Der Frankreich GP war ein richtiger Kracher, und das ganz ohne Unfall, Safety Car oder Wetterkapriolen. Noch nicht einmal eine gelbe Flagge gab es während des gesamten Rennens. Trotzdem war der GP auf einer der unspektakulärsten Streckend des gesamten Kalenders ein Krimi. Max Verstappen und Lewis Hamilton bekriegten sich auf der Strecke und in der Box. Das waren die Zutaten für eines der besten Formel-1-Rennen der letzten Jahre.

Erst in der vorletzten Runde setzte Verstappen das rennentscheidende Überholmanöver gegen Hamilton. Dabei saß der Brite eigentlich im schnelleren Rennauto - und hatte die Position auf der Strecke schon am Start gewonnen, als Verstappen, von Pole aus gestartet, in Kurve eins den Grip etwas überschätze.

Mercedes verliert in Frankreich mit schnellstem Auto

"Die Performance des Autos war gut, ich denke, wir hatten das schnellere Auto", sagte Mercedes Motorsportchef Toto Wolff zu Motorsport-Magazin.com. Doch wie konnte Mercedes das Rennen trotz des schnelleren Autos verlieren, obwohl man die in Le Castellet so wichtige Track Position zunächst am Start gewann und schließlich nach Verstappens zweiten Boxenstopp ebenfalls wieder hatte?

Hamilton übernahm die Führung in Kurve eins. Verstappen konnte nach seinem kleinen Ausrutscher froh sein, dass nur Hamilton vorbeiging. Valtteri Bottas lauerte ebenfalls schon. Das wäre wohl das Ende für Verstappens Siegchancen gewesen.

Wer in der Saison 2021 zwischen Mercedes und Red Bull vom schnelleren der beiden Autos spricht, der spricht von Nuancen. Um genau diese Nuancen war der Silberpfeil im ersten Stint schneller. Hamilton konnte Verstappen nicht davonfahren, aber er konnte langsam eine Lücke aufbauen.

Ins DRS-Fenster kam Verstappen nie. Bis die Boxenstopps begannen, hatte Hamilton immerhin drei Sekunden zwischen sich und dem WM-Leader gelegt. Nachdem der Frankreich GP einzuschlafen drohte, eröffnete Mercedes mit Valtteri Bottas in Runde 17 die Boxenstopps der Spitzengruppe.

Red Bull & Verstappen schlagen mit Monster-Undercut zu

Eine Runde später zog Red Bull mit Verstappen nach, um den Undercut von Bottas zu verhindern - mit Erfolg, der Niederländer kam vor dem Finnen zurück auf die Strecke. 2,7 Sekunden trennten die beiden zuvor. Eine weitere Runde später kam Lewis Hamilton dann zum Stopp. Er lag zuvor 3,1 Sekunden vor Verstappen.

Verstappen trumpfte beim Boxenstopp in Frankreich groß auf, Foto: LAT Images
Verstappen trumpfte beim Boxenstopp in Frankreich groß auf, Foto: LAT Images

Dann die große Überraschung: An der Boxenausfahrt wurde es eng zwischen Hamilton und Verstappen, der Red-Bull-Pilot setzte sich durch. Verstappen war gelungen, was Bottas nicht gelungen war: Der Undercut. Und das, obwohl er noch etwas mehr aufzuholen hatte.

Hamiltons Stopp verlief reibungslos. Red Bull war trotzdem noch etwas schneller. Insgesamt verbrachte Hamilton knapp eine halbe Sekunde länger in der Boxengasse. Bleiben noch immer rund 2,5 Sekunden, die Verstappen auf Hamilton gutmachen musste.

In den ersten beiden Sektoren gewann der WM-Leader auf seiner Outlap noch einmal jeweils knapp eine halbe Sekunde. Im kurvenreichen Schlusssektor konnte er seine frischen Pirelli-Pneus aber richtig ausspielen. Anderthalb Sekunde holte Verstappen allein dort. Genug, um am Boxenausgang direkt neben Hamilton zu sein.

Mercedes mit Topspeed-Defizit gegen Red Bull in Problemen

"Wir dachten, wir hätten genügend Luft, um uns gegen einen Undercut wehren zu können", gesteht Wolff. "Bei diesem Stopp haben wir das Rennen verloren, von da an waren wir im Hintertreffen."

Auch auf den harten Reifen zeigte sich, dass der Silberpfeil im Renntrimm das schnellere Auto war. Das Problem: Hamilton konnte die Pace nicht mehr nutzen, denn er fuhr hinter Verstappen her. Wer zehn Runden lang auf einer Rennstrecke wie Paul Ricard im DRS-Fenster fahren kann, der hat eine bessere Pace. Zum Überholen aber reichte es nicht, weil Mercedes beim Topspeed chancenlos war.

