Esteban Ocons feierte in seinem 78. Formel-1-Rennen an diesem Sonntag in Ungarn einen sensationellen Premierensieg. Nachdem sich die Favoriten im Chaos am Start selbst aussortiert hatten, duellierte sich der Franzose den gesamten Grand Prix über mit Sebastian Vettel. Für den Alpine-Fahrer war es ein wahrhaftes Aha-Erlebnis. Seine Erkenntnis nach anderthalb Stunden Kampf gegen einen viermaligen Weltmeister: so schwer ist gewinnen doch gar nicht.

"Sorry, wenn ich enttäuschen muss. Aber an der Spitze zu kämpfen, wie wir es jetzt getan haben und nur die Gegner hinter sich in Schach zu halten, ist einfacher, als im Mittelfeld zu fahren", so Ocon, der nach 70 Runden mit zwei Sekunden Vorsprung auf Vettel die Ziellinie überquerte. Der war ihm in seinem Aston Martin ab der fünften Runde wie ein Schatten gefolgt und kam einige Male gefährlich nahe.

Doch Ocon leistete die Führungsarbeit trotz des enormen Drucks wie ein alter Hase. "Ich hatte in meiner gesamten Zeit in der Formel 1 ein gutes Training im Mittelfeld. Was dort abgeht ist viel härter als das, was an der Spitze passiert", erklärt der 24-Jährige, der sich auf dem Hungaroring in Ruhe nach hinten orientierte: "Es war natürlich schwer, weil Seb viel Druck gemacht hat. Er hat es mir nicht leicht gemacht aber wenn du vorne bist, hast du freie Fahrt. Du diktierst auf so einer Rennstrecke die Pace."

Ocon und die blauen Flaggen: Galgenhumor beim Sieger

Die meiste Zeit konnte er seinen Rhythmus ungestört fahren, doch als Überrundungen anstanden wurde die Luft auch für Ocon kurz dünn. "Ich habe an den blauen Flaggen keinen Spaß gehabt, muss ich gestehen. Blaue Flaggen und ich sind sowieso keine Erfolgsgeschichte, egal ob ich vorne oder hinten bin", sagt er mit einer Prise Galgenhumor. 2018 hatte er in Brasilien den in Führung liegenden Max Verstappen abgeschossen, als er versuchte sich bei diesem zu entrunden.

In Ungarn war er derjenige, der es eilig hatte, sich durch die Nachzügler zu arbeiten. "Wenn ich in die Dirty Air kam, war ich etwas langsamer als Sebastian. Ich hatte hinter Antonio [Giovinazzi] Probleme, nah genug heranzukommen, damit er Platz macht. Dadurch ist Sebastian ins DRS-Fenster gekommen", so Ocon. "Er hat fast das Manöver gemacht. Er war sehr, sehr nah dran. Das war schon unangenehm, aber ich habe es gerade so hinbekommen und die Lücke wieder vergrößert. Ich hatte vielleicht nicht alles unter Kontrolle aber es war gut genug."

Gut genug waren auch seine Entscheidungen, die ihn in der turbulenten Startphase an die Spitze katapultiert und damit den Grundstein für den Erfolg gelegt hatten. Von Startplatz acht aus hatte er sich beim Fallen der ersten Regentropfen bereits den großen Coup ausgemalt, und das ausgerechnet mit Kumpel Lance Stroll, der bei der Karambolage in Turn eins einer der Auslöser war.

Stroll schießt Ocon den Weg frei

"Ich hatte vor dem Rennen mit Lance gesprochen. Er ist normalerweise ein toller Starter und liebt diese Bedingungen genauso sehr wie ich. Eigentlich kommen wir da immer weiter nach vorne und er sagte, das ist der Moment anzugreifen, und dass es einfach ist einen Fehler zu machen", so Ocon. Seine Worte sollten Stroll einholen, als er sich verbremste und innen am Feld vorbei in den Ferrari von Charles Leclerc schoss.

Nachdem Valtteri Bottas sich ebenfalls vertan und mehrere Autos abgeräumt hatte, kam Ocon als Zweiter aus der ersten Kurve. "Ich bin froh, dass er [Stroll] mich verschont hat. Er hat mir natürlich den Weg freigemacht, da hatte ich sicher etwas Glück", sagt er. Nach der durch das Chaos ausgelösten halbstündigen Unterbrechung kam es gleich zur nächsten Schlüsselszene seines Rennens.

Hamilton verunsichert Stroll: Fehler macht Mercedes eigentlich nie

Das gesamte Feld ging auf Intermediates in die Formationsrunde für den stehenden Restart. Doch in der Pause hatte der Regen aufgehört und der Asphalt war getrocknet. "Als ich sah, dass Lewis und Sebastian auf Intermediates waren, war ich ganz entspannt. Wo wir standen [Grid] war auch noch viel Wasser. Aber die Sonne kam heraus und wir hatten nicht erwartet, dass es so schnell abtrocknet", erklärt Ocon.

