Daniel Ricciardos zweiter Neuanfang in der Formel 1 verläuft schleppend. Nach zwei Jahren bei Renault wechselte der Australier zur Saison 2021 zu McLaren. Der Aufwärtstrend des Teams aus Woking und der Wechsel zu Mercedes-Motoren lockten Ricciardo zum nächsten Tapetenwechsel. Dass der Einstand des heute 32-Jährigen knifflig werden würde, war abzusehen. Im Winter wurden die Boliden wegen Sparmaßnahmen in der Corona-Pandemie weitgehend homologiert, deshalb beschnitt die Formel 1 auch die Wintertestfahrten auf nur noch drei Tage.

Diese knapp bemessene Testzeit zur Eingewöhnung musste sich Ricciardo auch noch mit Lando Norris teilen. Nur eineinhalb Tage - oder zwölf - Stunden standen dem Australier also zur Verfügung, um ein Auto kennenzulernen, das sein neuer Teamkollege in seinen Grundzügen bereits sehr gut kannte. Ähnlich wie Sebastian Vettel, Sergio Perez und Fernando Alonso, die ebenfalls ihre Lager gewechselt hatten oder aus einer Auszeit zurückgekehrt waren, tat sich Ricciardo zu Saisonbeginn deshalb schwer.

Daniel Ricciardo: McLaren-Misere mit kleinen Lichtblicken

Während die anderen Wechsler im Saisonverlauf mehr oder weniger klar die Kurve bekamen - Carlos Sainz sogar nie wirklich große Probleme hatte - endete die Misere Ricciardos bis zur Sommerpause kaum. Mit 50 erzielten WM-Punkten liegt der Australier nach elf Rennen satte 63 Zähler hinter seinem starken Teamkollegen. Im Qualifying-Duell liegt Ricciardo mit 3:8 klar hinter Norris - ohne Pech für den Briten, etwa Track Limits in Imola oder Behinderung durch Mazepin in Barcelona, sähe es noch deutlicher aus. Das verdeutlicht die Pace. Fast vier Zehntel fehlen Ricciardo teamintern in den gemeinsamen Quali-Segmenten im Schnitt auf eine schnelle Runde. Das führt zu einem durchschnittlich fast fünf Plätze schlechteren Qualifikationsergebnis (RIC 10,6; NOR 6,1).

Das Teamduell bei McLaren spricht eine deutliche Sprache, Foto: LAT Images/Motorsport-Magazin.com
Das Teamduell bei McLaren spricht eine deutliche Sprache, Foto: LAT Images/Motorsport-Magazin.com

Einzelne Momentaufnahmen verhießen bereits den Durchbruch. In Silverstone etwa lag Ricciardo im Qualifying auf Augenhöhe mit Norris. "Er wird sicher von einer Trendwende sprechen, wenn er das jetzt öfter so hinbringen kann und dieselbe Performance auch in Ungarn bringt", sagte dort Teamchef Andreas Seidl. "Er fühlte sich einfach wohl damit, das Auto am Limit zu pushen. Vielleicht lag ihm auch das Streckenlayout von Silverstone. Deshalb ist es wichtig, dasselbe in zwei Wochen in Ungarn wieder zu zeigen."

Ricciardo: Großer Rückstand auf Norris traurige Realität

Auf dem Hungaroring jedoch sah die Welt schon wieder ganz anders aus. Statt 0,002 Sekunden wie in Silverstone fehlte plötzlich wieder eine halbe Sekunde auf Norris. Ricciardo war zurück bei seinem gewohnteren Standard. "Das ist gerade ein wenig die traurige Realität", gesteht der Australier. "Es ist häufiger der Fall als nicht." Die Hoffnungen nach Silverstone fielen somit in sich zusammen. Dort half offenbar tatsächlich nur das Layout.

Oder etwas anderes. Was genau, das weiß Ricciardo selbst nicht ganz. "Es gibt noch immer ein paar Dinge mit dem Auto... Ich bin in der Lage, eine Runde zusammen zu bringen, aber auf diesem Level ist das manchmal nicht genug - zu oft nicht genug", sagt der Australier. "An manchen Tagen fühlt es sich gut an, dann bin ich dabei und fahre nach Instinkt. Aber häufiger bin ich eher reaktiv. [...] Letztlich ist es einfach sehr knifflig zu fahren. Auch, das Limit zu fühlen und zu finden."

Formel 1: Ricciardo findet Schlüssel zur McLaren-Pace nicht

Genau diese Sätze äußerte der siebenmalige GP-Sieger bereits das gesamte Jahr. Eine klare Lösung fand Ricciardo mit seinen Ingenieuren bislang nicht. "Ich bin offen für alle Schritte, die ich machen kann. Realistisch sind es vielleicht hier und da kleine Schritte", sagt Ricciardo. "Ich muss versuchen, noch etwas mehr Vertrauen und Gefühl rauszuquetschen, das geht über das Setup."