Honda brachte in Frankreich einen neuen Motor. Das neue Aggregat durfte zwar keine Performance-Updates enthalten, allerdings bringt auch Zuverlässigkeit Performance. Denn dann kann der Motor über längere Zeit in einem aggressiveren Modus betrieben werden. Dazu war der Honda-V6 frischer als das Mercedes-Pendant. Zusätzlich wählte Red Bull einen deutlich kleineren Heckflügel.

In Zahlen sieht das wie folgt aus: Verstappen und Perez landeten in der Top-Speed Wertung auf den Plätzen zwei und drei, Hamilton und Bottas belegten tatsächlich die letzten beiden Plätze. Mehr als 15 Stundenkilometer lagen zwischen Red Bull und Mercedes.

Verstappen & Red Bull gehen in Frankreich volles Risiko

Verstappen blieb vorne, musste sich aber strecken, um Hamiltons Angriffe abzuwehren. Dann die Überraschung: In Runde 32 holte Red Bull Verstappen erneut an die Box. In Führung liegend! Bei einem GP, den alle für ein Einstopp-Rennen hielten.

Verstappen vor Hamilton - der Status nach dem ersten Boxenstopp, Foto: LAT Images
Verstappen vor Hamilton - der Status nach dem ersten Boxenstopp, Foto: LAT Images

"Wir haben den Abzug gedrückt", erklärte Red Bull Teamchef Christian Horner. Es war eine schwierige Entscheidung. Eine Entscheidung, die auch eine Konsequenz aus Barcelona war. Dort führte Verstappen ebenfalls, aber es war Hamilton, der ein zweites Mal stoppte.

In Barcelona konnte Red Bull nicht reagieren. Hätte man dort auf Hamiltons Stopp reagiert, hätte der den Undercut geschafft. Genau dieses Szenario wollte Red Bull in Frankreich verhindern. Man wollte agieren - nicht reagieren, wenn es ohnehin schon zu spät ist. Dabei war es für die Strategen sogar schlecht, dass Verstappen die Position beim ersten Boxenstopp gewonnen hatte. "Das machte die Entscheidung noch schwieriger", erklärt Horner. "Du gibst einfach die Führung auf."

Perez hilft Red Bull bei Strategie-Poker in Frankreich

Zwei Faktoren machten Red Bull die Entscheidung leichter: Ein weiterer Satz der Medium-Reifen und Sergio Perez. Der der Mexikaner fuhr zwar lange Zeit nicht sein stärkstes Rennen, war aber mit der Spitzengruppe auf Tuchfühlung. "Ohne Perez hätten wir das nicht machen können. Dann hätte Mercedes auch eine andere Strategie gemacht", glaubt Red Bulls Motorsportberater Dr. Helmut Marko und fügt an: "Wir haben Perez extra länger draußen gelassen."

Der Clou: Perez kam erst in Runde 24 zu seinem ersten und einzigen Stopp. Selbst wenn Mercedes Hamilton vor Verstappen zum zweiten Stopp geholt hätte, hätte der erst einmal an Perez vorbeigehen müssen. Dabei wäre das Reifen-Delta nicht exorbitant groß gewesen. Mit dem Red-Bull-Topspeed hätte sich Hamilton am Mexikaner womöglich die Zähne ausgebissen.

"Wenn Perez nicht im Fenster gewesen wäre, hätten wir zumindest mit einem Auto einen zweiten frühen Stopp einlegen und Red Bull in eine schwierige Position bringen können", so Wolff. "Zu diesem Zeitpunkt sind vier Autos gegeneinander gefahren."

Verstappens Schluss-Attacke stößt auf keine Hamilton-Gegenwehr

Für Verstappen stellte Perez nach dem Stopp freilich kein Hindernis dar. Für die freundliche Mithilfe gab es sogar noch aus dem Cockpit einen Dank für den Teamkollegen. Mit den frischen Mediums kam Verstappen dann Hamilton in Riesenschritten näher. Erst als Verstappen auf Bottas auflief, kam die Aufholjagd etwas ins Stocken. Allzu langen Prozess machte er mit dem Finnen aber nicht.

In Runde 44 lag das Auto mit der Nummer 33 bereits wieder auf Rang zwei - und musste nur noch das Auto mit der Startnummer 44 jagen. In der vorletzten Runde war es dann so weit: Verstappen überholte auch Hamilton auf der Mistral-Geraden. "Ich dachte, wir kriegen ihn schon etwas früher, etwa vier Runden vor Schluss", gesteht Marko.

Warum aber hat Mercedes das Rennen dann beim ersten Boxenstopp verloren? Schließlich gab Red Bull die Trackposition von Verstappen freiwillig auf. Aber Hamilton und Bottas hatten ihren Pace-Vorteil nach dem ersten Stopp nicht nutzen können - im Gegenteil. Bei einer aussichtslosen Jagd auf Verstappen erreichten sie nichts, außer dass sie die Reifen überbeanspruchten. Als sie nach Verstappens Stopp freie Fahrt hatten, war es schon zu spät - und am Ende gaben die Reifen nichts mehr her.