Der Große Preis von Italien mausert sich allmählich zum Garanten für überraschende Ergebnisse. Nach dem Sensationssieg durch Pierre Gasly bei der 2020er Ausgabe des Formel-1-Klassikers in Monza erzielte ein Jahr später McLaren einen unerwarteten Doppelsieg. Für das Traditionsteam aus Woking war der Sieg von Daniel Ricciardo vor Lando Norris das erste perfekte Resultat seit mehr als zehn Jahren (Kanada-GP 2010) und der erste Sieg seit Jenson Buttons Erfolg beim Brasilien-GP 2012.

Allerdings kam dieser erste Triumph seit 170 WM-Läufen oder 3.213 Tagen in einem Grand Prix zustande, in dem sich die Topfavoriten und WM-Rivalen Lewis Hamilton und Max Verstappen gegenseitig aus dem Rennen schossen und ihre Teamkollegen in den beiden anderen Top-Autos von Mercedes und Red Bull von weit hinten starteten. Sergio Perez legte in Monza von P8 los, Valtteri Bottas wegen einer Motorenstrafe sogar nur von P19. War die orangefarbene Feierstunde also nur oder zumindest vorrangig den glücklichen Umständen geschuldet?

Lando Norris: McLaren-Doppelsieg war kein Glück

Das bestreitet Lando Norris vehement. Bei diesem Erfolg seines Teams gebe es einen Unterschied zu den jüngsten Überraschungssiegen in der Formel 1, etwa durch Gasly in Monza 2020, Sergio Perez für Racing Point in Bahrain 2020 oder Esteban Ocon für Alpine in Ungarn 2021."Sehr oft, wenn mal andere Leute gewonnen haben, war es wegen ein wenig Glück hier und da. Aber ich denke, dass wir das ganze Wochenende einfach seinen sehr guten Job gemacht haben", sagt der Brite.

Nach Hamilton-Crash: Strafe für Max Verstappen! (42:00 Min.)

Norris weiter: "Wir hatten ein schnelles Auto und wir haben alles, was wir hatten, maximiert. Also denke ich nicht, dass das, was wir dieses Wochenende gemacht haben, mit Glück zu tun hatte. Glück war nicht beteiligt, was es auf jeden Fall noch etwas süßer macht. Einfach, weil es verdient ist."

Daniel Ricciardo: McLaren hat sich Monza-Sieg erarbeitet

Der Rennsieger stimmt zu. "Wir haben uns das als Team geholt. Wir waren [nach dem Start] auf eins und drei und hatten gute Boxenstopps. Wir haben uns selbst in die Siegerposition gebracht. Es waren nicht die Umstände. So können wir mit dem Wissen schlafen gehen, dass wir uns das hier erarbeitet haben", betont Ricciardo.

Doch stimmt das wirklich? Und hätte McLaren auch ohne den Unfall von Max Verstappen und Lewis Hamilton in Monza gewonnen? Die Rennanalyse von Motorsport-Magazin liefert eine Tendenz.

McLaren schafft sich vor Monza-Crash perfekte Ausgangslage

Der mit Abstand wichtigste Aspekt zur Klärung dieser Frage ist ein Blick auf die Ausgangslage zum Zeitpunkt des Unfalls. Der geschah immerhin unmittelbar nachdem mit Hamilton in Runde 25 auch der letzten Fahrer der Top-4 zum Boxenstopp gekommen war. Boxenstopp-bereinigt führte zu diesem Zeitpunkt Daniel Ricciardo, der in Runde 22 den Wechselreigen eröffnet hatte und so einem Undercut durch Max Verstappen und Red Bull hinter ihm zuvorgekommen war.

Damit nicht genug: Ausgerechnet die Boxenstopp-Könige von Red Bull hatten den Service für den Niederländer einen Umlauf später völlig verpatzt. 11,1 Sekunden stand der Niederländer. Im scharfen Kontrast dazu fertigte McLaren Ricciardo besonders zügig ab. Die Standzeit des Australiers von 2,4 Sekunden war die schnellste des gesamten Italien-GP. So führte Ricciardo nach den Stopps plötzlich noch sehr viel deutlicher, aber nicht einmal mehr vor Verstappen.

