Dieses Rennen wirft mehr Fragen auf, als es Antworten gibt. Wo sich fast alle einig sind: Der Belgien GP der Formel 1 in Spa war eine Farce - ein Rennen, das kein Rennen war. Die Regeln wurden bis an ihre Grenzen gedehnt und getestet. Ein Team wollte sogar protestieren, konnte aber davon abgehalten werden. Doch noch immer droht Ärger. Motorsport-Magazin.com erklärt, was warum passierte. Und was noch kommen könnte.

Wann hat das 'Rennen' überhaupt begonnen?

Selbst für ausgesprochene Regelkenner war der Belgien GP eine Herausforderung. So hörte man selbst Teammanager bei der Rennleitung nachfragen, was jetzt Sache sei. Um 15:25 Uhr wurden die ersten Runden gedreht - hinter dem Safety Car. Bereits fünf Minuten später hieß es: Start-Prozedere abgebrochen.

Nach der ersten Formationsrunde - die es immer gibt - wurde eine weitere Formationsrunde gedreht. Die zählt nicht zum Rennen, wird aber von der Renndistanz abgezogen. Durch den Abbruch des Start-Prozederes war das Rennen unterbrochen, ehe es begonnen hatte.

Als die Rennleitung den letzten verzweifelten Versuch unternahm und die Autos noch einmal auf die Strecke schickte, war das Rennen offiziell gestartet, sobald die Boxenampel auf Grün ging. Von da an lief das Zeitnahmesystem, die Runden hinter dem Safety Car waren keine Formationsrunden mehr, sondern Rennrunden.

Wurde nur fürs Geld gefahren?

Der Belgien GP war ein Rennen für das Regelwerk und die Juristen, nicht für die Fans. Warum aber unternahm die Rennleitung den zweiten Versuch, der die Farce letztlich zum Rennen machte? Lewis Hamilton wurde nach seinem dritten Platz deutlich und warf den Offiziellen vor, nur aufgrund des Geldes gefahren zu sein.

Hintergrund: Werden mindestens zwei Runden gefahren, können halbe Punkte vergeben werden und das 'Rennen' zählt als 'Rennen'. TV-Stationen, Promoter und Zuschauer bekamen somit offiziell das, wofür sie bezahlt hatten. Formel-1-Boss Stefano Domenicali bestreitet, dass es finanzielle Konsequenzen gegeben hätte, wenn man nicht mindestens zwei Runden gefahren wäre: "Das ist nicht wahr!"

FIA-Rennleiter Michael Masi gibt zu, dass es während der Unterbrechung Kontakt zum Kommerziellen Rechteinhaber gab. Den würde es aber immer geben: "Ich muss TV-Leute für die Grafiken immer auf den neuesten Stand bringen." Druck von Domenicali und seinem Team soll es nicht gegeben haben: "Nein, null, niemals!"

Warum aber der Versuch um 18:17 Uhr, als die Bedingungen schlechter als zum eigentlich geplanten Rennstart um 15:00 Uhr waren? Tatsächlich zeigte das Wetterradar eine leichte Verbesserung. "Wir dachten, es gäbe ein kleines Fenster", rechtfertigt sich Masi. "Leider wissen wir alle, wie schnell sich das Wetter in Spa drehen kann."

Warum hatte das Rennergebnis nur eine Runde?

Zwei Runden mussten als für die Regelbücher gefahren werden. Das finale Endergebnis zeigte allerdings nur eine Runde. Das schreibt das Reglement so vor: Bei einem Rennabbruch wird der vorletzte Umlauf gewertet. Also gab es doch kein Rennen?

Die FIA beugte dieser Diskussion vor, indem man auf das Rennergebnis einen Zusatz schrieb: "Für die Punktevergabe ist ausschlaggebend, dass der Führende die Kontrolllinie dreimal überfuhr." Für Artikel 6.5, der die Punktevergabe regelt, ist also nicht das offizielle Endklassement ausschlaggebend, sondern das, was tatsächlich auf der Strecke passierte.

Wer fuhr die schnellste Rennrunde?

Eine verrückte Frage. Wer fuhr hinter dem Safety Car am schnellsten? Die TV-Grafiken ließen Nikita Mazepin diese zweifelhafte Ehre zuteilwerden. Ein netter Nebeneffekt: Weil der Russe nicht in den Top-10 war, bekommt er ohnehin keinen Punkt dafür. Allerdings fuhr Mazepin diese Runde nicht in der Startrunde - und nur die ging in das offizielle Ergebnis ein.

