Mercedes hat sich dazu durchgerungen, für die Formel-1-Saison 2022 George Russell an der Seite von Lewis Hamilton zu verpflichten. Nach fünf Jahren muss Valtteri Bottas das Weltmeisterteam verlassen. Der treue Wingman macht damit Platz für einen Fahrer mit großem Zukunftspotential. Für Fans und Experten ist die Beförderung Russells ein Segen, doch die Entscheidung für die Jugend könnte Mercedes ein böses Erwachen bescheren. Motorsport-Magazin.com debattiert das Pro und Contra.

Pro: Die richtige Entscheidung für die Zukunft

George Russell darf also mit dem Saisonstart 2022 das Mercedes-Cockpit übernehmen. Augenscheinlich gegen den Willen von Lewis Hamilton wird ihm ein junger ambitionierter Landsmann ins Team gesetzt, der bei Williams bewiesen hat, warum er zurecht als eines der größten Talente im Formel-1-Zirkus gilt.

Dass er für die Herausforderung bereit ist, hat Russell schon 2020 in Bahrain gezeigt. Seitdem er mit Williams um mehr als nur um die goldene Ananas kämpft, konnte er diesen Eindruck nochmal untermauern und endgültig den Mythos aus der Welt schaffen, dass er mit Drucksituationen nicht zurechtkommt.

Von der Teamseite kommt der Aufstieg von George Russell genau pünktlich, wenn nicht sogar schon ein Jahr zu spät. Denn 2021 konnte Valtteri Bottas nicht einmal mehr an seine Leistungen der vergangenen Jahre anknüpfen. Während er 2019 und 2020 Hamilton zumindest in einzelnen Sessions regelmäßig gefährlich werden konnte, gelang ihm das 2021 nur in Monaco und beim Qualifying von Portugal. Dass Mercedes in der Team-Meisterschaft dennoch vorne liegt, verdankt das Team nur dem Umstand, dass Red Bull mit Perez noch keine vollwertige Nummer 2 für Verstappen gefunden hat.

Gleichzeitig ist 2022 mit den neuen Regeln und Hamiltons beginnendem - möglicherweise letzten - Formel-1-Vertrag über zwei Jahre der perfekte Einstiegszeitpunkt, um Russell langfristig als Nachfolger aufzubauen. So kann er zwei Lehrjahre an der Seite des erfolgreichsten Fahrers aller Zeiten verbringen, ehe er 2024 vollends das Zepter übernimmt. Vorausgesetzt natürlich, Russell braucht überhaupt so lange, um sich an Hamilton heranzutasten. Seiner bisherigen steilen Lernkurve nach zu urteilen darf das stark bezweifelt werden.

Florian Niedermair

Contra: Zwei von der Sorte ist einer zu viel

George Russells Beförderung ist in jedem Fall ein Gewinn für den Sport, denn seine Chance im Top-Team und die Talentförderung im Hause Mercedes waren lange überfällig. Diesen Rohdiamanten noch länger zu ignorieren, wäre sträflich gewesen. Mit der Reputation eines zukünftigen Weltmeisters hätte man Russell mittelfristig an die Konkurrenz verloren. Das wurde nun verhindert, doch der Vertrag mit dem Youngster hält für das Team ein unausweichliches Drama bereit.

Zwei über alle Maßen ambitionierte Teamkollegen zu haben, führt immer zu Unruhe in den eigenen Reihen. Zwischen 2013 und 2016 machte Mercedes mit Lewis Hamilton und Nico Rosberg zuweilen sehr schlechte Erfahrungen. Ab 2014 war es für die Silbernen ein Glücksfall, dass in den gemeinsamen Jahren der Streithähne weder Ferrari noch Red Bull konkurrenzfähig waren. Der Stallkrieg samt mehrerer Kollisionen hätte ansonsten enormen sportlichen Schaden angerichtet.

Toto Wolff wurde seither nicht müde zu betonen, dass er solche Zustände in seinem Team nie wieder erleben will. Doch mit Russell und Hamilton steht ihm genau das bevor. Es kann in einem Duell zwischen zwei Alphatieren keine zwei Gewinner geben. Und wer glaubt, dass Hamilton mal eben vom jungen Emporkömmling abgemeldet wird, hat sich geschnitten. Wie ehrgeizig und schnell er immer noch ist, sehen wir an seinen Fights gegen Max Verstappen.

Der siebenmalige Champion nimmt auch nach 14 Jahren in der F1 jede Herausforderung an und blüht im harten Wettkampf regelrecht auf. Ein Endgegner bringt das Beste in ihm zum Vorschein. Wenn diese Seite Hamiltons auf den unbeugsamen Russell trifft, wird es zwangsläufig zum Konflikt kommen. Für den Neuling geht es bei Mercedes um nicht weniger als seine Karriere. Wenn er Hamilton unterliegt, wird er als gescheitertes Talent abgestempelt.

Florian Becker