Max Verstappen blieb bei seinem ersten Formel-1-Rennen vor Heimpublikum in Zandvoort fehlerlos, feierte einen dominanten Sieg und riss die WM-Führung wieder an sich. Und das, obwohl der Red-Bull-Pilot vorne als Einzelkämpfer unterwegs war, und Mercedes mit Lewis Hamilton und Valtteri Bottas gefühlt jede Strategie-Option in den 72 Runden verschoss.

Aber hat Mercedes' Strategie-Abteilung wirklich die besten Entscheidungen getroffen? Hamilton beklagte sich im Rennen: " Stopps, Strategie und Verkehr hätten auf dem Punkt sein müssen, aber alle drei waren heute nicht ideal." Motorsport-Magazin.com analysiert, wie die Chancen für den neuen WM-Zweiten standen.

Mercedes startet schwach: Setup schlecht, Zandvoort schlecht

Man könnte andererseits auch sagen: Den Grundstein zur Niederlage legte Mercedes schon vor dem Wochenende. "Die Balance, die wir im Simulator hatten, war ganz anders als was wir am Freitag vorfanden", gesteht Chefingenieur Andrew Shovlin. Im ersten Sektor funktionierte der W12 nicht. Hamilton und Valtteri Bottas hatten Probleme beim Umsetzen von Kurve 2 hinein in die überhöhte Hugenholtzbocht.

Red Bull steckte die Steilkurve im ersten Sektor viel besser weg, Foto: LAT Images
Red Bull steckte die Steilkurve im ersten Sektor viel besser weg, Foto: LAT Images

Probleme in unebenen Kurvenpassagen sind für Mercedes 2021 nicht neu, Hamilton quälte sich etwa mit Kurve 3 auf dem Red Bull Ring. Womöglich liegt es am langen Radstand des Autos. Jedenfalls musste das Team am Freitag viel Setup-Arbeit verrichten, kam aber nicht dazu. Denn FP1 wurde von einer roten Flagge halbiert, und in FP2 rollte Hamilton mit einem Defekt aus. "Letztendlich kamen wir mit dem Auto etwas näher, aber die Zeit aufzuholen ist schwierig", meint Shovlin.

Verstappen zu Rennbeginn für Hamilton unschlagbar

So schaffte es Max Verstappen trotz Fehler und DRS-Defekt immer noch vor Hamilton auf die Pole. Den Start gewann er, und flog davon: Im Mercedes-Schwächesektor 1 brannte der Red Bull Hamilton eine Sekunde auf, und begann dann langsam wegzufahren.

Dieses Bild ist inzwischen gut bekannt: Der RB16B ist auf dem Soft stark, während der W12 auf dem Medium meist einen kleinen Vorteil hat. Das schien sich in Zandvoort einmal mehr zu bestätigen. Als Hamilton in Runde 20 zum ersten Stopp kam, war durch Verstappens Soft-Spurt die Chance auf einen Platztausch mittels Undercut vorerst hinfällig, der Rückstand mit 3,5 Sekunden zu groß. Red Bull deckte eine Runde später ab, und blieb vorne.

Bottas reicht nicht als Verstappen-Bremsklotz

Mercedes glaubte aber noch nicht alles verloren. Denn der zweite Red Bull von Sergio Perez fehlte an der Spitze. Vom Start weg zielten die Verfolger daher darauf ab, Einzelkämpfer Verstappen in die Strategie-Zange zu nehmen. Bottas ließ sich zurückfallen, um Reifen zu schonen und eine Einstopp-Strategie zu fahren, obwohl die Strategen beider Teams die Zweistopp als schnellere Option errechnet hatten.

Verstappens Lage schien sich außerdem durch den wiedererstarkten Hamilton zu verkomplizieren. Der blieb auf dem Medium jetzt in Schlagdistanz. Nur im Überrundungsverkehr wuchs die Lücke auf über zwei Sekunden. Bei einer Sekunde Rückstand wäre ein Undercut realistisch - so viel hatte Hamilton nämlich beim ersten Stopp aufgeholt. Obwohl die Mercedes-Standzeit mit 3,57 Sekunden mehrere Zehntel über dem eigenen Saisonschnitt lag.

