unglaublich", so Grosjean, der schon bei seiner ersten Fahrt aufs Treppchen beim Indianapolis Grand Prix bejubelt wurde. "Als ich dort das Podium hatte und die Leute für mich stehend applaudiert haben, habe ich fast geweint. Und ich weine nicht oft. Das war mehr, als ich mir je erträumt hatte."

Grosjean feiert IndyCar: Autofahren wie du es willst

Was für Grosjean als experimenteller Neuanfang nach zehn Saisons Formel 1 begann, ist für ihn schnell sein neues sportliches Zuhause geworden. Damit findet sich bei ihm die nächste Parallele zu Zanardi, der nach einer unvollendeten F1-Laufbahn seine Koffer packte und in den USA mit Kampfgeist und Speed zum gefeierten Helden wurde. "Es ist die Freiheit, das Auto so zu fahren, wie du es fahren willst", erklärt Grosjean den großen Unterschied zur Königsklasse.

In der Formel 1 feierte er in 179 Rennen diverse Achtungserfolge mit unterlegenem Material. Das Höchste der Gefühle waren zehn Podien, von denen sein letztes beim Abschied aus der F1 bereits fünf Jahre zurücklag. "Die Möglichkeit, jede einzelne Runde die du fährst zu genießen und die Tatsache, dass du mit jedem Team konkurrenzfähig sein kannst, und das zusammen mit der Atmosphäre im Paddock", schwärmt Grosjean von seiner neuen Heimat.

Über den Umstand, dass sein schwerer Unfall 2020 in Bahrain seine GP-Laufbahn vorzeitig beendete, war Grosjean im vergangenen Jahr zunächst unglücklich. Doch das Fahren in der Formel 1 vermisst er ein Dreivierteljahr später nicht mehr. In der IndyCar hat er schlichtweg mehr Spaß: "Du musst nicht permanent nach dem Ladezustand der Batterie schauen, oder nach den Reifentemperaturen oder dem Arbeitsfenster der Reifen. Du steigst einfach ins Auto, fährst aus der Box und dann gibst du jede einzelne Runde alles."

Neue Karriere brachte Grosjean Spaß am Sport zurück

In der Formel 1 war er mit seiner Situation unzufrieden. "Ich war einer von 20 glücklichen Typen in der Welt, die in der Formel 1 gefahren sind und ich hatte eine unglaubliche Karriere. Aber die letzten zwei Jahre waren hart und frustrierend. Ich wusste, wie man Auto fährt, aber ich konnte es nicht zeigen", sagt er.

Den Weg zurück ins Formel-1-Auto wird er nach dieser Erkenntnis nur noch bei der von Mercedes versprochenen Abschiedsfahrt unternehmen: "Wenn du jetzt an der Spitze kämpfen kannst und einen Ingenieur hast, der dir sagt, dass du das schnellste Auto auf der Strecke bist, und du um Podien kämpfst - das ist auf jeden Fall ein Wiedererwachen. Ich verstehe, dass viele Kinder es in die Formel 1 schaffen wollen. Aber wenn das nur dazu dient, jedes Wochenende ganz hinten herumzufahren, bist du hier besser aufgehoben."

Grosjean tritt Rookie-Ehren in der IndyCar gerne ab

In der Gesamtwertung liegt er vor dem Finale auf Rang 15. Allerdings ließ er nach Rücksprache mit seiner Familie die Ovalrennen zuerst aus. Den Double-Header in Texas und die legendären 500 Meilen von Indianapolis erlebte er als Zuschauer, bevor er Ende August in Gateway dann doch sein Debüt im Oval feierte. Aufgrund der Versäumnisse in der ersten Saisonhälfte wird er den Titel des 'Rookie of the Year' voraussichtlich Scott McLaughlin überlassen müssen.

Der Neuseeländer stieg als dreifacher Champion der Australian Supercars in die Indycar um und liegt in der Meisterschaft vor dem letzten Rennen 20 Punkte vor Grosjean. "Das ist schon in Ordnung. Scott kann den Titel haben. Ich habe das schon zu Beginn des Jahres gesagt. Ich bin von Scott McLaughlin sehr beeindruckt. Ich denke, er ist mehr Rookie, als ich es bin", gibt sich Grosjean sportlich.

Während McLaughlin bei Penske auf Anhieb in einem Top-Team Anschluss fand, erhielt Grosjean seine Chance bei Dale Coyne Racing in einem Rennstall aus dem Mittelfeld. Die Chancen für einen Aufstieg stehen beim Franzosen jedoch gut. In der Gerüchteküche wird er als heißer Kandidat für die Nachfolge von Ryan Hunter-Reay bei Andretti Autosport gehandelt.