Daniel Ricciardos Ergebnisse 2021: Ein klarer Trend fehlt

Völlig neu ist die Situation für Ricciardo unterdessen nicht. Auch bei Renault musste sich der Australier zunächst einfinden. Der MCL35M erwies sich allerdings als extremer. "Ich wusste sofort, dass es ein anderes Biest ist", sagt Ricciardo. "Ich würde aber lügen, wenn ich sagen würde, dass der Renault nicht anders war als der Red Bull. Sie sind alle anders. Es gibt bei diesem Auto aber einfach Dinge, die etwas besonderer sind. Das ist das Puzzle, das ich zu lösen versuche", sagt Ricciardo.

McLaren MCL35M: Das etwas andere Formel-1-Auto

Doch was genau ist diese Besonderheit, die auch bereits zwei planmäßige Wechsel des Chassis (Rotation zum Management der Laufleistung) im bisherigen Saisonverlauf überdauerte? "Daniel beschreibt es klar, es hat mit den Charakteristika des Autos zu tun", sagt Seidl. "Am Ende kommt der Abstand aus einer Kombination, dass Daniel sich an das Auto gewöhnen muss uns seinem Teamkollegen in einer unglaublichen Form."

Die in der Formel 1 von Fahrern gerne einmal gespielte Karte eines vielleicht nicht optimalen Chassis - erst dieses Jahr von Esteban Ocon bei Alpine - war es also nicht. "Wenn die Saison nicht toll ist, will ich nicht der sein, der sagt: 'Ändert dies oder jenes, stellt alles auf den Kopf!'", sagt Ricciardo. "Sie analysieren und wenn sie meinen, dass sie mein Chassis wechseln müssen, dann machen sie es. Ich will keine Ausreden suchen. Sie sind sorgfältig, ich vertraue ihnen."

McLaren-Renndirektor: Unser Auto braucht spezielle Anpassung

Doch was ist es dann? Welche Charakteristika des MCL35M sind es genau, die für Ricciardo eine bislang nahezu unüberwindbare Hürde darstellen? Das erklärte nun Andrea Stella in einem seltenen, aber aufschlussreichen Medientermin mit dem McLaren-Renndirektor. Unumwunden räumt der Italiener ein, dass der McLaren - oder besser gesagt die McLaren seit einigen Jahren - über einige Charakteristika verfügen, die es recht speziell zu fahren machen. "Und das sehen wir gewissermaßen anhand der Erfahrung, die Daniel gerade durchlebt", sagt Stella.

Daniel Ricciardos Qualifying-Rückstand im Verlauf

"Unser Auto erfordert eine besondere Anpassung. Es ist kein Geheimnis, dass unser Auto in Highspeed-Kurven gut ist. Aber es mag nicht das beste Auto sein, wenn du Speed in die Kurve rollen musst", schildert der Ingenieur. Genau das sei allerdings der Fahrstil Ricciardos. "Er kam vom anderen Ende, wenn es darum geht, wie du ein F1-Auto fahren willst. Er ist ein Fahrer, der gerne den Speed in die Kurve rollt und nicht unbedingt so sehr auf der Bremse attackiert, wie es unser Auto erfordert", berichtet Stella.

Ricciardos Fahrstil passt nicht zu McLaren-Stärken

Diesen Zusammenhang habe McLaren auch durchaus schnell erkannt. "Und das ist gut. So konnten wir diesen Aspekt nachbilden, sodass du weißt, woran du im Simulator und in Sachen Fahrercoaching arbeiten musst", berichtet Stella. "Das ist also in Mache und verstanden. Aber in der F1 sehen wir Fortschritt nicht von einem Rennen zum anderen."

Der erste Grund dafür ist, dass Ricciardo sich nur allmählich umstellen kann - und das unter den eingangs genannten erschwerten zeitlichen Bedingungen der Saison 2021. "Manchmal vergleiche ich das mit einem Musiker. Du kannst ihm sagen, wie er die Gitarre spielen soll, du kannst viel Theorie nutzen, aber an einem gewissen Zeitpunkt musst du ziemlich viel Zeit mit der Gitarre verbringen und viel üben. Im Konzert machst du nicht unbedingt einen Schritt nach vorne, den größten Fortschritt erzielst du, wenn du im Hintergrund zuhause arbeitest und Stunde um Stunde mit Üben verbringst", vergleicht Stella.

Ricciardo lässt gerne in die Kurve reinrollen, dafür ist der McLaren nicht gemacht, Foto: LAT Images
Ricciardo lässt gerne in die Kurve reinrollen, dafür ist der McLaren nicht gemacht, Foto: LAT Images

McLaren: Ricciardo fehlt 2021 Zeit für systematische Arbeit

Genau das ist 2021 kaum noch möglich. Nicht nur die gerade eineinhalb Testtage je Fahrer spielen dort hinein, sondern auch die verkürzte Trainingszeit. Freitags fährt die Formel 1 2021 nur noch zweimal 60 statt zweimal 90 Minuten. "Die Testfahrten waren 2021 auf ein Minimum beschränkt und freitags haben wir eine Stunde weniger Training. Und das ist noch immer ein Training zu Vorbereitung eines Rennens", klagt Stella. "Es ist kein Training, in dem du systematische Arbeit erledigen kannst, dich an ein Auto anzupassen und alle Feinheiten verstehen kannst, die erforderlich sind, um auf dem unglaublich hohen Level zu operieren, auf dem F1-Fahrer heute sind."