Formel 1 Monza: Boxenstopps von Red Bull, Mercedes und McLaren

FahrerRundeStandzeit (Sek.)Durchfahrtszeit (Sek.)
Ricciardo222,423,812
Verstappen2311,132,456
Norris242,7324,168
Hamilton254,2225,619

Daniel Ricciardo plötzlich mit Norris-Puffer

Stattdessen lag der Australier nun vor seinem Teamkollegen. Lando Norris profitierte ebenfalls von dem extrem langsamen Stopp bei Red Bull. Mit 2,73 Sekunden fertigte McLaren auch den Briten in Runde 24 mehr als zügig genug ab, um vor Verstappen zurückzukommen. Auch für Hamilton reichte das. Mercedes hatte mit einer Standzeit von 4,22 Sekunden ebenfalls keine exzellenten Reifenwechsel vorgenommen. Da half es auch nichts mehr, dass Hamilton Norris unmittelbar vor dessen Stopp in der Curve Grande noch auf der Strecke überholt hatte.

Je nachdem, wie der Zweikampf von Hamilton und Verstappen in der ersten Schikane ohne Unfall ausgegangen wäre, hätte McLaren nach der Phase der Boxenstopps also entweder vor Hamilton oder Verstappen geführt. Damit befand sich das am Ende siegreiche Team sogar in einer besseren Position als je zuvor. Nun verfügte Ricciardo, im ersten Stint schon alleine in der Lage, sich souverän vor Verstappen zu behaupten, zusätzlich auch noch über einen Puffer.

Ohne Unfall: Hamilton auf weicheren Reifen erster McLaren-Jäger!

Also alles klar? Nicht ganz. Hätte der von den Stewards für schuldig befundene Verstappen im Duell mit Hamilton zurückgesteckt, wäre Hamilton erster Verfolger McLarens gewesen. Ein entscheidender Unterschied für die Chancen McLarens, den Sieg oder sogar Doppelsieg zu halten. Immerhin war der Mercedes in Monza das klar schnellere Paket als der Red Bull - und Mercedes hatte mehr auf Topspeed gesetzt. Das zeigte sich schon im ersten Stint. Hamilton war permanent näher an einem Überholmanöver gegen Norris als Verstappen an einer Attacke auf Ricciardo. In Runde 24 kassierte Hamilton seinen Landsmann nach mehreren Anläufen sogar.

Formel 1 Monza Topspeeds: Hamilton für McLaren gefährlicher

FahrerTopspeed Rennen (km/h)
Hamilton352,5
Norris346,4
Ricciardo344,2
Verstappen337,7

Allerdings war das auch einer antizyklischen Reifenwahl geschuldet. Hamilton startete das Rennen auf den harten Reifen, McLaren und Red Bull begannen auf Medium. Gegen Ende des ersten Stints verfügte Hamilton also noch über mehr Körner als Norris. Das erleichterte sein Überholmanöver. "Am Ende des Stints kamen seine harten Reifen zurück oder meine Mediums sind eingegangen", berichtete Norris. Das passte zu Funksprüchen der McLaren-Fahrer, die kurz vor ihren Stopps allmählich Probleme meldeten.

Mercedes & Red Bull verbocken Stopps

"Am Ende des ersten Stints fühlte ich mich etwas verwundbar, weil die Reifen nachließen. Aber ich dachte, dass es den anderen sicher auch so geht", sagte Ricciardo. Tatsächlich hatte auch die Konkurrenz - in Dirty Air - zu kämpfen. Mit freier Bahn konnte Verstappen nach langen Runden des Leidens auch nicht mehr aufdrehen, kam deshalb ebenfalls selbst zum Service. "Wir hatten also alle zum gleichen Zeitpunkt zu kämpfen", analysierte Ricciado.

Doch hatte auch die Konkurrenz zu kämpfen. Nicht einmal Hamilton fuhr einen langen Overcut, sondern schloss sich trotz härterer Reifen direkt dem Boxenstoppreigen an. So wollte Mercedes zumindest Norris hinter sich halten. Mit einem besseren Boxenstopp hätte das auch funktioniert. 1,5 Sekunden verlor Hamilton in der Boxengasse, am Ausgang war der Weltmeister nahezu neben Norris.

