Folgt auf die 101. Pole Position für Rekordweltmeister Lewis Hamilton heute der 100. Sieg in der Formel 1? Nach dem Qualifying zum Großen Preis von Ungarn (Start heute um 15 Uhr live auf Sky) deutet auf der Leib- und Magenstrecke des Briten vieles darauf hin. Bereits acht Siege feierte Hamilton auf dem Hungaroring, häufiger konnte kein Fahrer auf einer einzelnen Strecke je gewinnen. Auch mehr Pole Positions als Hamiltons acht in Ungarn erzielten selbst Legenden wie Ayrton Senna und Michael Schumacher nirgends.

Der Hungaroring und Hamilton - das passt einfach. Noch dazu muss sich der Brite im heutigen Rennen nicht einmal einzig und allein auf sein Können verlassen. Dank Valtteri Bottas auf Platz zwei der Startaufstellung verfügt der Brite über den perfekten Abschirmdienst gleich an seiner Seite. Hamiltons großer Herausforderer Max Verstappen startet das Rennen nur auf dem dritten Platz.

Formel 1: Hat Mercedes Red Bull absichtlich blockiert? (09:13 Min.)

Hamilton vs. Verstappen: Nächster Crash in Ungarn?

Zwei Mercedes also in der ersten Startreihe - das hatte es zuletzt beim Portugal-GP zu Saisonbeginn gegeben. Da war das WM-Duell zwischen Hamilton und Verstappen allerdings noch längst nicht so aufgeheizt wie nach dem Crash am vergangenen Rennwochenende in Silverstone. Den finnischen Abschirmdienst kann Hamilton also womöglich nicht nur aus taktischem Kalkül gut gebrauchen, sondern auch als Puffer für eine Verstappen-Antwort auf Silverstone in der Startrunde.

Dass es gut und gerne gleich wieder krachen könnte, kann sich etwa Fernando Alonso sehr gut vorstellen. Die Beteiligten selbst reden diese Möglichkeit klein. Verstappen reagierte in der Pressekonferenz nach dem Qualifying allergisch, als er sich zu einem möglichen Folge-Clash mit Hamilton äußern sollte. Hart würden sie fahren, aber fair, so Verstappen. Hamilton sparte sich einen Kommentar.

Weiche Reifen: Red Bull muss am Start vorbei

Übertriebene Aggressivität bei Red Bull und Verstappen werde es wohl kaum geben, glaubt auch Toto Wolff bei Motorsport-Magazin.com. "Ich sehe da keine Harakiri-Manöver. Vor allem nach Silverstone, weil alle darauf bedacht sind, zu deeskalieren", sagt er Mercedes-Teamchef. Selten auf einer Linie mit dem Motorsportchef der Silberpfeile liegt hier Dr. Helmut Marko. "Wir haben keine Rachegelüste. Wir wollen die WM, müssen also in die Punkte fahren", sagt der Red-Bull-Konsulent bei ServusTV. Eine gewisse Explosivität sei wegen der jüngsten Vorfälle allerdings verständlich. "Aber ich nehme an, dass von unserer Seite beim Fahrer die nötige Vernunft herrscht."

Der Clou an der Sache: Die Reifenstrategien der beiden Top-Teams in Ungarn zwingen Verstappen am Start regelrecht zur Brechstange. Im Qualifying katapultierten sich sowohl Verstappen als auch Sergio Perez mit den weichen Reifen ins Q3, Mercedes gelang das als einzigem Team mit der Medium-Mischung. Bei Red Bull war man im Fall Perez dazu gezwungen, die Pace des Mexikaners auf dem härteren Pneu war viel zu wacklig.

Anders lag der Fall bei Verstappen. Hier hätte es mit Soft reichen können. Dennoch beendete der Niederländer diesmal seinen finalen Run auf dieser Mischung. "Am Ende wären wir um zwei, drei Hundertstel sicher gewesen, aber so viel Risiko willst du nicht eingehen", berichtet Verstappen. "Deshalb haben sie mir gesagt, dass ich die Runde beenden soll."