Der zweite Grund für das langsame Vorankommen Ricciardos ist eine beschränkte Möglichkeit McLarens, dem Australier technisch zu helfen. Einerseits weil die Prioritäten letzten Endes immer woanders liegen. Stella: "Während wir versuchen, ein paar der Charakteristika anzupassen, um es etwas natürlicher zu fahren zu machen, ist es gleichzeitig am wichtigsten, aerodynamische Effizienz zu liefern. Der Fokus lag immer darauf, die aerodynamische Effizienz zu verbessern, selbst wenn wir nicht unbedingt Aspekte wie Balance und Nutzung des Autos verbessern konnten."

McLaren: Aerodynamische Effizienz geht immer vor

Damit war McLaren 2021 ausgesprochen zufrieden. "Und hoffentlich kommt in den nächsten Rennen noch etwas mehr", sagt Stella. Kleinere Neuerung wird McLaren noch an den MCL35M schrauben. Der Fokus liegt zwar längst auf den neuen Regeln 2022, doch waren einige Teile bislang zwar bereits entwickelt, aber schlicht noch nicht produziert.

Halbzeitfazit McLaren: Ricciardo klar in Norris' Schatten: (17:17 Min.)

Andererseits wäre es McLaren auch mit anderen Prioritäten als aerodynamische Effizienz kaum möglich, Ricciardo durch technische Änderungen bedeutend zu unterstützen. Dafür ist das Gesamtkonzept eines modernen Formel-1-Autos zu sensibel konzipiert. "F1-Autos sind Objekte, die recht weit weg von normalen Autos sind, weil ihre Performance vollständig von der aerodynamischen Abgabe dominiert ist. Dann arbeitest du auch mit Aufhängungen und anderen mechanischen Aspekten, aber diese Aspekte sind oft nur Kompensation oder Integration des führenden Parameters, der die aerodynamische Leistung des Autos ist", schildert Stella.

Stella: Grundlegende Philosophie so schnell nicht zu ändern

Der Italiener führt aus: "Das ist sehr schwierig zu feintunen, denn um die aerodynamischen Kräfte zu generieren, brauchst du eine sehr etablierte Fluss-Struktur. Und es dauert Monate über Monate und sogar Jahre und Jahre der Entwicklung, diese Strukturen zu konsolidieren, sodass du die aerodynamische Effizienz des gegenwärtigen F1-Autos erreichst, was absolut erstaunlich ist und dem kein F1-Auto der Vergangenheit je gleichkam.

Genau deshalb könne man die tiefgreifende Philosophie kurzfristig kaum eingreifen. "Wenn du diese Charakteristika so tief einbettest, dann ist es schwierig, die zu ändern", sagt Stella. "Dann ist es leichter, mit mechanischen Aspekten zu arbeiten. Aber selbst die sind wegen der Homologierung 2021 ziemlich begrenzt. Also steckst du ziemlich fest", erklärt Stella. Daher könne sich Ricciardo am besten selbst helfen. "Deshalb wandern viele Anforderungen auf die Fahrer-Seite. Dies ist das Werkzeug, es ist schnell, aber es muss auf eine gewisse Weise gefahren werden. Gerade können wir nicht viel machen. Während wir die aerodynamische Effizienz verbessern können, ist es viel schwieriger einige der Charakteristika zu verbessern, die wir brauchen, um dem Fahrstil zu taugen", erklärt der McLaren-Renndirektor.

Trotz Problemen sorgt Ricciardo bei McLaren für einen guten Spirit, Foto: LAT Images
Trotz Problemen sorgt Ricciardo bei McLaren für einen guten Spirit, Foto: LAT Images

Ricciardo hilft McLaren trotz schwacher Pace: Racecraft & Motivator

Immerhin: Völliger Stillstand herrscht auch nicht. "Schritt für Schritt sehen wir ja Fortschritt", sagt Stella. Noch dazu trumpfe Ricciardo trotz gewisser Pace-Mängel weiterhin mit anderen Qualitäten auf. "Wir sehen auch Daniels Racecraft, die sehr komplett ist. Gerade müssen wir also vor allem dieses letzte bisschen Speed finden. Aber die Starts, das Verständnis von Racing und die Art, wie er so präzise schnellere Autos hinter ihm hält - diese Racecraft ist sehr stark", lobt Stella.

Hinzu komme der Mensch und Motivator in Daniel Ricciardo. Den gebe es trotz der Misere nämlich noch immer. "Und dann ist da die Einstellung, die ist sehr positiv. Er ist genauso, wie das, was wir sehen und was auch ihr über Daniel wisst. Selbst wenn wir nicht den Speed erreichen, den wir gerne hätten, ist der Spirit stark und die Motivation sehr hoch", berichtet Stella.