Red-Bull-Teamchef Christian Horner war fassungslos. Nach dem auf Kosten von 1,8 Millionen Dollar (1,5 Mio. Euro) bezifferten Crash von Max Verstappen in Silverstone zwei Wochen zuvor, hatte es beim Großen Preis von Ungarn gerade gleich beide Red-Bull-Autos erneut erwischt. Nach Lewis Hamilton war es mit Valtteri Bottas ausgerechnet wieder ein Fahrer des WM-Rivalen Mercedes, der Red Bull durch einen Unfall teuer zu stehen kam - nicht nur sportlich, sondern auch finanziell.

"Wird er die Rechnung zahlen?", fragte Horner nach dem Rennen rhetorisch in Richtung Toto Wolff. Gerade hatte der Brite eine Entschuldigung seines Pendants als Teamchef bei Mercedes abgelehnt. Neben den sportlichen Konsequenzen mit einem Ausfall für Sergio Perez und einem derart beschädigten RBR16B von Max Verstappen, dass es für den Niederländer nur noch zum neunten Platz reichte, treffen selbst - oder gerade - ein Top-Team wie Red Bull auch die finanziellen Folgen hart.

Formel-1-Budgetgrenze mit x Ausnahmen: Unfallkosten gehören nicht dazu

In der Vergangenheit wäre die Frage Horners nach der Rechnung nur aus Frust geschehen, mit hohen Kosten für Unfälle muss man in der Formel 1 eben rechnen. Motorsport ist gefährlich, so steht es schon auf jedem Ticket. 2021 liegt die Sache etwas anders, Horners Frage entspringt nicht nur Frust, sondern einer reellen Sorge. Mehr als 145 Millionen US-Dollar (132 Mio. Euro) dürfen die Teams wegen einer neuen Budgetobergrenze in diesem Jahr nicht ausgeben - bei einer Basis von 21 Rennen, für jeden Grand Prix mehr oder weniger steigt bzw. sinkt das Limit um 1,2 Millionen US-Dollar.

Formel 1 2021: So funktioniert die neue Budget-Obergrenze (16:40 Min.)

Allein drei der 49 Seiten des neuen finanziellen Reglements führen Ausnahmen auf - zuzüglich jüngst ergänzter Zugeständnisse im Fall von Schäden in den neuen Sprintqualifyings. Tatsächlich liegen die wahren Budgets daher weitaus höher. Immerhin zählen die Gehälter der Fahrer und des Top-Managements zu diesen Ausnahmen. Unfallschäden gehören hingegen nicht zu den Ausnahmen. Genau hier verlangt Horner nach den jüngsten Entwicklungen nun ein Umdenken.

Red Bull fordert Augenmaß bei unverschuldeten Unfällen

"Extrem frustrierend und auch wieder brutal unter der Budgetobergrenze. Ich denke, dass das erneut bestätigt, dass die FIA das näher ansehen sollte, wenn du einen Vorfall hast, der nicht deine Schuld war und du trotzdem einen signifikanten Preis dafür bezahlst, der nicht im Budget eingeplant ist", fordert der Red-Bull-Teamchef.

Was den Ärger bei Red Bull umso größer macht: Kaum ein Team entwickelte 2021 derart lang am aktuellen Boliden wie die Bullen. Erstmals im WM-Kampf, will man das Duell gegen Mercedes nun auch unbedingt für sich entscheiden. Nun allerdings droht die Entwicklung ein erzwungenes Ende zu finden. "Du musst natürlich schauen, was innerhalb des Limits ist. Ersatzteile sind es und die Motoren auch, was besonders beunruhigend ist", sagt Horner. Die Power Unit im Auto von Perez etwa fürchtet Red Bull abschreiben zu müssen. Auch bei Verstappens Aggregat aus Silverstone sieht es inzwischen schlechter aus als die ersten Diagnosen hoffen ließen.

Mercedes und Ferrari ebenfalls von Crashs gebeutelt

Horner hofft deshalb auf ein Entgegenkommen des Regelmachers und -hüters. "Ich denke, wir müssen das mit der FIA nochmal ansehen, denn unter dem Strich kann das alle Teams betreffen, nicht nur Red Bull", sagt Horner. Das gilt etwa Unfallgegner Mercedes. Allein Bottas' Crash mit George Russell in Imola soll rund eine Million US-Dollar verschlungen haben, nun kommt auch bei Mercedes der Ungarn-Clash hinzu. Wie sehr auf Kante die Budgets der Top-Teams genäht sind, zeigte bereits die Absage eines Pirelli-Reifentests für 2022 durch Mercedes in Le Castellet.

Diesen übernommen hatte Ferrari. Nun macht sich die Scuderia, als dritter Krösus neben Mercedes und Red Bull ohnehin mit Abstand am deutlichsten durch die neue Budgetgrenze eingeschränkt, allerdings ihrerseits Gedanken. Erst crashte Charles Leclerc in Monaco, dann flog Carlos Sainz im Qualifying in Ungarn ab, ehe am nächsten Tag der zweite Crash am Start in Ungarn folgte und Aston Martins Lance Stroll Leclerc aus dem Rennen schoss. Dabei sei auch die Power Unit im Heck des SF21 irreparabel beschädigt worden, hieß es nun aus Maranello. Bereits zuvor, noch am Sonntag in Ungarn, hatte Teamchef Mattia Binotto sich Horner angeschlossen und Werbung für Änderungen betrieben.

Ferrari-Teamchef: Unfallversucher sollen Kosten tragen

"Ich denke, dass es eine Diskussion mit den anderen Teamchefs, der FIA und der F1 in naher Zukunft wert ist", sagt Binotto. Der Italiener spricht sich allerdings für andere Mittel aus als Horner. Weitere Ausnahmen bei Unfallschäden sieht Binotto kritisch. "Ich bin nicht sicher, ob das die Lösung ist. Ich denke, das wäre vielleicht sehr schwer zu überwachen", mahnt Binotto.

Stattdessen schlägt der Ferrari-Teamchef vor, bei einem vollständig und allein zu beschuldigenden Unfallverursacher (wie Stroll und Bottas laut Steward-Urteil in Ungarn) dessen Team für die Schäden der Konkurrenz geradestehen zu lassen. "Ich denke, dass wir überlegen können, dass das Team eines Fahrers, der schuld ist, den anderen Teams zumindest die Schäden und Reparaturen bezahlt", sagt Binotto. "Das würde die Fahrer verantwortungsvoller machen und für die Teams die Schuld zu den Beteiligten bekommen, die dann jemandem etwas bezahlen müssen."

Budgetgrenze überschritten: Höhere Gewalt strafmildernd

Zumindest Horners Vorstoß für Ausnahmen bei Unfallschäden über die kalkulierten Kosten hinaus deckt das Reglement indirekt bereits ab. Bei einem nur geringen Überschreiten der Budgetgrenze von bis zu fünf Prozent - bei einem Limit von 145 Millionen US-Dollar ist das ein Puffer von gut sieben Millionen - drohen nur geringe Sanktionen wie, im besten Fall, eine folgenlose öffentliche Verwarnung oder eine geringe Geldstrafe. Hier können verschiedene Faktoren strafmildernd wirken, etwa Fälle unvorhersehbarer höherer Gewalt. Darunter könnte das Panel zu Überwachung der Budgetgrenze ungewöhnliche hohe Ausgaben für Unfälle fassen.

Mercedes-Technikchef: So erschwert die Budgetgrenze die Arbeit (09:09 Min.)