Von den Red-Bull-Oberen klang das etwas anders, mehr nach einem Plan. "Der Soft kann am Start einen Vorteil bringen. Dann müssen wir in der ersten Runde Positionen gutmachen", sagt Marko. Dass sich Verstappen und Hamilton damit automatisch gut gerne sehr nahe kommen können, ist offensichtlich. Das Risiko geht Red Bull ein. "Wir starten lieber auf dem Soft-Reifen", ergänzt Teamchef Horner. "Und dann müssen wir ein attackierendes Rennen fahren, denn wir wissen, wie schwer es ist, hier zu überholen. Die Strategie wird also entscheidend sein. Wir konnten die Zeit von Lewis auf dem Medium nicht fahren, deshalb haben wir gedacht, dass es besser wäre eine andere taktische Marschrichtung einzuschlagen."

Formel 1: Verstappen theoretisch auf bester Strategie

Max Verstappen zeigt sich davon nur mäßig begeistert. "Es wird superwarm. Der Soft wird da nicht so lang halten wie der Medium, aber ja", sagt der WM-Leader. "Am Start gibt es uns vielleicht einen kleinen Vorteil. Wir werden morgen herausfinden, ob es richtig oder falsch war." Doch diesen Vorteil muss Verstappen auch dringend nutzen.

Gelingt das, macht Pirelli dem Niederländer sogar Mut. Bei einer Einstoppstrategie sei Soft-Hard zwar langsamer als Medium-Hard, Mercedes also im Vorteil. Dafür sei generell ohnehin eher zu gleich zwei Boxenstopps zu raten - trotz der auf dem engen Hungaroring so entscheidenden Track Position. Verstappen und Perez könnten somit der ersten Empfehlung der Italiener folgen und Soft-Medium-Medium oder Soft-Medium-Soft mit einer guten Chance auf die schnellste Rennrunde wählen.

Sergio Perez ist da: Red Bull hat taktische Optionen

"Die Fahrer, die auf dem Medium starten, sind flexibler, aber ein Zweistopper ist auf dem Papier etwas schneller, weshalb die Soft-Starter jede Möglichkeit haben, etwas anders zu machen -mit einer großen Auswahl taktischer Optionen", sagt Pirellis F1-Leiter Mario Isola. "Mercedes und Red Bull haben ganz andere Ansätze gewählt, es wird faszinierend sein, zu beobachten, wie sich dieser Kampf aus der ersten und zweiten Reihe entwickelt."

Dort steht diesmal immerhin auch Perez - obwohl dem Mexikaner am Ende des Q3 die Zeit für eine zweite schnelle Runde ausging. Das gibt Red Bull weitere Möglichkeiten abseits der bereits antizyklischen Strategie. "Checo ist direkt neben mir, also schauen wir, was wir im Rennen ausrichten können", sagt Verstappen. "Das gibt uns Optionen und wir haben eine andere Strategie als Mercedes", ergänzt Horner. "Wir müssen schauen, wie sich das Rennen entwickelt. Ob ein oder zwei Stopps", sagt Marko.

Alles entscheidend werden dafür zwei Dinge. Erstens das Wetter. Wird es am Sonntag erneut so heiß wie am bisherigen Wochenende mit Asphalttemperaturen jenseits der 60 Grad Celsius werden zwei Stopps wahrscheinlicher. Zweitens die Ausgangslage. Schießt Red Bull dank Traktionsvorteilen der weichen Reifen gleich am Start vorbei?"