In der Einführungsrunde galt es die nächste wichtige Entscheidung zu treffen. Bis auf Hamilton bog das gesamte Feld für den Wechsel auf Slicks an die Box ab. "Für mich war klar, dass es trocken war. Aber was mich zweifeln ließ, war Lewis, der weiterfuhr. Denn Lewis und Mercedes machen eigentlich nie Fehler", so Ocon, der zu seinem Glück standhaft blieb: "Ich hatte Zweifel aber für mich war klar, dass wir das Richtige taten."

Ocon von Russell überrumpelt: Bereit für Kampf

Ein reibungsloser Boxenstopp sorgte dafür, dass er in der Boxengasse vorne blieb - fast. Aus der letzten Box drängelte sich George Russell im Williams beim Erlöschen der Ampel vor. "Ich habe ehrlich gesagt etwas langsam reagiert. Ich war noch nie zuvor aus der Boxengasse gestartet und ich dachte, dass man überholen darf. Ich war der Annahme, George hat es einfach besser gemacht und uns überholt. Deshalb habe ich mich beim Team auch nicht darüber beschwert. Ich war bereit, gegen ihn zu kämpfen", sagt er.

Doch die Rennleitung pfiff den Briten zurück, sodass er ohne Kampf wieder die Führung übernahm. Ocon enteilte daraufhin zusammen mit Vettel dem Feld. Zwei weitere Schlüsselmomente waren sein zweiter Boxenstopp in der 37. Runde sowie der Zweikampf zwischen Fernando Alonso und Lewis Hamilton. Beim entscheidenden Service musste sich Alpine gegen den Undercut von Vettel wehren, was gerade so gelang.

Alpine wehrt Vettel-Undercut ab

"Die Jungs haben einen tollen Boxenstopp abgeliefert. Sebastian hatte einen langsameren Stopp, das hat wohl den Unterschied gemacht denn sonst hätten sie den Undercut gegen uns gemacht. Die Crew in der Garage hat wirklich einen Top-Job gemacht", lobt Ocon seine Mechaniker, die ihn eine Sekunde schneller abfertigen als die Konkurrenz ihren Fahrer.

Nachdem Vettel abgewehrt war, stellte Lewis Hamilton die größte Gefahr dar. Der Mercedes-Pilot setzte mit einem späten Boxenstopp in Runde 47 auf frischen Reifen zur Attacke an, musste aber erst an drei Konkurrenten vorbei, bevor er sich Ocon hätte zur Brust nehmen können. Einer dieser Konkurrenten war Fernando Alonso.

Alonso hält Ocon den Rücken frei: Wie ein Löwe gekämpft

Der Teamkollege erwies Ocon in der zweiten Rennhälfte einen enormen Dienst, indem er Hamilton von der 48. bis in die 65. Runde hinter sich hielt. Denn im Ziel lief Hamilton als Dritter nur drei Sekunden hinter Ocon ein. "Ich muss Fernando ein besonderes Dankeschön ausrichten. Er hat in diesem Rennen wie ein Löwe gekämpft. Das hat einen Teil beigetragen, denn es hat mir Luft nach hinten verschafft", lobt Ocon den zweimaligen Weltmeister.

Mit diesem teilt er nicht nur den Erfolg, sondern auch die Liebe für den Hungaroring. Alonso hatte 2003 ebenfalls auf der Rennstrecke vor den Toren Budapests seinen ersten Sieg gefeiert. "Es hört sich vielleicht seltsam an, denn dieser Kurs ist bei den meisten Fahrer nicht so beliebt. Aber bei mir war er immer schon in den Top-2 im Kalender, jetzt wahrscheinlich auf der Eins. Ich liebe es, hier zu fahren. Die Unterstützung der Fans, der Flow der Rennstrecke", schwärmt Ocon.

Ocon dankt Alpine für Vertrauen

Der erste Sieg kam für ihn an diesem Sonntag nach zuletzt schwierigen Rennen wie gerufen, aber irgendwie doch nicht ganz überraschend. Nachdem er 2020 beim Sakhir GP in einem turbulenten Rennen Zweiter geworden war, lebte der Traum. "Es ist verrückt, denn ich habe mit dem Team vor nicht allzu langer Zeit noch Witze gemacht, dass nach Platz zwei im letzten Jahr der nächste die oberste Stufe für uns dran ist", sagt der Rennsieger.

Mitte Juni hatte er seinen Vertrag mit Alpine für mehrere Jahre verlängert, doch dann brach seine Performance ein. Durch einen Chassiswechsel fand er in Silverstone zur alten Stärke. "Ich kann dem Team für seinen Glauben an mich nicht genug danken. Sie haben mir vertraut, wir haben die Schwierigkeiten überwunden und unsere Pace wiedergefunden. Dieses Wochenende waren Qualifying und Rennen einfach toll", so Ocon.

Erst dieser Umstand machte es in Ungarn möglich, im richtigen Moment zur Stelle zu sein: "Es gab viele Zwischenfälle aber in unserer Position lauern wir die ganze Zeit auf genau diese Möglichkeit. Und heute haben wir es geschafft. Ich werde mich an diesen Moment für immer erinnern."