Als Verstappen in Runde 29 auf den langsamen Bottas auflief, war Hamilton auch sofort zur Stelle, und erstmals seit dem Start bis auf eine Sekunde dran. Aber die Strategie-Zange verpuffte: Bottas ging in der Schikane weit, und wurde dann von Verstappen nach nur einer Runde mittels DRS überholt. Mercedes hatte auf mehr Probleme gehofft. Entweder, dass Red Bull aus Angst Verstappen zu früh zum zweiten Stopp holen würde, oder dass ein steckengebliebener Verstappen den Undercut ermöglichte.

Red Bull plante aber nie mit einem Panik-Stopp. Und in der einzigen Runde, in der Hamilton den Rückstand zufuhr, war es für einen Undercut-Versuch von Mercedes-Seite zu früh, erklärt Ingenieur Shovlin. Ein Stopp in Runde 30 hätte einen Schluss-Stint von 42 Runden bedeutet.

Red Bull springt auf Mercedes-Trick nicht an

Kaum hatte er Bottas passiert, fuhr Verstappen die Lücke zu Hamilton wieder auf 1,5 Sekunden auf. Die Undercut-Chance drohte zu verpuffen. Und dann folgte der Todesstoß: In Runde 36 wies Red Bull Verstappen an, das Tempo zu verschärfen. Der Vorsprung wuchs innerhalb von zwei Runden auf 2,6 Sekunden.

Mercedes sah sich gezwungen, zum letzten Trick zu greifen. Red Bull hatte für das Rennen nur einen Satz Medium gespart, Mercedes zwei. Daraus schlossen die Mercedes-Strategen, dass Red Bull eine Soft-Medium-Soft-Strategie fahren wollte. Mit dem Hard war am Wochenende kaum gefahren worden, er wurde als Risiko eingestuft. Der Soft war eine bekannte Größe, und zu Stint-Beginn klar besser.

Die beim Rennstart in Zandvoort noch verfügbaren Reifensätze aller Teams, Foto: Pirelli
Die beim Rennstart in Zandvoort noch verfügbaren Reifensätze aller Teams, Foto: Pirelli

Ein früher zweiter Hamilton-Stopp würde Red Bull eine Reaktion aufzwingen - und Mercedes hoffte, dass die ein zu früher Wechsel auf Soft wäre. Hamilton stoppte also für Medium. Er kam zwar im Verkehr zurück auf die Strecke, aber der spielte für diesen Plan tatsächlich keine Rolle.

Verstappen folgte eine Runde später - und nahm Hard. Der war kein schlechter Reifen, bis zum Schluss kam Hamilton nicht mehr nahe genug. Der Trick war gescheitert. Daher rührte Hamiltons Funkspruch, Red Bull sei auf den Bluff nicht eingestiegen. Die Führenden hatten ihr Blatt perfekt gespielt. Mit seiner Tempo-Verschärfung hatte Verstappen nämlich auch Bottas aus seinem Boxenstopp-Fenster gedrückt. Der zweite Mercedes war so nach seiner gescheiterten Blockade kein Faktor mehr.

Fazit: "Wir werden es durchgehen, aber ich glaube nicht, dass wir an einem Punkt gewinnen hätten können", lautet das Fazit von Andrew Shovlin. Und es dürfte richtig sein. Die Fenster für Mercedes waren extrem klein. Ein Undercut bei der gescheiterten Bottas-Blockade war viel zu früh. Die zweite Bottas-Blockade materialisierte sich nie. Und zu allen anderen Zeiten hatte Verstappen rückblickend Pace in der Hinterhand, um einen Angriff abzuwehren. Für eine Sieg-Chance hätte Mercedes eines gebraucht: Die Führung am Start.