Max Verstappen fuhr in der einzigen Runde des Rennens die schnellste Zeit, Foto: LAT Images
Max Verstappen fuhr in der einzigen Runde des Rennens die schnellste Zeit, Foto: LAT Images

Deshalb ist unter dem Rennergebnis nicht wie üblich die schnellste Rennrunde aufgelistet. Doch wer fuhr nun in Runde eins am schnellsten? Die Zeitnahme sagt: Max Verstappen, in 3:27,071 Minuten. Logisch, denn Runde 1 ist zugleich ja das Endergebnis. Aber warum bekam der Niederländer die schnellste Rennrunde nicht zugesprochen? Das weiß aktuell noch niemand. FIA und Red Bull wurden von unserer Nachfrage überrascht. "Wir werden das überprüfen, den halben Punkt hätten wir dann schon gerne", gab Dr. Helmut Marko zu.

Möglich wäre, dass es keine schnellste Runde gibt, weil das Reglement eine "gültige Runde" fordert. In Spa ging die einzige gewertete "Runde" von Boxenausfahrt bis Kontrolllinie über 6,88 Kilometer. Eine normale Runde in Spa von Kontrolllinie zu Kontrolllinie hat jedoch 7,004 Kilometer. Ob "gültige Runde" sich nur auf Track-Limit-Vergehen bezieht oder auch so angewandt werden kann, ist aber nicht eindeutig.

Was hatte es mit dem 3-Stunden-Fenster auf sich?

Nach dem Regenchaos von Montreal vor zehn Jahren führte die Formel 1 eine Zeitbegrenzung ein. Maximal vier Stunden durfte ein Rennen dann inklusive Unterbrechung dauern, bei maximal zwei Stunden reiner Fahrzeit. Just in dieser Saison wurden die vier Stunden auf drei Stunden verringert.

Dabei startet der Countdown nicht beim tatsächlichen Rennstart, sondern beim geplanten Start. Der hätte in Spa um 15:00 Uhr erfolgen sollen. Um 18:00 Uhr wäre also Schluss gewesen. Die FIA blätterte das Regelbuch durch und fand einen Ausweg: Die Stewards stoppten den Event um 17:00 Uhr vorübergehend. Damit wurde der Countdown angehalten. Artikel 11.9.3.o des International Sporting Codes erlaubt das mit der Begründung Höherer Gewalt. "Wir haben alles versucht, um ein Rennen zu haben", gibt Rennleiter Michael Masi zu.

Warum konnte nicht gefahren werden?

Es regnete konstant, aber nicht stark. Am Samstag bei der Qualifikation stand mehr Wasser auf der Fahrbahn. Die Sicht war das Problem, nicht das Aquaplaning. Im Qualifying fahren die Autos nicht direkt hintereinander. Gerade in Spa hat man Angst, dass etwas passiert. Fliegt ein Pilot in Eau Rouge ab und wird zurück auf die Strecke geschleudert, ist die Angst groß, dass ein anderer Pilot den Unfall überhaupt nicht sieht und ungebremst auffährt.

Die Gischt war in Spa für die Formel 1 zu stark, Foto: LAT Images
Die Gischt war in Spa für die Formel 1 zu stark, Foto: LAT Images

Warum aber konnten Formel 3 und Porsche Supercup bei ähnlichen Bedingungen fahren? Tatsächlich waren die Bedingungen am Morgen ein kleines bisschen besser. Um 14:00 Uhr hätte man noch fahren können, mutmaßten einige Fahrer. Dazu kommt bei den Formel-Autos das Problem der freistehenden Räder. Dadurch entsteht mehr Gischt. Die Formel 1 hat deutlich breitere Reifen als die Formel 3. Dadurch wird mehr Wasser verdrängt. Durch die höhere Geschwindigkeit wird noch einmal mehr Wasser verdrängt.

Auch die extreme Aerodynamik der Formel-1-Boliden sorgt für schlechtere Sicht. Die starken Diffusoren werfen das Wasser von der Strecke in die Luft. Trotz ähnlicher Geschwindigkeit wirbelte das Safety Car deutlich weniger Wasser auf als die dahinterfahrenden Formel-1-Autos.

Warum kein Rennen am Montag?

Hätte man den Belgien GP einfach am Montag abhalten können? Zumindest logistisch scheiden sich hier die Geister. Weil Zandvoort nur rund drei Autostunden von Spa entfernt ist, gab es Stimmen, die ein Rennen am Montag als möglich erachteten. Andere Teams glaubten nicht an die Durchführbarkeit. Schließlich dauert der Auf- und Abbau. Direkt nach dem Rennen packen die Teams zusammen.

Ein weiteres Problem sind die Offiziellen. Für die Durchführung eines Formel-1-Rennens sind nicht nur die Teams nötig. Marshalls gehen in der Regel normalen Berufen nach und müssen am Montag wieder in die Arbeit. Und auch für viele Zuschauer vor Ort wäre das aus dem gleichen Grund keine Lösung gewesen.