Hamilton fürchtet Red Bull am Start

"Der Soft-Reifen bringt auf dem Weg bis zur ersten Kurve ungefähr fünf Meter und es ist ein weiter Weg bis dorthin", warnt Hamilton vor dem 443,6 Meter langen Sprint von der Pole bis zum ersten Bremspunkt. "Das wird spannend morgen. Es ist überraschend, dass die Jungs hinter uns auf den Soft-Reifen starten." Deshalb sei die Pole alles andere als die halbe Miete. Selbst Perez auf P4 schickt da noch eine Kampfansage. "Wir freuen uns auf den Start. An diesem Ort kannst du viel Zeit holen, wenn du eine oder zwei Kurven richtig hinbekommst."

Damit meint Perez die bessere Pace in unverwirbelter Luft, sollte es am Start gelingen, Mercedes zu überwinden. "Das Idealszenario ist, dass wir vor sie kommen und dann die Position halten", sagt Perez. "Ich hoffe wirklich, dass wir sie mit unserer alternativen Strategie unter Druck setzen können. Aber das Rennen ist sehr lang, da kann viel passieren." Das weiß auch Mercedes und fürchtet sich deshalb auch bei Platzverlust nicht allzu sehr vor Red Bull auf roten Reifen.

Rennpace: Mercedes in Ungarn-Hitze am Freitag klar vorne

"Wir befinden auf den Medium-Reifen in einer guten Ausgangslage für das Rennen. Red Bull hat am Start einen Vorteil auf den Soft-Reifen, aber wir können dafür im ersten Stint länger fahren", sagt Bottas. "Der Medium-Reifen sollte im Rennen besser sein, aber seine Schwächen sind der Start und der Grip in den ersten Kurven. Darauf müssen wir uns morgen konzentrieren", ergänzt Trackside-Ingenieur Andrew Shovlin. Auch das Wetter vergisst der Brite nicht: "Das Rennen wird hart für die Reifen und dadurch könnten sich Strategie-Optionen ergeben. Aber das Auto hatte am Freitag eine gute Pace bei hohen Temperaturen."

Formel 1 Ungarn 2021: Longruns auf Medium-Reifen

Fahrer Ø RundenzeitRückstand in Sek.
Lewis Hamilton1:22.424
Sergio Perez1:23.272+ 0.848
Max Verstappen1:23.333+ 0.909
Sebastian Vettel1:23.405+ 0.981
Valtteri Bottas1:23.496+ 1.072
Lance Stroll1:23.683+ 1.259
Fernando Alonso1:24.208+ 1.784
Daniel Ricciardo1:24.635+ 2.211
George Russell1:24.822+ 2.398
Antonio Giovinazzi1:25.386+ 2.962
Nikita Mazepin1:26.484+ 4.060
Mick Schumacher1:26.945+ 4.521

Das bestätigte sich im Longrun. Hier war Hamilton auf dem Medium unantastbar. Fast eine Sekunde fehlte Verstappen im Schnitt. "Aber ich hatte keinen repräsentativen Longrun", kontert der Niederländer. Am Freitag kämpfte Verstappen noch mit einem mysteriösen Untersteuern. Das ist inzwischen behoben. Auch Marko erwartet deshalb sehr viel mehr Augenhöhe. "Im Renntrimm sollten wir wieder stärker sein", sagt der Grazer. Allerdings kam am Freitag auch Perez nicht mit.

Fazit: Erst einmal ruhen alle Augen gebannt auf dem Start. Kommen sich Hamilton und Verstappen bedrohlich nahe? Knallt es wieder? Falls ja, kann die Frage nach dem Sieger (und Verlierer) schon beantwortet sein. Falls nein, kommt es darauf an, ob Red Bull dank weicher Reifen die Spitze übernehmen kann. Dann ist tatsächlich noch viel möglich - trotz Hungaroking Hamilton und des vermeintlichen strategischen Nachteils Red Bulls. Auch, weil Perez helfen kann. Verloren ist noch nichts. Sonst wird es schwer. Alles entscheidend allerdings auch dann: Hält der rote Reifen im ungarischen Glutofen lang genug, um nach dem Stopp vor dem Mittelfeld zu bleiben? Falls nicht, wird der Verkehr Red Bull ruinieren.