Hamilton antizyklisch: Zweiter Stint auf Medium

Die Folge der unterschiedlichen Reifenwahl für den längeren (!) zweiten Stint: Nun hätte Hamilton mit Medium die McLaren auf harten Reifen jagen müssen. An Norris war Hamilton direkt dran, eine zügige Attacke wäre essenziell für eine Chance gegen Ricciardo gewesen - und zumindest denkbar: Hamilton hatte nicht nur den schnelleren Gummi, sondern Norris auch kein DRS. Valtteri Bottas fuhr mehr als vier Sekunden vor dem McLaren. Das hätte sich trotz ebenfalls des starken Topspeed des MCL35M für Hamilton ausgehen können.

Doch hätte Hamilton sein ehemaliges Team nicht nur um den Doppelsieg, sondern auch um den Rennsieg bringen können? Eine eindeutige Antwort ist unmöglich. Einige Indizien sprechen jedoch eher dagegen. So verfügte Ricciardo nach der Boxenstoppphase über einen ordentlichen Vorsprung. Neun Sekunden klafften zwischen dem Australier und Norris, außerdem Bottas und Carlos Sainz. Beide wären allerdings kaum eine Hürde gewesen. Der Finne aus offensichtlichen Gründen, Sainz war schon für Ricciardo kein Problem.

Ricciardo nach Boxenstopp-Drama mit zehn Sekunden Vorsprung

Der große Rückstand allerdings wäre ein veritables Problem geworden. Diese Lücke hätte Hamilton erst einmal zufahren müssen - und dabei seine Medium-Reifen beansprucht, während Ricciardo mit dem Hard langfristig besser aufgestellt war. Der Reifen des Australiers ließ Ricciardo im Schlussstint jedenfalls nicht einmal im Ansatz im Stich. Noch in der letzten Runde fuhr Ricciardo die schnellste Rennrunde.

Wie schwer es für Hamilton geworden wäre, verdeutlicht auch das Beispiel Valtteri Bottas. Der Finne war einer der großen Gewinner der Safety-Car-Phase durch den Unfall der Titelrivalen. Beim fliegenden Restart lag Bottas - nun ebenfalls auf frische Mediums gewechselt - an sechster Stelle, aber sogar ohne einen großen Rückstand auf die Spitze, wie Hamilton ihn hätte überwinden müssen.

Beispiel Bottas: Auch ohne Rückstand mit Medium chancenlos

Doch nach Überholmanövern gegen die Ferrari - auch für Norris und Perez möglich - war selbst für den schnellsten Mann des Wochenendes Endstation. An den McLaren und Perez fand Bottas selbst ohne eine Belastung seiner Reifen durch eine vorherige Aufholjagd keinen Weg vorbei. "Ich habe natürlich alles versucht, was ich konnte - aber in den letzten Runden begann der Reifen abzufallen und das war es dann", sagt Bottas.

Der in Monza so gefürchtete DRS-Train oder zumindest mehrfache Windschatten für Perez spielte dabei allerdings auch eine Rolle. Zumindest diesen Nachteil hätte Hamilton hinter Ricciardo nicht gehabt. Allerdings sei McLaren generell eine hohe Hürde gewesen, so Bottas. "Ich glaube, es wäre schwierig geworden, an den McLaren vorbeizukommen. Die waren das ganze Wochenende stark, besonders auf den Geraden, und gestern gab Lewis alles, was er konnte, aber er kam nicht vorbei", erinnert der Finne an den Sprint.

Fazit: McLarens Sieg in Monza war in jedem Fall hoch verdient und von Freitag an selbst erarbeitet. Schon exzellente Startpositionen aus dem Qualifying am Freitag optimierte McLaren im Sprint mit einer mutigen und wirkungsvollen Entscheidung für weiche Reifen. Am Start des Grand Prix verbesserte sich Ricciardo auch mit gleichen Waffen, ehe beide McLaren die Giganten Verstappen und Hamilton mit fehlerfreien Rennen kontrollierten. Unter größtem Druck lieferte auch die Boxencrew - anders als bei Mercedes und Red Bull. Im Schlussstint spielten Ricciardo und Norris mit Teamplay und Kommunikation über den Kommandostand den Windschatten perfekt für sich aus. Hätte es auch gegen Hamilton gereicht? Nicht garantiert zum Doppelsieg, aber mit sehr guten Chancen auf den Rennsieg.